Schweiz

Vor dem Aus?

Luzern: Bald ohne jüdische Gemeinde? Foto: Thinkstock

Schweiz

Vor dem Aus?

Die jüdische Gemeinde in Luzern bangt um ihre Zukunft – wie andere Kleingemeinden im Land

von Peter Bollag  07.10.2015 14:32 Uhr

Kommen Sie und schließen Sie sich unserer harmonischen und familienfreundlichen Gemeinde an» – so warb man in Luzern noch im vergangenen Winter in der orthodoxen Jüdischen Zeitung um neue Mitglieder. Das Inserat richtete sich offenbar auch an Menschen, die Mühe haben, im Großraum Zürich eine erschwingliche Wohnung zu finden. In Luzern dagegen seien 4- und 5-Zimmer-Wohnungen «in der Nähe der Synagoge» zu vernünftigen Preisen zu finden, war in der Anzeige zu lesen.

Wer die jüdische Szene der Zentralschweiz, deren Mittelpunkt Luzern ist, kennt, hatte damals schon gewisse Zweifel und wertete das Inserat als Verzweiflungstat, das drohende Aus für die Jüdische Gemeinde Luzern (JGL) zu verhindern. Nun gerät die JGL tatsächlich ernsthaft in Schwierigkeiten. Dies liegt vor allem daran, dass die Zukunft der in einem Luzerner Vorort gelegenen Jeschiwa Kriens, der praktisch letzten jüdischen Talmudhochschule der Schweiz, mehr als ungewiss ist.

jeschiwa Die Jeschiwa ist seit den Hohen Feiertagen geschlossen. Ob sie überhaupt noch einmal öffnet, ist unsicher. Die Schule hat finanzielle Probleme, in mehreren Presseberichten war von umgerechnet rund einer Million Euro Schulden die Rede. Als ein Grund wird angegeben, dass neuerdings weniger Talmudschüler aus dem Ausland zum Studium nach Kriens kommen. Man hoffe, die Jeschiwa bald wieder öffnen zu können, sagte ein Komitee-Mitglied kürzlich der Zeitschrift «Tachles».

Die Talmudschüler halfen in der Luzerner Gemeinde auch bei den Gottesdiensten an Wochentagen sowie am Schabbat und den Feiertagen aus. Die JGL zählt derzeit gerade noch 40 Mitglieder, etliche von ihnen sind längst im Rentenalter und nicht im täglichen Minjan dabei.

nachfolger Auch schon in hohem Alter, aber regelmäßiger Synagogenbesucher, ist Gemeindepräsident Hugo Benjamin (83) – der keinen Nachfolger findet. «Ich wollte schon mehrmals zurücktreten, aber es gibt niemanden, der mein Amt übernehmen möchte», sagte er vor einigen Wochen einer Luzerner Zeitung. Und so macht Benjamin weiter und hofft auf die große Wende. Nach dieser sieht es derzeit allerdings nicht aus. Längst sind das Gemeindehaus, die Metzgerei und der koschere Lebensmittelladen geschlossen. Ein koscheres Restaurant besaß Luzern im Gegensatz zu den großen jüdischen Zentren in Zürich, Basel und Genf ohnehin nie, weil es sich, trotz der vielen Touristen, die in die Stadt und die Region kommen, nicht gerechnet hätte.

Der Luzerner Niedergang spiegelt bis zu einem gewissen Grad das Schicksal jüdischer Kleingemeinden der Schweiz wider: Die Jugend wandert in größere Gemeinden ab oder ins Ausland, und irgendwann lässt sich eine jüdische Infrastruktur nicht mehr aufrechterhalten. Auch in Luzern, das zu seinen besten Zeiten mehrere Hundert Gemeindemitglieder zählte, war der Substanzverlust wohl zu groß.

mitglieder Hinzu kam, dass sich die Gemeinde, die sich als sehr orthodox versteht, äußerst schwer damit tat, liberale jüdische Familien oder Einzelmitglieder zu integrieren und Interessenten aus sogenannten Mischehen erst gar nicht akzeptierte. Nicht wenige von ihnen sind deshalb Mitglieder in der liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich geworden. Die Entfernung dorthin beträgt mit der Bahn nur knapp 50 Minuten.

So scheint das Schicksal der JGL frappant demjenigen ihrer Schwestergemeinde auf der anderen Seite des Gotthard-Tunnels, der die deutsche von der italienischen Schweiz trennt, zu gleichen: Auch die orthodoxe Gemeinde Lugano existiert faktisch nur noch auf dem Papier.

Nutznießer sowohl in Luzern als auch in Lugano sind die Rabbiner der chassidischen Bewegung Chabad Lubawitsch, die für ein halbwegs jüdisches Leben sorgen und alle Feiertage sowie den religiösen Unterricht abdecken. So überrascht es niemanden, dass der Luzerner Chabad-Rabbiner Chaim Drukman sagt, er würde die Schließung der Jeschiwa Kriens zwar bedauern, auf seine Arbeit hätte dies aber keinerlei Einfluss.

Ukraine

Putins Krieg und Trumps Frieden

Während sich die Medienaufmerksamkeit auf Nahost konzentriert, bombardiert Russland weiterhin das Land. Nun schlägt sogar der US-Präsident neue Töne an

von Michael Gold  03.07.2025

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert

Aufarbeitung

Brasilien entschädigt Familie von jüdischem Diktaturopfer

Vladimir Herzog gehört zusammen mit dem ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva zu den bekanntesten Diktaturopfern

 27.06.2025

Buenos Aires

Anschlag auf Juden in Argentinien: Prozess nach mehr als 30 Jahren

Am 18. Juli 1994 waren beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden

 27.06.2025

USA

Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025