Italien

Unter Polizeischutz

Liliana Segre im November 2019 Foto: iimago

Italien

Unter Polizeischutz

Wegen antisemitischer Drohungen wird die Schoa-Überlebende Liliana Segre ständig von zwei Carabinieri in Zivil begleitet

von Andrea M. Jarach  14.11.2019 09:09 Uhr

Knapp zwei Jahre ist es her, da würdigte Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella die Arbeit der Auschwitz-Überlebenden Liliana Segre als Zeitzeugin und ernannte sie zur Senatorin auf Lebenszeit. Die heute 89-Jährige ist Vorsitzende der Organisation »Kinder der Schoa« und erhebt immer wieder ihre Stimme gegen das Vergessen der Lehren aus der Geschichte. Sie war eine der Initiatoren für Stolpersteine in Mailand.

Als Jugendliche wurde Liliana Segre 1944 nach Auschwitz deportiert. Nur knapp überlebte sie das Vernichtungslager. Ihr Vater wurde ermordet.

Italiens Antisemiten gilt Segre als jüdische Gallionsfigur. Und so werden jeden Tag etwa 200 Hass-Posts gegen sie ins Internet gestellt. Anfang November, bevor sie in Mailand an einer Podiumsdiskussion vor Studenten teilnehmen sollte, attackierte sie und den Mailänder Bürgermeister Beppe Sala von der Demokratischen Partei die neofaschistische Gruppierung Forza Nuova mit einem Transparent, auf dem stand: »Sala befiehlt, die Antifa agiert, das Volk erleidet«.

Als Jugendliche wurde Liliana Segre 1944 nach Auschwitz deportiert.

Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen unbekannt eingeleitet. Wegen zunehmender antisemitischer Drohungen, Beleidigungen und der enormen Zahl von Hass-Postings gegen Segre stellte der Präfekt von Mailand, Renato Saccone, die Überlebende unter Polizeischutz. Seitdem wird sie ständig von zwei Carabinieri in Zivil begleitet.

Proteste Auf diese Maßnahme folgten weltweite Proteste. Efraim Zuroff, der Vorsitzende des Simon-Wiesenthal-Zentrums, schrieb: »Es ist eine Schande für Italien, dass eine 89-jährige Schoa-Überlebende auf solche Art und Weise im Internet attackiert wird.« Israels Präsident Reuven Rivlin äußerte sich in einem Brief an Segre »entsetzt über die antisemitischen Drohungen«, und der israelische Botschafter in Italien, Dror Eydar, twitterte: »Eine Überlebende von 89 unter Polizeischutz symbolisiert die Gefahr, der die jüdischen Gemeinden Europas noch heute ins Auge blicken müssen.« Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella mahnte: »Solidarität, Zusammenleben, Verantwortungsbewusstsein müssen Intoleranz, Hass, Diskriminierung entgegenwirken.«

Innenministerin Luciana Lamorgese warnte am Montag bei ihrem Besuch der jüdischen Gemeinde Rom davor, dass »aus ungestümen Worten Aktionen mit Gewalt folgen könnten«. Man dürfe »das Problem nicht unterschätzen, es ist nicht hinnehmbar, dass Hass in Worte gefasst wird«.

Solidarität Parlamentarier verschiedener Parteien bekundeten Segre gegenüber ihre Solidarität. Stimmen kamen von der konservativen Forza Italia bis zur progressiven Demokratischen Partei. Der Abgeordnete Emanuele Fiano, selbst Sohn eines Auschwitz-Überlebenden, mahnt: »Heute zu verteidigen, wer gestern das Inferno durchschritt, ist eine Pflicht, aber es ist gleichzeitig eine Niederlage.« Der Bürgermeister von Mailand, der Stadt, in der Segre wohnt, nannte die Hass-Posts »Faschismus 2.0«.

Die Vorsitzende der rechten Partei Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, gesteht zwar, es gebe »ein objektives Sicherheitsproblem für die italienischen Juden«, aber sie relativiert sofort: »Die erste Sorge ist der islamische Fundamentalismus.« Noch relativierender äußerte sich der ehemalige Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega. Er zeigte sich zwar mit Segre solidarisch – »ich höre zu, sie ist eine kluge Frau. Ich bin jung (46), habe Lust zu verstehen, zu lernen und zu hören« –, doch fügte er hinzu, er selbst sei auch immer Drohungen ausgesetzt gewesen. Sein Parteikollege, der Bürgermeister von Pescara, lehnte es kürzlich ab, Segre zur Ehrenbürgerin zu ernennen.

Nur einen Tag, nachdem Liliana Segre eine Eskorte bekam, wurde der von ihr kürzlich eingeweihte »Garten der Gerechten« in Mailand, der an den Widerstand gegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnert, geschändet.

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025

Award

Sarah Jessica Parker erhält Golden-Globe-Ehrenpreis

Die Schauspielerin soll für besondere Verdienste um das Fernsehen ausgezeichnet werden

 14.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025

Ausstellung

Avantgardistin der Avantgarde

Berthe Weill förderte nicht nur die moderne Kunst der Jahrhundertwende, als Galeristin war sie selbst eine Schlüsselfigur. Eine Ausstellung in Paris ehrt die Pionierin

von Sabine Schereck  13.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025