Südafrika

Südafrikas Doppelmoral

Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor und der südafrikanische Botschafter in den Niederlanden, Vusi Madonsela, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Foto: picture alliance / ANP

Und plötzlich spielte der Teamkapitän in der letzten Reihe: Bis vor Kurzem führte David Teeger Südafrikas Cricket-U19-Mannschaft an. Das änderte sich, nachdem er im vergangenen Oktober im Zuge einer Preisverleihung seine Unterstützung für »Israels junge Soldaten« bekundet hatte. Rechtzeitig vor der U19-Cricket-Weltmeisterschaft, die derzeit in Südafrika stattfindet, wurde Teeger von seinem Kapitänsposten abgesetzt. Aus Sicherheitsgründen, wie der zuständige Sportverband betonte. Die jüdische Vertretung am Kap sprach hingegen von einem »tief antisemitischen« Vorfall und kündigte Protest an.

Mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel geriet Südafrika zu Jahresende in die internationalen Schlagzeilen. Pretoria wirft Israels Armee vor, beim Vordringen in den Gazastreifen gegen das internationale Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verstoßen zu haben. Jeder 100. Gaza-Bewohner sei bereits getötet worden. »Und mit jedem weiteren Tag, an dem Israel die militärischen Angriffe fortsetzt, wird es weitere erhebliche Verluste von Leben und Eigentum geben«, argumentieren Südafrikas Anwälte in ihrem Plädoyer.

Die Polizei trennt Israelfreunde und -feinde mit Wasserwerfern und Blendgranaten.

Am Kap hat die Klage gegen Israel den Keil noch tiefer zwischen die verschiedenen Religionen und Volksgruppen getrieben. Überrascht reagierte aber kaum jemand. Denn seit einigen Jahren schon solidarisieren sich vor allem Vertreter der muslimischen Minderheit sowie auch der schwarzen Mehrheit mit den Palästinensern. Diese würden vom »Apartheid-Staat« Israel gleichermaßen unterjocht wie einst die Südafrikaner vom Apartheid-Regime, argumentieren sie. Vor Supermärkten protestieren die Palästinenser-Unterstützer regelmäßig für den Boykott israelischer Produkte. 2014 sorgte ein Schweinekopf, platziert in der koscheren Theke eines Kapstädter Supermarktes, für Aufsehen.

Seit dem Aufflammen des Nahostkonflikts habe sich die Situation für die jüdische Minderheit – etwa 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung – erneut verschärft, berichten Wendy Kahn und Daniel Bloch, nationale Direktorin und Kapstadt-Direktor des Jewish Board of Deputies (SAJBD). »Wie in allen Diasporagemeinden gab es auch bei uns einen scharfen Anstieg von Antisemitismus. Über die letzten zehn Jahre hatten wir zwischen Oktober und November durchschnittlich vier Vorfälle. 2023 waren es 120.«

Israelfreunde werden physisch und verbal attackiert

An der Uferpromenade des jüdisch geprägten Kapstädter Bezirks Sea Point haben sich im vergangenen November Demonstranten versammelt, um sich mit Israel solidarisch zu zeigen. Ihnen gegenüber stehen Gegendemonstranten mit Palästina-Flaggen. »Babymörder!«, schallt es aus der Menge. Auf die Frage einer Reporterin, ob man nicht mehr Toleranz üben sollte, kennt einer der Demonstranten schnell die Antwort: »Sorry, aber doch nicht gegenüber den Zionisten.« Bald kommt es zu Gewalt. Die Polizei muss einschreiten, um Israelfreunde und -feinde mit Wasserwerfern und Blendgranaten zu trennen.

»Wir verurteilen die Versuche, Israel-Unterstützer zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Für jedes noch so leise Wort des Rückhalts werden Menschen auch online ins Visier genommen und verbal attackiert«, so Kahn und Bloch.

Rückendeckung bekommt die Anti-Israel-Lobby vom regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Bisher hatte die ehemalige Freiheitsbewegung den komplizierten Spagat immer irgendwie geschafft: zwischen der Freundschaft mit den Palästinensern und den Handels- und konsularischen Beziehungen zu Israel. Etliche jüdische Südafrikaner sind Doppelstaatsbürger. Doch der Israel-Hamas-Konflikt brachte eine Wende. Im November zog Präsident Cyril Ramaphosa Südafrikas Diplomaten aus Tel Aviv ab. Kurz danach stimmte das südafrikanische Parlament dafür, die israelische Botschaft in Pretoria zu schließen.

Doppelmoral in der Kap-Republik

Tali Nates ist Historikerin in Johannesburg und Holocaust-Überlebende zweiter Generation. Auch sie beobachtet einen Anstieg von Antisemitismus seit Kriegsausbruch. Dieser äußere sich aber »eher durch die Taten und Rhetorik der (südafrikanischen) Regierung als an der gesellschaftlichen Basis«, meint Nates. Jeder Staat habe das Recht, UN-Mechanismen wie den IGH anzurufen. Auch Südafrika, betont die Direktorin des Johannesburger Holocaust & Genocide Centre.

Allerdings zeichne sich im Fall der Kap-Republik eine Doppelmoral ab. So verweist Nates auf eine Reihe nationaler und internationaler Vorfälle, die Südafrikas Menschenrechtsbilanz im vergangenen Jahrzehnt erheblich zusetzten: Gewalt gegen Ausländer und Frauen; die Weigerung, den gesuchten Kriegsverbrecher und damaligen Präsidenten Sudans, Omar al-Baschir, festzunehmen; und Putin einzuladen, aber dem Dalai Lama ein Visum zu verweigern. Vor diesem Hintergrund habe die Genozid-Klage gegen Israel viele jüdische Südafrikaner vor den Kopf gestoßen: »In der Gemeinschaft herrscht ein Gefühl von großem Schmerz, Verrat und Wut.«

Die Klage gegen Israel hat viele jüdische Südafrikaner vor den Kopf gestoßen.

Das weiß auch Südafrikas Oberrabbiner Warren Goldstein. Er wurde in den vergangenen Wochen zum lautstarken Kritiker der ANC-Regierung, die ihm zufolge die religiöse und ideologische Zusammensetzung ihrer Wähler vergessen habe: »Südafrikas Bevölkerung macht etwa 60 Millionen aus, weniger als eine Million davon sind Muslime. Der Rest besteht aus Christen. Von ihnen ist die Mehrheit sehr gläubig, und die großen evangelikalen Kirchen unterstützen Israel.«

In einer unerwarteten Wende wurden Mitte Januar noch zwei weitere Länder in den Streit hineingezogen: Deutschland und Namibia. Auf X (vormals Twitter) unterstellte Namibias Präsident, Hage Geingob, Deutschland eine »Unfähigkeit, aus der schrecklichen Geschichte zu lernen«. Ein Regierungssprecher hatte zuvor bekannt gegeben, dass Deutschland in einem späteren Hauptverfahren wohl eine Stellungnahme zugunsten Israels abgeben werde. Der Staatschef der früheren deutschen Kolonie Namibia findet das »schockierend«. Wie könne Deutschland die UN-Völkermordkonvention gutheißen und gleichzeitig »Arten von Holocaust und Genozid« im Gazastreifen unterstützen, fragte Geingob. Namibia pflegt enge Beziehungen zu seinem Nachbarland Südafrika.

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