Argentinien

Exzentriker mit Hang zur Tora

Wurde am Sonntag zum argentinischen Präsidenten gewählt: Javier Milei Foto: IMAGO/Fotoarena

Der Vorsprung war am Ende unerwartet deutlich: Der Populist Javier Milei hat die Stichwahl um das Präsidentenamt in Argentinien gewonnen. Milei lag mit knapp 56 Prozent der abgegebenen Stimmen deutlich vor dem amtierenden Wirtschaftsminister Sergio Massa von der linksgerichteten Union für das Vaterland.

Javier Milei ist umstritten. Der Ökonom hat im Wahlkampf nichts weniger als eine radikale Verschlankung des Staatsapparates versprochen. Der 53-Jährige will gleich mehrere Ministerien ganz abschaffen; die Zentralbank des Landes würde er am liebsten in die Luft jagen. »Ich will eine Regierung, die ihre Pflicht erfüllt, die das Privateigentum und den freien Handel respektiert«, sagte Milei am Sonntagabend nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse.

Der Sieg des ebenso marktliberalen wie marktschreierischen Milei bedeutet eine Kehrtwende für Argentinien. Bislang hatten in der Casa Rosada, dem Sitz der Präsidenten, mit wenigen Ausnahmen eher linke Peronisten das Sagen. Sie sorgten dafür, dass der Staat massiv in die Wirtschaft eingreift, öffentliche Dienstleistungen subventioniert werden und in zahlreichen Provinzen mehr Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor beschäftigt sind als in der Privatwirtschaft. Milei will das nun ändern.

»Niemand mit so extremen Ansichten in Wirtschaftsfragen ist je zum Präsidenten eines südamerikanischen Landes gewählt worden«, sagte der Ökonom Mark Weisbrot vom US-Forschungsinstitut Center for Economic and Policy Research. »Er erkennt kaum eine legitime Rolle der Regierung in einigen der wichtigsten Politikbereiche an, die die meisten Menschen als notwendig für eine demokratische, humane und stabile Gesellschaft ansehen.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Milei profitierte vor allem von der Wut vieler Argentinier auf die Dauerkrise und das politische Establishment. Mit zerzaustem Haar und laufender Kettensäge wetterte er bei Wahlkampfveranstaltungen gegen die von ihm verhasste politische »Kaste«. Der Exzentriker lebt mit fünf riesigen geklonten Mastiffs zusammen, die er nach liberalen Ökonomen wie Milton Friedman und Robert Lucas benannt hat.

Das Enfant terrible der argentinischen Politik will außerdem den Waffenbesitz liberalisieren, ist gegen das Recht auf Abtreibung, glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und schimpft den argentinischen Papst Franziskus einen Kommunisten. Zwar bedient er sich wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro einer Anti-System-Rhetorik, allerdings verzichtet er im Gegensatz zu seinen Vorbildern auf rechtsradikale Ausfälle und befürwortet etwa die gleichgeschlechtliche Ehe.

Trump gratulierte Milei umgehend zum Wahlsieg. »Herzlichen Glückwunsch an Javier Milei zu einem großartigen Rennen um das Amt des argentinischen Präsidenten«, schrieb er auf der von ihm mitbegründeten Plattform Truth Social. »Ich bin sehr stolz auf Sie. Sie werden Ihr Land umkrempeln und Argentinien wirklich wieder großartig machen.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Und auch der Dachverband der jüdischen Gemeinden in Argentinien, die DAIA, wünschte Milei alles Gute. »Es ist unser Bestreben, im Kampf gegen Antisemitismus, alle Arten von Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit und zur Verteidigung der Menschenrechte zusammenzuarbeiten«, schrieb der Verband in einer Botschaft auf X (ehemals Twitter) – und fügte hinzu: »In dieser Zeit, in der wir keinen Frieden haben, weil immer noch mehr als 240 Geiseln, darunter 21 Argentinier, von der Hamas festgehalten werden, hoffen wir, dass die argentinischen Behörden sowie die führenden Politiker der Welt und die humanitären Organisationen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen werden, um die Freilassung der Geiseln und ihre rasche Rückkehr nach Hause zu erreichen.«

Obwohl er das Land noch nie besucht hat, gilt Milei als enger Freund Israels. Im Wahlkampf schwenkte er eine riesige Israelflagge und versprach, bei einem Wahlsieg die argentinische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Der Katholik hat zudem vor einiger Zeit eigenen Worten zufolge eine Konversion zum Judentum begonnen. Sein engster Berater ist der sephardische Rabbiner Axel Wahnish. »Ich gehe nicht in die Kirche, ich gehe in den Tempel, ich spreche nicht mit Priestern, ich habe einen Rabbiner, und ich lerne aus der Tora. Ich bin international als Freund Israels und als Tora-Gelehrter anerkannt«, sagte er vor einiger Zeit. Er selbst sei »nahe dran, ein Jude zu sein«.

Trotz dieser Nähe zum Judentum ist Mileis Beziehung zu den offiziellen Vertretern der jüdischen Gemeinschaft in Argentinien wie der DAIA und der AMIA in Buenos Aires nicht einfach. Der DAIA, die mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland vergleichbar ist, hat Milei bereits Sympathien für seine politischen Gegner unterstellt. Ein von der DAIA organisiertes gemeinsames Gedenken nach dem Terroranschlag der Hamas boykottierte Milei – offenbar auch, weil sein Rivale Massa dort teilnahm und er nicht mit ihm auf einem Foto erscheinen wollte.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Der Sozialwissenschaftler Alejandro Dujovne sagte der spanischen Tageszeitung »El País« über Milei: »Er nähert sich dem Judentum und sagt, er wolle zum Judentum konvertieren, aber seine Herangehensweise und sein Verständnis der jüdischen Erfahrung scheinen sich ausschließlich auf die Tora zu konzentrieren. Milei ist sich der sozialen Dimension und der zentralen Bedeutung des Gemeinschaftslebens nicht bewusst.« Der designierte Präsident wisse wenig über die Vitalität des institutionellen Netzes von jüdischen Schulen, Sportvereinen und Synagogen im Land, so Dujovne. »Und noch viel weniger weiß er von der Vielfalt der religiösen, kulturellen und politischen Ansichten, die das jüdische Leben in Argentinien prägen.«

Viele jüdische Intellektuelle im Land lehnen Javier Milei ab und halten ihn für einen rechtsradikalen Eiferer. So unterzeichneten rund 4000 Personen eine Erklärung, in der sie Besorgnis über Mileis »Hassreden« und seine »politische Instrumentalisierung des Judentums« zum Ausdruck brachten.

Jenseits seiner umstrittenen Rhetorik ist Milei politisch ein unbeschriebenes Blatt: In der großen Politik engagiert er sich erst seit ein paar Jahren. Und wie der neue Mann an der Staatsspitze mit den gewaltigen Problemen Argentiniens umgehen wird, steht noch in den Sternen. (mit dpa)

Hollywood

80 Jahre Goldie

Die quirlige Schauspielerin feiert ihren runden Geburtstag – und ist nicht zu bremsen

von Barbara Munker, Sophie Albers Ben Chamo  23.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

USA

Zwölf Familien, eine Synagoge

Die meisten Juden in Nordamerika leben in Großstädten, auf dem Land gibt es nur wenige Gemeinden – aber gerade dort wächst eine besonders starke Identität. Ein Besuch in der Kleinstadt Rome im Bundesstaat Georgia

von Katja Ridderbusch  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

Judenhass

»Wir wollen keine Zionisten«: Mamdani reagiert auf antisemitische Kundgebung vor Synagoge

Die Teilnehmer schrien unter anderem »Tod den IDF!« und »Globalisiert die Intifada!«

von Imanuel Marcus  21.11.2025 Aktualisiert

New York

Neonazi wollte als Weihnachtsmann jüdische Kinder mit Süßigkeiten vergiften

Der Antisemit soll zudem »Interesse an einem Massengewaltakt« gezeigt und Anleitungen zum Bau von Bomben geteilt haben. Nun wird er angeklagt

 21.11.2025

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  20.11.2025

Russland

Der Vater der israelischen Rüstungsindustrie

Emanuel Goldberg war ein genialer Erfinder in der Weimarer Republik. Die Nazis sorgten dafür, dass er in Europa vergessen wurde. Doch bis heute macht der Mann aus Moskau Israel sicherer

von Leif Allendorf  20.11.2025