Russland

Putins Künstler in Tel Aviv unerwünscht

Das Moskauer Lenkom-Theater Foto: picture alliance/dpa/TASS

Ende 1970 verurteilte die sowjetische Propaganda »zionistische Aktionen«, die zur Absage der Gastspiele des berühmten Bolschoi-Balletts in den USA geführt hätten. Gemeint waren Proteste jüdisch-amerikanischer Aktivisten, die den Auftritt von Moskauer Künstlern wegen der Diskriminierung von Juden in der Sowjet­union verhindern wollten.

Die Bolschoi-Tournee sollte die sowjetisch-amerikanische Annäherung begleiten und den nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 ramponierten Ruf der UdSSR verbessern. Als Triumph der sowjetischen Kunst gedacht, wurde sie für den Kreml zu einer politischen Blamage.

Mehr als 50 Jahre später wird die Kunst in Russland weiterhin politisch instrumentalisiert. Moskau hat seine perfiden Methoden verfeinert, und alte sowjetische antisemitische Denkmuster werden wieder ausgepackt. Das neueste Beispiel aus Israel bestätigt diese Tendenz.

PROTEST Ende Oktober wollte das renommierte Moskauer Lenkom-Theater dem israelischen Publikum seine berühmte Aufführung »Das Kaddisch« von Grigori Gorin (nach Scholem Alejchems Roman Tewje, der Milchmann) präsentieren. Unbekannte russische Sponsoren stellten die Mittel zur Verfügung. Die Moskauer sollten auf der prestigeträchtigen Habima-Bühne in Tel Aviv auftreten. Engagiert wurde der bekannte Impresario Gadi Oron. Der Kartenvorverkauf lief gut. Bei den vier geplanten Vorstellungen hätte man mit einem vollen Haus rechnen können.

Doch es kam zu einer heftigen Protestwelle, bei der aus der Ukraine stammende israelische Künstler den Ton angaben. Prompt distanzierte sich Oron von dem Projekt. Die Gastspiele wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Während die israelische Presse inzwischen von einer Ausladung der russischen Theatertruppe spricht, wird in Russland betont, das Lenkom-Theater selbst habe auf den Auftritt in Israel verzichtet, da die Künstler bedroht worden seien und die Gastgeber deren Sicherheit nicht hätten gewährleisten können.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurden bereits mehrere Auftritte von russischen Kriegssympathisanten in Israel abgesagt. Der Fall Lenkom ist jedoch besonders brisant, denn dieses Theater, das eng mit dem Kreml verbunden ist, wollte ausgerechnet mit einer Inszenierung kommen, die unter postsowjetischen Juden bekannt und beliebt ist.
Das Drama spielt Ende des 19. Jahrhunderts im jüdischen Schtetl Anatewka in der Ukraine und thematisiert unter anderem antisemitische Ressentiments der lokalen Bevölkerung. Der Theaterdirektor Mark Warschawer und der Regisseur Alexander Lasarew machten im Vorfeld der Gastspiele keinen Hehl aus ihrer Absicht, beim israelischen Publikum Assoziationen mit der heutigen Situation in der Ukraine hervorzurufen.

Warschawer und Lasarew sind offene Putin-Unterstützer. Der Tewje-Darsteller Andrej Leonow übergab im Frühjahr seinen privaten Lastkraftwagen dem Sanitätsdienst der russischen Streitkräfte in der Ukraine. Seine Kollegin Olesja Schelesnjak, die in der Aufführung Tewjes Ehefrau Golda spielt, hetzt gegen die »Faschisten« in der Ukraine. Und da gibt es noch Wiktor Rakow, der seit Jahren verschiedene Rollen im »Kaddisch« übernimmt und vor Kurzem im berüchtigten antiukrainischen Propagandafilm Der Zeuge aufgetreten ist.

PROVOKATION Unter diesen Umständen stellte das russische Theaterprojekt in Israel eine klare Provokation dar: Einerseits wollte das Lenkom die internationale Isolation von Kreml-treuen Künstlern durchbrechen; andererseits sollte es Moskaus Narrative über die »faschistische« und »antisemitische« Ukraine verbreiten.

Während die israelische Politik sich bewusst zurückgehalten hat, um das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland nicht zusätzlich zu strapazieren, traf die Lenkom-Ausladung Moskau ins Mark. Der Kreml ließ Lenkom-Künstler und regierungstreue russisch-jüdische Autoren den »ukrainischen Faschismus« und seine Sympathisanten in Israel in der berüchtigten Manier der sowjetischen antiisraelischen Propaganda beschimpfen und verlangte vom jüdischen Staat eine Aufklärung des Vorfalls. Jerusalem ließ sich nicht auf die Diskussion ein. Putins Künstler scheinen in Israel weiterhin unerwünscht zu sein.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der jüdischen Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025