USA

Israel als Wahlkampfthema

Der Super Tuesday ist da – am 5. März wird gleich in 16 US-Staaten sowie in Amerikanisch-Samoa bei einer Vorwahl entschieden, welche Kandidatin oder welcher Kandidat im Rennen um die anstehende US-Präsidentschaftswahl vorn liegt. Und wohl selten spielten Juden, Themen rund um Israel und der nachgerade grassierende Antisemitismus eine so starke Rolle wie diesmal.

Amerika hat nicht nur ein Problem namens Trump. Die drohende Wiederwahl des vielfach juristisch belangten Ex-Präsidenten ist nur ein unberechenbarer Faktor in der US-Politik. Auch Israels Gegenwehr in Gaza nach dem 7. Oktober 2023 ist ein Thema, das besonders Israelfreunde innerhalb der amerikanischen Wählerschaft umtreibt. So zeigte eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des Instituts für Sozialpolitik und Verständigung (The Ins­titute for Social Policy and Understanding, ISPU), die erstmals untersuchte, wie unterschiedliche religiöse Gruppen einen Waffenstillstand im Gazastreifen beurteilen, ein erstaunliches Ergebnis.

Die Mehrheit der Muslime wünscht einen Waffenstillstand

Die ISPU-Daten belegen, dass die Mehrheit der Muslime (75 Prozent) einen Waffenstillstand wünscht. Interessant ist allerdings, dass auch die Hälfte der Juden diese Waffenruhe unterstützt. Aufgeschlüsselt nach politischer Partei und Religion steigt die Zahl sowohl bei den jüdischen Demokraten (57 Prozent) als auch bei den muslimischen Demokraten (78 Prozent). Die Tatsache, dass jüdische und muslimische Amerikaner in dieser Frage ähnliche Ansichten vertreten, mag befremdlich erscheinen, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Interessenlagen sind. Allerdings habe die positive Einstellung von Juden und Muslimen zueinander im Laufe der Zeit zugenommen, wie 2019 eine repräsentative Umfrage, die American Muslim Poll von ISPU unter Juden und Muslimen, ergab.

Darüber hinaus erzielten jüdische Befragte im Jahr 2022 die niedrigsten Werte auf dem Islamophobie-Index. Die aktuell eher konfliktarme Beziehung zwischen muslimischen und jüdischen Amerikanern lässt sich wohl auf deren gemeinsame Erfahrungen mit Diskriminierung zurückführen. Nach den Präsidentschaftswahlen 2016 war die Angst vor Gewalt durch weiße rechtsradikale Gruppen unter muslimischen (38 Prozent) und jüdischen (27 Prozent) Amerikanern am größten. Diese emotionale Nähe sowie der massive Anstieg eines linken Antisemitismus und Antizio­nismus – vor allem an amerikanischen Elite-Universitäten – sorgt für eine neue Gemengelage vor den Wahlen.

Die Demokraten sind heillos zerstritten zwischen Palästinenser-freundlichen Wählern – darunter auch viele junge Juden – und den klassischen Israelfreunden. Und selbst aus der ultrarechten Ecke droht Israelbefürwortern unter den US-Wählern Ungemach. Denn auch die radikalen Christen in den USA, eine für die Trump-getrimmten Republikaner entscheidende Wählergruppe, für deren Schimäre eines christlichen Heiligen Landes sich der Ex-Präsident während seiner Amtszeit besonders israelfreundlich gerierte, befürworten mehrheitlich einen Waffenstillstand.

Sorge um die heiligen Stätten in Bethlehem

Grund, so das Ergebnis einer weiteren ISPU-Erhebung: die Sorge um die für sie heiligen Stätten in Bethlehem. So ist es kein Wunder, dass jüdische politische Interessengruppen derzeit ihre Bemühungen verstärken, jüdische Wähler in den umkämpften Staaten zu erreichen. Während sowohl der Jewish Democratic Council of America (JDCA) als auch die Republican Jewish Coalition (RJC) ihre Unterstützung für Israel und dessen Recht auf Selbstverteidigung betonen, stehen die Gruppen vor unterschiedlichen Herausforderungen, wenn es darum geht, Stimmen bei der jüdischen Wählerschaft zu gewinnen.

Präsident Joe Biden läuft Gefahr, in seiner eigenen Partei zur Minderheit zu werden.

Die JDCA und ihr politisches Aktionskomitee (Political Action Committee, PAC) werden es mit einer jüdischen Wählerschaft zu tun haben, die zwar überwiegend die Demokraten und Präsident Joe Biden unterstützt, doch sehen deren jüngere Wähler die Reaktion der Regierung Biden auf den Krieg zwischen Israel und Hamas besonders kritisch.

Eine im November 2023 vom überparteilichen Jewish Electorate Institute durchgeführte Umfrage ergab, dass 68 Prozent der jüdischen Wähler Joe Biden im Falle eines direkten Duells gegen Donald Trump unterstützen würden. Doch die Zahl trügt, denn seit November hat sich die Lage im Gazastreifen aus Sicht vieler Wähler zugespitzt. Linke jüdische Organisationen wie »Jewish Voice for Peace« gewinnen mehr und mehr an Boden, und gerade erst haben sich 70 amerikanische Großstädte, unter anderem Chicago und Seattle, für eine sofortige Waffenruhe in Gaza ausgesprochen – die überwiegende Mehrzahl von ihnen ist demokratisch regiert.

Kaum eine Woche ohne akademische Proteste gegen den jüdischen Staat

Zwar kämpfen die traditionellen jüdischen Bürgerrechtsorganisationen wie das American Jewish Committee (AJC) oder die Anti-Defamation League (ADL) weiterhin unverdrossen gegen die vielfältigen Attacken auf Israel in der amerikanischen Gesellschaft und im bürgerlichen Judentum, doch sind es wohl häufig die eigenen Kinder, welche die Berechenbarkeit jüdischen Wahlverhaltens derzeit unterminieren. Es vergeht kaum eine Woche ohne akademische Proteste gegen den jüdischen Staat.

Im Unterschied zu Europa sind auf diesen Demos – wie kürzlich vor New Yorks renommierter Columbia University – kaum Menschen arabischer Herkunft zu sehen. Es sind die Kids der weißen US-Elite, die da auf dem Broadway »From the River to the Sea« skandieren.

Zusammen mit denjenigen linken Demokraten, die ihre Israelfeindlichkeit ohnehin schon in ihrer Partei politisch ausleben wie etwa Ilhan Omar und Rashida Tlaib, wandelt sich so stetig das Israelbild der Demokraten. Und Joe Biden läuft Gefahr, in seiner eigenen Partei zur Minderheit zu werden.

Dass sich dies unmittelbar auf die amerikanische Politik auswirken kann, zeigt eine Abstimmung: Am 5. Dezember vergangenen Jahres wurde im Repräsentantenhaus über eine Resolution abgestimmt, die feststellen sollte: »Antizionismus ist Antisemitismus.« Zwar sah das Abstimmungsergebnis mit 311 zu 14 zunächst beruhigend aus – doch hatten sich von 212 demokratischen Parlamentariern 105 der Stimme enthalten. Fast die Hälfte der Abgeordneten der Biden-Partei stimmte also der Resolution nicht zu. Ein beachtlicher Tabubruch.

»Die Juden hier auf dem Campus haben nach dem 7. Oktober keinerlei Unterstützung erhalten. Nach dem Motto: Wer sein Mitgefühl äußert, wird als Zio­nist abgestempelt.« So erklärte Jonah Hein, Hillel-Rabbiner an der Columbia University, dass er New York nicht mehr als sicheren Ort für Juden ansieht – und lässt mit dieser Aussage seine Zuhörer schockiert zurück. Im Eingangsbereich der Universität stehen seit Wochen bewaffnete Polizisten – ein Bild, das an amerikanischen Universitäten bisher undenkbar war.

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