Regierungskrise

Koalition im Sturm

Unter Verdacht: Schas-Vorsitzender Arie Deri Foto: Flash 90

Regierungskrise

Koalition im Sturm

Premier Netanjahu konnte Neuwahlen gerade noch einmal abwenden – unterdessen soll Innenminister Deri wegen Betruges angeklagt werden

von Sabine Brandes  21.11.2018 11:55 Uhr

Nach den heftigen politischen Stürmen der vergangenen Woche wegen der Eskalation in Gaza hatten sich die Koalitionspartner in Israel am Montag zunächst um Harmonie bemüht. Doch die währte kaum 24 Stunden. Schon am folgenden Tag zog ein neues Unwetter auf. Polizeiermittler empfehlen offiziell, Innenminister Arie Deri wegen Betrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und weiteren Delikten anzuklagen. Es wäre nicht das erste Mal.

Deri, der Vorsitzende der ultraorthodoxen sefardischen Partei Schas, war bereits im Jahr 2000 wegen ähnlicher Vergehen angeklagt und verurteilt worden. Damals stand ebenfalls Bestechlichkeit in der Anklageschrift. 22 Monate saß er daraufhin im Gefängnis. Zehn Jahre später aber war er wieder auf dem politischen Parkett, als wäre nichts geschehen. Schas holte ihn zurück, und einige Zeit darauf zog er wieder als Chef ins Ressort fürs Innere ein – in dasselbe Ministerium, in dem er seine Taten begangen hatte. Reue indes scheint der Politiker wenig zu zeigen, denn jetzt sieht es nach Behördenangaben wieder so aus, als könnte Deri sich nicht zurückhalten, sich im Amt persönlich zu bereichern.

Vor Jahren wurde Deri schon wegen ähnlicher Vergehen angeklagt und verurteilt.

Deris Büro jedoch ließ am Dienstag verkünden: »Wir sind erfreut, dass die Ermittlungen nach drei Jahren zu einem Schluss gekommen sind und die Vorwürfe der schwerwiegenden Vergehen Diebstahl an Nichtregierungsorganisationen sowie Bestechlichkeit fallen gelassen wurden. Wir sind sicher, dass sich auch die anderen Vorwürfe gegen Minister Deri in Luft auflösen und es klarwerden wird, dass er nicht gegen das Gesetz verstoßen hat.«

Die Ermittler sehen das gänzlich anders und schlagen vor, nicht nur ihn, sondern auch seinen Bruder Schlomo Deri mitanzuklagen. Zwar sollen die meisten Vergehen in der Zeit geschehen sein, bevor der jetzige Minister wieder politisch aktiv wurde, jedoch nicht alle. Einige, sind die Behörden überzeugt, habe Deri begangen, nachdem er 2015 als Innenminister bestätigt wurde.

LIEBERMAN Dabei hat Premier Benjamin Netanjahu dieser Tage wahrlich andere Sorgen. Seine Regierungskoalition steht auf äußerst wackligen Beinen. Nachdem am vergangenen Mittwoch Verteidigungsminister Avigdor Lieberman im Anschluss an die Eskalation um Gaza zurückgetreten war, drohte die Regierung auseinanderzubrechen. Lieberman nahm seinen Hut gemeinsam mit den fünf Mandaten, die er in die Koalition eingebracht hatte. Damit bleiben Netanjahu gerade einmal 61 von 120 Mandaten in der Knesset, um seine Macht zu sichern. Sogar Finanzminister Mosche Kachlon (Kulanu) und Deri forderten ein Ende der Koalition.

Lieberman begründete seine drastische Entscheidung damit, dass die israelische Regierung sich nicht auf ein Waffenstillstandsabkommen mit der Terrororganisation Hamas hätte einlassen dürfen. Nur einen Tag zuvor hatte Jerusalem einer Waffenruhe zugestimmt. »Was wir jetzt tun, ist der Kauf von Ruhe ohne einen langfristigen Plan«, sagte Lieberman in seiner Rücktrittsrede. »Doch wir zahlen dafür einen zu hohen Preis.« Er kritisierte Netanjahu und andere Kabinettsminister direkt. »Ich konnte so nicht weiterhin meinen Dienst versehen und den Menschen im Süden in die Augen schauen.«

Netanjahu indes verteidigte die Entscheidung für den Waffenstillstand. »In Zeiten des Notfalls, wenn die Entscheidungen für die Sicherheit derart bedeutend sind, kann die Öffentlichkeit nicht immer in die Erwägungen eingeweiht werden. Unsere Feinde haben um einen Waffenstillstand gebettelt, und sie wissen genau, warum.«

KOMPLEX Aufstand Nur wenige Stunden darauf probte Naftali Bennett den Aufstand. Der Bildungsminister und Vorsitzende der Partei Jüdisches Haus forderte die Übertragung von Liebermans Job an ihn. Doch mittlerweile hatte Netanjahu das Amt selbst übernommen. Zudem rügte er den Bildungsminister, dass sein Verhalten während einer Sicherheitskrise unverantwortlich sei. »In einer Militäroperation steht das Verteidigungsministerium über politischen und persönlichen Befindlichkeiten«, sagte er am Sonntag. »Und wir befinden uns inmitten einer der komplexesten Operationen.«

Bei einem Treffen des Knesset-Komitees für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung am Montagmorgen führte Netanjahu aus: »Gestern habe ich den Posten des Verteidigungsministers übernommen. Ich habe mich mit Stabschef Gadi Eizenkot und dessen designiertem Nachfolger Aviv Kochavi getroffen. Wir sind bereit für alle Herausforderungen. Wie ich schon gesagt habe, ist die Militärkampagne noch nicht beendet. In dieser Zeit wäre es unverantwortlich, die Regierung zu Fall zu bringen. Egal, was geschieht, wir werden weiterhin aktiv sein, um die Sicherheit unseres Staates und unseres Volkes zu garantieren. Wir werden dies klug, verantwortlich und mit Entscheidungskraft tun.«

Bennett kritisierte Netanjahu, sagte ihm aber weiterhin Unterstützung zu.

Alle waren sicher, dass die dramatisch angekündigte Ansprache von Bennett im Anschluss seinen Rücktritt bedeuten würde. Doch als er ans Rednerpult trat, klang es plötzlich ganz anders. Offenbar hatte der Chef der Siedlerpartei zu hoch gepokert. Sein Ultimatum, er werde die Regierungskoalition verlassen, sollte ihm Netanjahu das Verteidigungsministerium nicht überlassen, nahm er zurück. Er kritisierte den Regierungschef zwar, sicherte ihm jedoch gleichzeitig Unterstützung zu.

Israel habe in sicherheitspolitischen Belangen die falsche Richtung eingeschlagen und seit dem zweiten Libanonkrieg von 2006 aufgehört zu siegen, sagte Bennett. »Ich habe es gesehen: die Verwirrung, das Chaos, den Mangel an Entscheidungswillen, den Mangel an Kampfgeist.« Er glaube allerdings, dass Netanjahu mit ihm, Bennett, an seiner Seite den Kurs korrigieren könne. »Wir glauben, dass es nur eine Antwort auf Terror, Raketen und Granaten gibt: wieder zu siegen.« Er werde Netanjahu als Verteidigungsminister unterstützen, »um Israels schwere Sicherheitskrise zu überwinden«.

Und so wurden weniger als eine Woche nach dem Beginn der Krise zumindest für Netanjahu alle Sorgen, dass seine Regierungskoalition zerbrechen könnte, vom Winde verweht.

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