Reaktionen

Israelis gehen auf die Straße – für und gegen den Deal

Angehörige von Geiseln demonstrierten am Mittwoch in der Nähe der Residenz des Ministerpräsidenten in Jerusalem für einen Geisel-Deal Foto: Copyright (c) Flash 90 2025

Viele Israelis drücken in diesen Tagen ihre Meinung mit den Füßen aus. Sie gehen auf die Straßen und demonstrieren – für einen Geiseldeal und auch dagegen.

Nach 15 Monaten des Krieges gegen die Hamas sind noch immer 98 Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation. Bereits mehrere Anläufe für eine Vereinbarung waren gescheitert. Doch in den vergangenen Tagen hatte sich abgezeichnet, dass es dieses Mal einen Durchbruch geben könnte. Am Mittwochabend schließlich wurde bestätigt, dass das Abkommen für einen Waffenstillstand und die Befreiung der Geiseln aus Gaza tatsächlich zustande kommen würde.  

Das Forum für die Familien von Geiseln und Vermissten schrieb in den sozialen Netzwerken: »Im Hinblick auf die Berichte über ein Abkommen heißen wir die Rückkehr jeder Geisel willkommen. Denn jede einzelne steht für die Hoffnung und die Erleichterung nicht nur für ihre Familie, sondern für unsere ganze Gemeinschaft.«

Weiter schrieb das Forum: »Wir rufen dringend dazu auf, ein Rahmenwerk zu schaffen, dass jede Person zurückbringt, die in Geiselhaft ist. Nach mehr als 460 Tagen erleiden unsere Liebsten noch immer Unfassbares. Obwohl wir jede Rückkehr feiern, ist es unsere Mission, dass alle Verschleppten nach Hause kommen.« Für die 30 Geiseln, die in der Geiselhaft ermordet wurden, käme das Abkommen tragischerweise zu spät. »Wir werden nicht ruhen, bis auch die letzte Geisel frei ist.«

Viele forderten auf ihren Schildern einen Deal

Auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv gesellten sich am Dienstag und Mittwochabend Tausende Israelis zu den Angehörigen und drückten ihre Solidarität aus. Viele hielten Schilder in die Höhe, mit denen sie einen Deal forderten. Eden Meiri war spontan auf den Platz gekommen, um ihre Zustimmung dafür hervorzuheben. Auch sie hatte ein Plakat dabei. »Iska – kulam achschwav« (Deal für alle – jetzt) stand darauf. »Wir müssen heute an der Seite der Familien stehen. Aber ebenso wichtig ist es, klarzumachen, dass wirklich alle Geiseln freikommen.«

Um seine Solidarität mit den Angehörigen zu zeigen, war auch Tomer Nathan gekommen. Nach eigenen Worten »hofft er inständig, dass die Geiseln freikommen und der Krieg endet«, doch überzeugt ist er nicht. »Gerade hat der Emir von Katar gesagt, dass die Umsetzung am Sonntag beginnt. Das gibt der Hamas und der israelischen Regierung noch vier Tage Zeit, ihre Meinung zu ändern. Das macht mir Angst. Leider haben wir schon viel zu oft gesehen, dass es schief geht.« Seiner Meinung nach brauche Israel dringend einen Deal »um endlich wieder das Licht am Ende des Tunnels zu sehen und als Gesellschaft zu heilen.«  

»Die beiden Mädchen gingen weiter, und ich blieb zurück. In der Hölle.«

Die ehemalige Geisel Moran Stella Yanai berichtete am Abend von den letzten Tagen während ihrer Gefangenschaft. »Am 49. Tag brachten uns zum Übergabepunkt, wo die Hamas die Geiseln dem Roten Kreuz übergab. Zwei Mädchen waren mit mir zusammen.« Doch genau dort, einen Schritt von der Freiheit entfernt, hätten die Terroristen sie zurückgezogen. »Die beiden Mädchen gingen weiter, und ich blieb zurück. In der Hölle.«

Lesen Sie auch

»Diese Nacht war die längste meines Lebens«, so die Israelin. »Ich stellte mir vor, wie sie die Welt da draußen berührten – eine köstliche Frucht aßen, klares Wasser tranken, taten, was sie wollten. Diese Gedanken waren mein Licht in der Dunkelheit.«

»Aber wie viel Hoffnung kann ein Mensch nach 466 Tagen haben?«, fragte sie die Anwesenden. »Keiner von ihnen darf dort verbleiben. Dies ist keine Frage von Strategie oder Ideologie. Es geht um Menschlichkeit und darum, dass jeder Einzelne zurückkehren muss.« Die befreite Geisel appellierte auch an die internationale Gemeinschaft, bei der Heimholung der Geiseln zu helfen. »Dies sind unsere Kinder, Eltern, Brüder und Schwestern, Menschen mit Träumen, Hoffnungen und Angehörigen, die sich nach ihrer Rückkehr sehnen«, sagte sie. »Beweisen Sie, dass Mitgefühl über Verzweiflung siegen kann.«

In der ersten Phase sollen 33 Geiseln freigelassen werden

In der ersten, 42-tägigen Phase sollen 33 Geiseln freigelassen werden, im Austausch für einen Teilabzug Israels und die Freilassung vieler Hunderter palästinensischer Sicherheitsgefangener, darunter mehr als 150 Terroristen, die wegen Mordes an Israelis lange Haftstrafen verbüßen. Der dreistufige Deal soll die Freilassung aller 98 Geiseln, lebend und tot, sowie das Ende des Krieges und den Wiederaufbau Gazas mit Sicherheitsmechanismen für Israel erwirken.

Unterdessen marschierten in Jerusalem Hunderte Demonstranten zum Büro des Premierministers, um gegen Geiseldeal zu protestieren. Später am Abend blockierten sie eine Straßenkreuzung im Zentrum Jerusalems. »Ein freigelassener Terrorist ist der Mörder von morgen«, skandierten die Demonstranten. Der Protest wurde vom Gevura-Forum organisiert, einer rechtsgerichteten Gruppe von Familien getöteter Soldaten. Viele der Mitglieder sind Unterstützer der ultranationalistischen Partei Religiöser Zionismus, deren Vorsitzender Finanzminister Bezalel Smotrich ist.

In Jerusalem demonstrierten am Abend Israelis gegen den Geisel-DealFoto: copyright (c) Flash90 2025

Die Familien und ihre Unterstützer forderten Premierminister Benjamin Netanjahu auf, den Deal rückgängig zu machen und die derzeitige Militäroffensive gegen die Hamas in Gaza fortzusetzen. »Wir fordern, diesem Deal nicht nachzugeben. Er wird Tausende von Terroristen mit Blut an ihren Händen freilassen«, rief einer der Organisatoren. »Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht vergeben. Sie haben kein Mandat, sich der Hamas zu ergeben.«

»Hat sich etwas geändert, sodass Sie begonnen haben, mit den Kindern der Dunkelheit zu sprechen?«

Amitai Wiesel, dessen Bruder Elkanah in Gaza gefallen war, wandte sich direkt an Netanjahu: »Ich erinnere mich, an eine Ihrer ersten Pressekonferenzen zu Beginn des Krieges. Sie nannten diesen Krieg einen ›Krieg zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Dunkelheit‹. Ich frage Sie heute, was ist passiert? Hat sich etwas geändert, sodass Sie begonnen haben, mit den Kindern der Dunkelheit zu sprechen?«

Ebenfalls gegen einen Deal sind die Geiselangehörigen, die sich im Tikva-Forum organisiert haben. Sie verlangen, einen »vollständigen Sieg« gegen die Hamas. Viele von ihnen unterstützten die Besiedlung des Gazastreifens durch jüdische Gruppen, und vertreten ähnliche Ansichten wie die rechtsextremen Politiker in der Regierungskoalition, die das Abkommen ebenfalls ablehnen. Dazu gehören neben Smotrich auch der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir. Beide haben sich mehrfach für die Besiedlung Gazas ausgesprochen.

Zur selben Zeit sprach Gania Zohar, die Tante der ermordeten Geisel Omer Neutra auf dem Platz der Geiseln und forderte die Menschen auf, gemeinsam das jüdische Gebet »Schema Yisrael« zu rezitieren. Am Ende stimmten alle in ein »Amen« ein, das durch den Abend hallte. »Damit senden wir den Unterhändlern Kraft«, rief sie den Menschen zu. »Damit sie alle Geiseln nach Hause holen.«

Israel im Krieg

Israel holt ab Mittwoch Bürger aus dem Ausland zurück

Wegen des Kriegs mit dem Iran ist der Flugverkehr in Israel lahmgelegt. Zehntausende Israelis sitzen im Ausland fest. Nun sollen die Ersten in die Heimat geflogen werden

 17.06.2025

Interview

»Irans Armee hat jetzt schon eine beträchtliche Niederlage einstecken müssen«

Nahostexperte Michael Spaney über die vorläufige Bilanz der israelischen Luftschläge, die Schwäche der iranischen Terror-Proxies und mögliche Auswirkungen auf den Ukrainekrieg

von Joshua Schultheis  17.06.2025

Israel im Krieg

Koch Tom Franz über den Schabbat: Stilles Handy ist wunderbare Sache

Religiöse Jüdinnen und Juden schalten am Ruhetag Schabbat ihr Telefon aus. Warum das der Koch Tom Franz schätzt - und wie er sich als gestrandeter Israeli bei seinem Vater in NRW gerade fühlt

von Leticia Witte  17.06.2025

Krieg gegen den Iran

Katz: »Werden heute sehr bedeutsame Ziele in Teheran angreifen«

In Kürze würde die Bevölkerung der iranischen Hauptstadt zur Evakuierung aufgerufen

 17.06.2025

Folge des Krieges

»Wir wollen nach Hause«

Nachman Shai über die im Ausland gestrandeten Israelis, ein Rückholprogramm und seinen unfreiwillig verlängerten Aufenthalt in Prag

von David Kauschke  17.06.2025

Nahost

Iran will israelische Drohnenfabrik in Isfahan aufgedeckt haben

Auch aus dem Iran heraus soll Israels Geheimdienst im Zuge des Angriffs operiert haben - etwa mit Drohnen. Nun haben die iranischen Behörden im eigenen Land einen Fund gemacht

 17.06.2025

Nahost

Trump fordert Menschen in Teheran zur Evakuierung auf

Derweil verstärken die USA ihre Militärpräsenz im Nahen Osten. Das habe mit dem Schutz der eigenen Truppen in der Region zu tun, heißt es

 17.06.2025

Iran

Israel tötet neuen Militärstabschef nach nur vier Tagen im Amt

Ali Schadmani war am Freitag erst zum Nachfolger des beim ersten Angriff getöteten Alam Ali Raschid bestimmt worden

 17.06.2025

Nahost

Israel: Die Tötung Chameneis könnte den Krieg mit Iran beenden

Premier Benjamin Netanjahu: Wir tun, was wir tun müssen

 17.06.2025