Kommentar

Der ESC kann auf israelfeindliche Staaten verzichten

Redakteur bei der taz und ESC-Kenner: Jan Feddersen Foto: Rainer Nicolaysen

Kommentar

Der ESC kann auf israelfeindliche Staaten verzichten

Eine Reihe von Ländern will den Eurovision Song Contest 2026 boykottieren, sollte Israel daran teilnehmen. Gut möglich also, dass Spanien, die Niederlande und Slowenien nächstes Jahr in Wien fehlen werden. Na und?

von Jan Feddersen  26.09.2025 16:34 Uhr

Würde eintreten, was die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten Spaniens, Irlands, Sloweniens und der Niederlande wollen, wäre dies ein Bruch mit allen Traditionen des Eurovision Song Contest: Im November, auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, soll entschieden werden, ob Israel am 70. ESC teilnehmen darf oder nicht. Überhaupt zu diesem Ansinnen abstimmen zu lassen, ist skandalös: Es wäre das erste Mal in der Geschichte der European Broadcasting Union (EBU) mit Sitz in Genf, dass eine TV-Organisation von der Teilhabe am größten Live-Pop-Event mindestens Europas entfernt werden soll.

Der Grund liegt in Israels militärischen Aktionen im Gazastreifen, gegen die dort herrschende Terrororganisation Hamas - so sagen es die Sender, so erwägen auch andere TV-Anstalten einen Boykott des ESC, sofern Israel mit von der Partie wäre, etwa die in Belgien, Island oder, ginge es nach einigen Angestellten des norwegischen Fernsehens NRK, auch dieses Land Skandinaviens. Würde die EBU einen Beschluss in dieser Hinsicht fassen, wäre dies der bislang größte Triumph der Israel dämonisierenden und faktisch antisemitischen Organisation BDS (»Boycott, Divestment and Sanctions«): Israel, hier wenigstens nur symbolisch, auszulöschen.

Israel ist eines der erfolgreichsten ESC-Länder

Jene, die den Ausschluss Israels fordern, sind fast durchweg in jenen Ländern beheimatet, die jüngst auf ihre Regierungen Druck ausübten, den nichtexistenten Staat Palästina diplomatisch anzuerkennen. Und sie sagen, dass die EBU ja auch unmittelbar nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 Russland (und Belarus) ausgeschlossen habe. Der Unterschied ist nur: Die für den ESC verantwortlichen TV-Sender in jenen Ländern waren nie oder nicht mehr frei in ihrer journalistischen Arbeit, sondern strikt Direktiven ihrer Regierungen unterworfen. Das jedoch trifft auf den ESC-Sender KAN in Israel nicht zu: Es ist kein Netanyahu-Staatssender, und die liberalen, vor allem Netanyahu-kritischen Israelis wissen das auch (sehr zu schätzen).

Aber diese feine, aber gewichtige Unterscheidung interessiert die Milieus nicht, die Israel von allen internationalen Anschlüssen tilgen wollen, sei es beim Fußball, in den Wissenschaften, im Sport überhaupt - und jetzt eben beim ESC.

Israel war in der Eurovisionscommunity immer beliebt - bis der antisemitische Aktivismus in Europa den ESC zu kapern begann.

Israel kam zum ESC erstmals 1973 zu Besuch, es war die Sängerin Ilanit, die für ihr Land einen fünften Platz errang. Dass Israel überhaupt mitmachen konnte, liegt an der besonderen Konstruktion der EBU: ein öffentlich-rechtliches Netzwerk, das teils weit über die geografischen Grenzen des Kontinents hinausreicht, eigentlich geschaffen, um den internationalen Austausch von Bild- und Tonmaterial zu ermöglichen. 1973, nach dem Olympiamassaker palästinensischer Terroristen in München, war Israel in seiner Nachbarschaft isolierter denn je und suchte Kontakt nach Europa - der ESC war eine wichtige Bühne, um als kleines Land im Nahen Osten sichtbar zu bleiben.

In den folgenden Jahrzehnten avancierte Israel zu einem der erfolgreichsten Länder der Eurovisionsgeschichte mit sehr vielen vorderen Plätzen und vier Triumphen, zuletzt 2018 durch die Tel Aviverin Netta Barzilai und ihrem Act namens »Toy«. Israel war in der Eurovisionscommunity immer beliebt - bis der antisemitische Aktivismus (nicht allein) in Europa den ESC zu kapern begann.

Eine Dreiviertelmajorität gegen Israel zeichnet sich nicht ab

2024, ein gutes halbes Jahr nach dem Hamas-Massaker im Süden Israels, in Malmö beim 68. ESC organisierten nicht nur BDS-nahe Kräfte Demonstrationen in der schwedischen Hafenstadt wider Israel, auch etliche Künstler und Künstlerinnen schlossen sich den Dämonisierungsmoves des Zeitgeistes an, auch der spätere Sieger des Festivals, der Schweizer Nemo. Israels Sängerin Eden Golan hatte starke Buhrufe in der Malmöer Halle zu ertragen, wie auch in diesem Jahr die Überlebende des 7. Oktober, Yuval Raphael. Mit anderen Worten: Man nahm Israel und seinen Künstlerinnen den 7. Oktober 2023 übel.

Israels TV-Sender wies in einer Stellungnahme zur nahenden außerordentlichen, nur Israel selbst gewidmeten Mitgliederversammlung darauf hin, dass für einen Ausschluss 50 Prozent der EBU-Mitglieder notwendig sind - und diese Majorität zeichnet sich nicht ab. Knapp zwei Dutzend Länder bzw. TV-Stationen haben für den 70. ESC im Mai in Wien zugesagt. Deutschland und seine ARD haben schon vor Wochen erklärt, dass für sie ein Ausschluss unter keinen Umständen infrage kommt, ebensolche Verlautbarungen sind aus den meisten osteuropäischen Ländern zu hören, wie auch aus Italien.

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Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister, erklärte jüngst, der einst Grand Prix Eurovision in Deutschland genannte ESC sei mit der Idee gegründet worden, Nationen durch Musik zu verbinden. »Wer heute Israel ausschließt, stellt diesen Grundgedanken auf den Kopf und macht aus einem Fest der Verständigung ein Tribunal.« Der ESC lebe davon, so Weimer, dass Künstlerinnen und Künstler nach ihrer Kunst, nicht nach ihrer Nationalität beurteilt würden.

Sein Statement ist natürlich auch ein bisschen idealistisch gehalten: ESC heißt eben immer auch, seit jeher, dass über Gefühligkeiten abgestimmt wird - Nachbarländer erhalten mehr Punkte als fernstliegende. Aber politische Bewegungen wie die antiisraelische in diesen Zeiten, die hatten bislang nicht vermocht, dieses Event unter ihre Fuchteln zu bringen: Sie mögen scheitern, denn Israels Yuval Raphael erhielt im Mai die meisten Stimmen der Televoter, also der Publikumsabstimmungen in den 36 konkurrierenden Ländern, bei den Jurys, oft Angehörige der kulturellen Eliten ihrer Länder, schnitt die Israelin mittelmäßig ab.

Ist Israel in Europa womöglich nicht so unpopulär, wie gewisse Aktivistenkreise behaupten? So oder so: Gut möglich, dass Spanien, die Niederlande, Slowenien und andere im nächsten Jahr in Wien vermisst werden müssen. Knapp gesagt: Na und?

Der Autor ist Redakteur der taz und schreibt regelmäßig über den ESC.

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