Hagenow

Von Dohnányi war hier

Die Welt in Hagenow zu Hause», mit diesen wenigen Worten bringt Henry Gawlick die Bedeutung des Kulturzentrums «Alte Synagoge» für die westmecklenburgische Kleinstadt auf den Punkt. Aus dem Direktor des Heimatmuseums – er ist zugleich verantwortlich für die ehemalige Synagoge – sprudelt es nur so heraus: «Wir hatten Besucher aus Italien, Ungarn, den Niederlanden, Russland, Skandinavien, aus allen Regionen Deutschlands natürlich, aber auch aus Brasilien, USA, Kanada und Israel.» Jetzt feiert das Gebäude-Ensemble Jubiläum, vor zehn Jahren – im September 2007 – wurde es eröffnet.

Die Fachwerkhäuser in der Hagenstraße sind einzigartig in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus etwas Besonderes in ganz Norddeutschland. Hagenows Juden hatten 1828 mitten in der Stadt ihre Synagoge gebaut, das Vorderhaus beherbergte Religionsschule, Lehrerwohnung und die Mikwe. Seit 1907 gab es allerdings keine Gottesdienste mehr, der letzte Jude starb 1937 in Hagenow.

Puddingfabrik Im Jahr darauf wurde die Synagoge während der Pogromnacht zerstört, blieb aber so weit erhalten, dass sie in den folgenden Jahrzehnten unter anderem eine Puddingfabrik und ein Nährmittellager war, auch Büros wurden hier eingerichtet. «Wenn das Haus in diesen ganzen Jahren nicht genutzt worden wäre», sagt Henry Gawlick, «dann wäre das Gebäude heute nicht mehr da.»

2001 erwarb die Stadt Hagenow das Ensemble von der Claims Conference. Und es sollte nicht nur erhalten werden, erinnert sich die ehemalige Bürgermeisterin und heutige Vorsitzende des Fördervereins Gisela Schwarz. «Es waren die Stadtvertreter, die damals sagten, es könne nicht nur saniert werden, es müsste etwas Weitergehendes wie ein Kulturzentrum entstehen, das die Geschichte bewahrt und sich zugleich mit ihr auseinandersetzt.»

Festspiele Im September 2007 konnte dann die ehemalige Synagoge nach dreijähriger Bauzeit feierlich eröffnet werden – mit einem Konzert im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Der international gefeierte Geiger Daniel Hope ließ sich nicht lange bitten, für ihn war es damals «ein ganz wichtiges Zeichen über Mecklenburg-Vorpommern hinaus, dass solche Kulturzentren entstehen». Knapp zwei Jahre darauf, im Frühjahr 2009, wurde auch die ehemalige Religionsschule nach umfangreicher Sanierung übergeben. Seither bietet hier eine Ausstellung einen Überblick über jüdisches Leben in der Region. Das Vorderhaus widmet sich somit vor allem der Vergangenheit, in der Synagoge ist die Kultur der Gegenwart zu Hause.

Nicht nur die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern waren in diesem vergangenen Jahrzehnt jährlich mit Konzerten zu Gast in der ehemaligen Synagoge, zahlreiche bekannte Künstler wie die Klezmer-Violinistin Deborah Strauss, der Pianist Igor Levit oder der Schauspieler Michael Degen traten in Hagenow auf. Mehr als 4000 Besucher jährlich zählt das Kulturzentrum mit seinen Konzerten, Lesungen und Ausstellungen.

Zum Jubiläum am 19. August treten unter anderem drei Künstler mit ihrem Projekt «WAKS – Yiddish Voices» auf. Hierbei handelt es sich um historische Aufnahmen mit jiddischen Stimmen aus der Sowjetunion zwischen 1928 bis 1941, die damals auf Wachswalzen festgehalten wurden und die nun von Inge Mandos, Klemens Kaatz und Hans-Christian Jaenicke neu interpretiert und in ihr Programm eingebunden werden.

Autobahnschild Dass nicht zuletzt viele Touristen den Weg in die mecklenburgische Kleinstadt finden, liegt auch am gerade einmal zehn Kilometer entfernten Hinweisschild an der Autobahn Berlin – Hamburg. «Das war uns damals sehr wichtig, dass wir unser Synagogenensemble über die Stadt hinaus bekannt machen können», erinnert sich Gisela Schwarz, «denn dieses Autobahnschild bringt Menschen hierher, die sonst nie daran gedacht hätten, einen Schlenker nach Hagenow zu machen.»

Und so «verirrte» sich auch manch Prominenter ganz privat in die Kleinstadt. Einmal führte Henry Gawlick ein Ehepaar aus Hamburg durch die Ausstellung und die ehemalige Synagoge. «Wir unterhielten uns auch über Musik und darüber, was hier so möglich sei», erzählt der Museumsdirektor, «doch erst, als ich sie bat, sich in unser Gästebuch einzutragen, wurde klar, dass der Dirigent Christoph von Dohnányi mit seiner Ehefrau unsere Gäste waren.»

Auch wenn die Hagenstraße nicht zu den bekanntesten Straßen Hagenows gehört und ein wenig abseits des belebteren Stadtzentrums liegt – mit dem Kulturzentrum «Alte Synagoge» ist die kleine Straße ein Stück bekannter geworden, da ist sich Henry Gawlick sicher. Er berichtet von älteren oder vor Jahren weggezogenen Hagenowern, die wieder einmal ihre Heimatstadt besuchen.

Die würden dann staunend vor dem Ensemble stehen und erzählen, dass sie das alles nicht gewusst hätten. «Wir haben das Ensemble wieder ins Bewusstsein gerückt, ein Kulturdenkmal erhalten und somit auch ein Stück jüdische Geschichte», bemerkt Hagenows Musemsdirektor, und die Genugtuung darüber ist ihm dabei durchaus anzumerken nach zehn Jahren Kulturzentrum «Alte Synagoge» in Hagenow.

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025

Lesen

Über eine Liebe nach dem Holocaust

Die österreichische Schriftstellerin Melissa Müller stellte im Münchener Literaturhaus ihr neues Buch vor

von Helen Richter  01.07.2025

Auszeichnung

Strack-Zimmermann erhält Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit

Die FDP-Politikerin wird für ihre klaren Worte und ihr entschlossenes Handeln angesichts globaler Krisen geehrt

 29.06.2025

Erfurt

Ende eines Krimis

Seine Entdeckung gilt als archäologisches Wunder: Mehr als 25 Jahre nach dem Fund des Erfurter Schatzes sind vier weitere Stücke aufgetaucht

von Esther Goldberg  29.06.2025

Porträt der Woche

Heilsame Klänge

Nelly Golzmann hilft als Musiktherapeutin an Demenz erkrankten Menschen

von Alicia Rust  29.06.2025

Interview

»Wir erleben einen doppelten Ausschluss«

Sie gelten nach dem Religionsgesetz nicht als jüdisch und erfahren dennoch Antisemitismus. Wie gehen Vaterjuden in Deutschland damit um? Ein Gespräch über Zugehörigkeit, Konversion und »jüdische Gene«

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  29.06.2025

Solidarität

»Sie haben uns ihr Heim und ihre Herzen geöffnet«

Noch immer gibt es keinen regulären Flugbetrieb nach Israel. Wir haben mit Israelis gesprochen, die in Deutschland gestrandet sind. Wie helfen ihnen die jüdischen Gemeinden vor Ort?

von Helmut Kuhn  26.06.2025

Meinung

Mannheim: Es werden bessere Tage kommen

Wegen Sicherheitsbedenken musste die jüdische Gemeinde ihre Teilnahme an der »Meile der Religionen« absagen. Die Juden der Stadt müssen die Hoffnung aber nicht aufgeben

von Amnon Seelig  25.06.2025