9. Mai

Verband der Veteranen

Einladung in die russische Botschaft: Veteranen begehen des Tag des Sieges in Berlin. Foto: Gregor Zielke

Panzer rollen durch die Stadt, Flugzeuge fliegen über sie hinweg, Soldaten marschieren über den Roten Platz – Eindrücke von der Parade in Moskau zum Tag des Sieges. Jahr für Jahr feiert man im Mai, dass der Kampf gegen das faschistische Deutschland erfolgreich war.

Ganz anders in Deutschland. Hier gedenkt man dieses Tages eher still und andächtig. Es geht darum zu erinnern. Es ist wie eine Mahnung für die Zukunft, dass etwas Vergleichbares nie wieder passieren kann und darf.

Für viele Menschen ist es der Tag, der von schmerzhaften Erinnerungen erfüllt ist. Es sind vor allem diejenigen, die an der Front gekämpft haben und in den Ghettos eingeschlossen waren – die Veteranen. Man könnte es für eine Ironie des Schicksals halten, dass viele der osteuropäischen Juden ihre Heimat heute in Deutschland gefunden haben.

Schiffskapitän Oleksander Goferman, Vorsitzender des Hamburger Veteranenverbands, ist einer von ihnen. Der 80-Jährige leitet seit 14 Jahren den Verband, der aktuell aus 34 Mitgliedern besteht. Es sind alles russischsprachige Menschen, die entweder in der Roten Armee gekämpft, in Ghettos überlebt oder die Leningrader Blockade überstanden haben. Oleksander Goferman ist in Odessa geboren und aufgewachsen, wo er Schiffskapitän wurde. Von dort fuhr er um die ganze Welt. »Ich war bereits 1968 schon mal in Hamburg«, erzählt er. Damals hätte er sich aber nie vorstellen können, dort Wurzeln zu schlagen.

Diese jüdischen Weltkriegsveteranen verbindet alle ein bestimmtes Stück Geschichte. Darüber reden sie häufig bei ihren Treffen. Meistens an den Feiertagen, die in der Sowjetunion wichtig waren und heute noch in den Ländern der GUS begangen werden. Zu diesen Festtagen gehört beispielsweise der 23. Februar, der Tag des Verteidigers des Vaterlandes, der an die Anfänge der Roten Armee im Jahre 1918 erinnert. Auch der 8. März – der Weltfrauentag – hat einen großen Stellenwert.

»Uns ist vor allem der Austausch wichtig«, betont Oleksander Goferman. »Außerdem helfen wir uns gegenseitig, wo wir können. Das ist gerade im Alter sehr wichtig. Einfach zu Hause zu sitzen, ist doch langweilig.«

Zu einer der wichtigsten Aufgaben der Veteranen gehört auch die Grabpflege der gefallenen Soldaten. Im Hamburger Stadtteil Bergedorf gibt es eine Kriegsgräberstätte, wo 650 sowjetische Soldaten beerdigt sind. Einmal im Jahr treffen sich dort die alten Herrschaften, um aufzuräumen. »Wir fegen die Blätter weg und pflanzen neue Blumen«, erklärt Goferman. Man kümmert sich eben um seine Leute.

Jugend Das gilt auch für die Jugend. Sie soll erfahren, was während des Zweiten Weltkriegs geschehen ist. Das liegt den ehemaligen Kriegsteilnehmern sehr am Herzen. Häufig werden sie von diversen Hamburger Schulen angefragt, zusammen mit einem Übersetzer über ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg zu erzählen. »Die Jugendlichen zeigen ein sehr großes Interesse und Mitgefühl. Schließlich kennen sie die Geschichten nur aus den Büchern.« Zeitzeugen sind eine willkommene Abwechslung, da sie eine persönliche und emotionale Sichtweise auf die Geschehnisse mitbringen. »Der Zweite Weltkrieg war schließlich ein Teil unserer Jugend. Wir sind froh, dass wir diese Zeiten überlebt haben.«

Auch für Petro Feldman, Vorsitzender des Bundesverbands der Veteranen, ist die Jugendarbeit ein zentraler Aspekt der Verbandsarbeit. »Die wichtigste Aufgabe liegt darin, die Erinnerung wach zu halten und vor allem die Geschichte immer und immer wieder zu erzählen«, betont er. »Schließlich liegt der Sieg über Nazi-Deutschland vor allem auf den Schultern der russischen Soldaten.« Er kritisiert, dass die Jugendlichen in Deutschland nicht alle Aspekte des Zweiten Weltkriegs im Geschichtsunterricht lernen. »Es wird gelehrt, was ins amerikanisch geprägte Bild passt.«

Unvollständiges Bild Damit meint er die Amerikaner und Briten, die am 6. Juni 1944, dem D-Day, gelandet sind und mit Panzern die Welt von der Tyrannei befreit haben. »Dabei ist das erst im letzten Kriegsjahr passiert. Die sowjetischen Soldaten hingegen haben schon drei Jahre zuvor gegen Hitler gekämpft. Die Rote Armee hat zahlreiche Konzentrationslager befreit. »Wir wollen, dass unsere Jugend die Wahrheit erfährt. Das ist unsere Aufgabe«, sagt er sehr energisch.

Seit 15 Jahren leitet der 90-Jährige den Bundesverband. Während des Krieges war er zunächst einfacher Soldat und wurde schließlich zum Kommandeur ernannt. Zu seinen heutigen Aufgaben gehört, die politische und gesellschaftliche Arbeit der Veteranen zu lenken. Dazu treffen sich die Unterverbände einmal im Jahr zu einem Runden Tisch – im vergangenen Jahr geschah das in Bad Kissingen.

Dabei besprachen sie, wie sie die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Sieges begehen sollen. Schließlich handelt es sich um ein Jubiläum. In Berlin gibt es einen großen Festakt, mit Reden, Politikern und Veteranen aus ganz Deutschland. »Hinzu kommt eine Kranzniederlegung im Treptower Park und im Tiergarten«, zählt Feldman auf. Das alles ist in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der russischen Botschaft entstanden.

Aufmerksamkeit Doch wenn die Medienberichte über die Festlichkeiten vorüber sind, möglicherweise vergessen und andere Themen auf der Agenda stehen, sollen die Erfahrungen der Kriegsüberlebenden trotzdem erhalten bleiben. Dafür kämpft Feldman, daher beschloss er vor einigen Jahren, die Erfahrungen seiner Mitglieder zu sammeln. Daraus entstand die Buchreihe Lebende Erinnerungen. In dem Band Ganz Deutschland erzählen 123 Veteranen, wie sie den Krieg überlebt haben. Aktuell erschienen ist Lebende Erinnerungen für die Jugend, eine Chronik über den Zweiten Weltkrieg aus sowjetischer Sicht.

»Wir brauchen einfach mehr Aufmerksamkeit«, fordert er, enttäuscht von den bisherigen Erfahrungen. Und überhaupt sei die gesellschaftliche Anerkennung für Veteranen in Deutschland nur ein Randthema. Besonders deutlich wird es bei Fragen der Finanzierung: Veteranen aus der ehemaligen Sowjetunion bekommen keine finanzielle Entlastung. »Ein schwieriges Thema. Ich rate Ihnen, die Finger davon zu lassen. Das ist politisch sehr aufgeladen«, warnt Feldman. Sein Verband habe jahrelang versucht, Gelder zu beantragen. Doch nichts sei geschehen.

Die meisten Veteranen leben in Deutschland von Sozialleistungen. »Die Einzigen, die etwas erhalten könnten, sind die Ghettoüberlebenden«, erklärt Petro Feldman. Deren finanzielle Lage liege ihm am Herzen, aber das sei ein sehr schwieriges Kapitel.

Kontakte Wichtig seien ihm aber auch die internationalen Kontakte, betont der 90-Jährige, der Austausch der Veteranen in der ganzen Welt. »Wir haben Kontakt nach Israel, Amerika, Frankreich, Russland und in die Ukraine. Vor allem in Israel leben mehr russischsprachige Veteranen als in Deutschland.« Er schätzt die Zahl auf insgesamt 18.000 Überlebende.

»Ohne unseren Einsatz während des Zweiten Weltkrieges könnte es die heutige Form jüdischen Lebens in Deutschland gar nicht geben«, sagt er sehr bestimmt. Daher fordert er mehr Rückhalt von den jüdischen Gemeinden und der russischen Vertretung in Deutschland für die russischen Veteranen. »Dann könnten wir mit unserer Arbeit zehnmal mehr Menschen erreichen, als wir es bisher tun.«

Ihm ist wichtig, dass das Geschichtsverständnis auch aus der Sichtweise von Osteuropa verbreitet wird, weil sonst nur die halbe Wahrheit bekannt würde. Dafür will er mehr Austausch und Raum für Diskussionen. »Denn ohne uns Veteranen würde sich niemand mit der Vergangenheit auseinandersetzen.«

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