Ordinierung in Bielefeld

Nach Hannover oder Stockholm

Die Rabbinerin sei eine »multifunktionale Person«, sagt Natascha Verzhbovska. »Sie ist eine Seelsorgerin und hat mit unterschiedlichen Menschen verschiedener Altersgruppen zu tun«, erklärt die 47-Jährige. »Das gefällt mir.« Die aus Kiew stammende Verzhbovska ist eine von vier Rabbinerabsolventen des Abraham Geiger Kollegs in diesem Jahr. Neben den religiösen Gemeindearbeitern verabschiedet das Potsdamer Seminar auch einen Kantor.

Vor ihrer Rabbinerausbildung und ihrem Studium in Potsdam hat Verzhbovska als Pianistin gearbeitet. Nach ihrem Abschluss am Kiewer Konservatorium war sie 15 Jahre lang verantwortlich für die Klavierbegleitung in einem Moskauer Theater. Bereits während dieser Zeit fing sie an, in ihrer Gemeinde aktiv zu werden: Sie gab Religionsunterricht. Diese Tätigkeit ließ in ihr den Wunsch wachsen, Rabbinerin zu werden. »Ich wollte die Tiefe der jüdischen Texte und Tradition erlernen und rabbinische Fachkompetenzen erlangen«, erklärt sie.

2008 schließlich zog sie nach Berlin mit dem Ziel, sich am Abraham Geiger Kolleg einzuschreiben. »Es gibt nicht viele Rabbinerseminare, an denen sich auch Frauen ausbilden lassen können«, sagt Verzhbovska. Eine Einrichtung in den USA zum Beispiel kam für sie nicht infrage. Verzhbovskas Mann, der auch Rabbiner ist, lebte damals in Moskau. »Eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Moskau ist möglich, aber eine noch größere Distanz zwischen uns wollte ich nicht«, sagt sie.

Heute hat Verzhbovska eine Stelle als Rabbinerin in Oberhausen und Unna in Nordrhein-Westfalen – und ihr Mann zieht bald zu ihr. »Wir verlegen unseren Lebensmittelpunkt nach Deutschland«, sagt sie. Verzhbovska ist ukrainische Staatsbürgerin. Wegen des Konflikts in der Ostukraine und der derzeitigen schlechten Beziehungen zwischen Moskau und Kiew ist es für sie schwierig, regelmäßig nach Russland zu reisen. »In Deutschland gefällt es uns gut, es ist die richtige Entscheidung«, sagt sie knapp.

Europabummler Seinen Lebensmittelpunkt hat auch Alexander Grodensky verlegt. Ein Ortswechsel ist für den 32-jährigen Rabbinerabsolventen nichts Ungewöhnliches. Geboren in der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan, aufgewachsen in der nordwestrussischen Republik Komi, hat er in St. Petersburg öffentliche Verwaltung und Politikwissenschaft studiert und in Wien einen Business-Abschluss erworben, bevor er ans Abraham Geiger Kolleg nach Potsdam kam.

Dass es ihn im Juli dieses Jahres wegen seines Berufs nach Luxemburg verschlagen würde, hätte er nicht gedacht. »Es war eine Überraschung«, sagt Grodensky. »Ich hatte noch andere Stellen in Aussicht.«

Alexander Grodensky war seit 2006 neben seinem Studium in der Wiener Gemeindearbeit tätig. »Ich habe in jüdischen Einrichtungen gearbeitet«, erzählt er. Grodensky gab Religions- und Hebräischunterricht. Wegen dieser Arbeit und seines Vorwissens hat Grodensky bereits jetzt, nach drei Jahren, seine Ausbildung zum Rabbiner beendet.

»Für mich hat meine Arbeit als Rabbiner neben der religiösen eine starke soziale Komponente«, sagt Grodensky. Der Neu-Luxemburger ist zuständig für eine kleine Gemeinde mit ungefähr 70 Familien. Er muss nun auch Französisch lernen, schließlich will er seine Gemeindemitglieder so gut wie möglich verstehen und nicht nur auf Englisch, Deutsch oder Russisch ausweichen. Das ist viel Arbeit. Glücklicherweise hat Grodensky seinen Mann an seiner Seite; der ist kürzlich auch nach Luxemburg gezogen.

Sich niederzulassen und erst einmal an nur einem Ort zu arbeiten, ist nicht die Sache von Amnon Seelig. Der Kantor reist kreuz und quer durch Europa; kürzlich erst hat er für Menschen in Warschau und Brüssel gesungen. Dorthin, wo er gebraucht wird, reise er, sagt Seelig. Dabei wird es vorerst auch bleiben.

Geboren wurde der 33-Jährige in München, aufgewachsen ist er in Israel. Dort, in Jerusalem, hat er einen Bachelor-Abschluss in Musiktheorie erworben, bevor er sein Studium in Karlsruhe an der Hochschule für Musik fortgesetzt hat. Singen bedeutet für Seelig jedoch nicht nur, in Hörsälen zu theoretisieren. »Eigentlich singe ich schon in Chören, seit ich denken kann«, sagt er. »Musik war und ist ein wichtiger Teil meines Lebens.« 2009 kam Seelig nach Berlin, 2010 fing er an, am Kantorenseminar des Abraham Geiger Kollegs zu studieren. »Ich komme nicht aus einem traditionellen Haushalt«, erzählt Seelig. Es war für ihn also nicht selbstverständlich gewesen, dass er sich mal mit religiöser Musik beschäftigen würde.

Auch wenn Seelig sich bereits in Israel intensiv mit Musik beschäftigt hat, fasste er erst in Deutschland den Entschluss, Kantor zu werden. »Hier habe ich herausgefunden, wie groß die deutsche Synagogenmusik war und wie wenig davon übrig geblieben ist«, erzählt er.

Dynamik Der Gesang des Kantors bietet eine ungeheure Tiefe; er sei frei, sagt Seelig, und habe die Möglichkeit, viel von sich zu geben. Zwischen dem Sänger und dem Publikum besteht eine besondere Dynamik. »Ich bekleide ein Amt«, erklärt Seelig. »Ich bete für die Menschen und versuche so auch diejenigen anzusprechen, die keinen leichten Zugang zur Religion finden.«

Eli Reich ist dieses Jahr der älteste Rabbinerabsolvent des Kollegs. Mit 58 Jahren wird der im schwedischen Göteborg geborene Reich nun zum Rabbiner ordiniert. Es hat lange gedauert, bis er herausgefunden hat, dass er Gemeindearbeit leisten und sich als Rabbiner mit dem Judentum auseinandersetzen möchte.

Mit 16 Jahren verließ Reich Schweden und wanderte nach Israel aus. Er überzeugte seine Eltern, Holocaustüberlebende, davon, es ihm gleichzutun. Ein Jahr später wanderten auch sie aus. Die akademische Auseinandersetzung mit dem Thema Religion erfuhr Reich an der Bar-Ilan-Universität. Er hat dort Bibelwissenschaft und Jüdische Philosophie studiert. »Damals allerdings wusste ich noch nicht, dass ich Rabbiner werden würde«, sagt er.

Reichs Frau ist Religionswissenschaftlerin, sie beschäftigt sich mit Hinduismus. Als Akademiker kommen beide, Mutter und Vater zweier erwachsener Kinder, viel herum, haben Lehraufträge an verschiedenen Universitäten. Ein solcher Lehrauftrag führte das Paar 2007 in die amerikanische Kleinstadt Indiana in Pennsylvania. »Dort gibt es eine kleine jüdische Gemeinde«, erzählt Reich. Diese habe seinerzeit nach einem Rabbiner gesucht. Reich wollte sich engagieren. »Das hat mir gut gefallen«, sagt er. »Die Frage war nun, wo ich eine Ausbildung zum Rabbiner machen sollte.«

Reich fühlt sich im liberalen Judentum zu Hause. Zudem wollte er gerne zurück nach Europa. Sein Ziel ist es, als Rabbiner in einer skandinavischen Gemeinde, bevorzugt in seiner Heimat Schweden, zu arbeiten. »Schwedisch ist meine Muttersprache, auch Norwegisch und Dänisch kann ich gut verstehen«, sagt er. »Ich würde mich freuen, wenn es klappt.«

2013 kam Reich nach Potsdam, um am Kolleg seine Ausbildung zu machen. »Dass das Programm einen starken akademischen Bezug hat, gefällt mir besonders gut.« Der Studiengang Jüdische Theologie ist für die angehenden Rabbiner an der Universität Potsdam obligatorisch.

Vorerst ist Reich als Dozent für Jüdische Theologie an der Universität Potsdam beschäftigt, er hält eine Lehrveranstaltung. Aber er sucht nach wie vor nach einer Gemeinde in Skandinavien, um dort nach seiner Ausbildung als Rabbiner zu arbeiten.

new York Auf einen Platz in einer Gemeinde hofft auch Sonja Pilz. Sie kann sich gut vorstellen, in Hannover als Rabbinerin zu arbeiten, dort, wo sie bereits ihr Praktikum absolviert hat. Erst einmal aber fliegt Pilz für ein halbes Jahr nach New York, um an einem Postdoktorandenprogramm teilzunehmen. Sie hat während ihrer Ausbildung am Potsdamer Institut nämlich auch promoviert. »Ich hatte ein Gespräch mit Walter Homolka, dem Rektor des Abraham Geiger Kollegs«, erzählt Pilz. »Eigentlich wollte ich ihn als Doktorvater gewinnen, aber er machte mich auf die Rabbinerausbildung neugierig, und nun werde ich Rabbinerin.«

Die 31-Jährige aus Offenburg in Baden-Württemberg war bereits während ihres Studiums der Judaistik in Freiburg aktiv in der liberalen jüdischen Gemeinde. Sie hat zum Beispiel den Toraunterricht geleitet. Ihr sei es wichtig, sagt sie, nicht nur akademisch über Religion und Judentum zu sprechen, sondern dies auch im Alltag zu leben und mit anderen Menschen zu teilen.

Zu der Ordinationsfeier am Montag in Bielefeld kamen auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke).

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