Porträt der Woche

Musik bedeutet Hoffnung

»Nach meinem Abschluss war klar, dass ich als Berufsmusiker in Europa leben wollte«: Yehuda Inbar (37) aus Berlin Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Musik bedeutet Hoffnung

Yehuda Inbar ist Pianist, gibt Wohltätigkeitskonzerte und engagiert sich für Frieden

von Alicia Rust  18.01.2025 18:35 Uhr

Für mich ist die Musik eine universelle Sprache, die Brücken zu bauen vermag. Das bezieht sich nicht nur auf meinen beruflichen Ansatz als Pianist. Mithilfe der Musik erreiche ich die unterschiedlichsten Menschen auf einer übergeordneten Ebene, und diesem Ansatz folge ich auch in meinem ehrenamtlichen Engagement. Neben meinen Konzerten engagiere ich mich in der »Responses Culture Society«.

Diesen Verein habe ich vor zwei Jahren gemeinsam mit sechs engagierten Mitstreitern gegründet. Wir verbinden Wohltätigkeitskonzerte mit Kunstausstellungen und Lesungen. Durch die interdisziplinäre Herangehensweise sorgen wir für einen Dialog zwischen den verschiedenen Kunstformen. Unser Ziel ist eine öffentliche Bewusstseinsschärfung für soziale Gleichheit, Demokratie und Frieden. In unseren Kulturveranstaltungen, Bildungsprojekten und Festivals wollen wir auch den Dialog der Künstler mit dem Publikum fördern.

Den Erlös der ersten Benefizveranstaltung im Dezember 2023 haben wir dem Kibbuz-Notfund für die evakuierten Familien in Israel gespendet, wie auch den Erlös der darauffolgenden Veranstaltung. Die Einnahmen eines Konzerts im Dezember 2024 möchte unser Verein an »Standing together« spenden, und zwar für den Elternkreis für betroffene israelische und palästinensische Familien sowie für das »International Rescue Committee«.

Abbau von Hass und Ressentiments

Zu unserem Verein gehören nicht nur Musiker und Künstler, sondern auch ein Mediziner oder ein Rechercheur. Ganz normale Menschen, die auf ihre Weise etwas zum Abbau von Hass und Ressentiments beitragen wollen, die sich für Frieden und Demokratie starkmachen.

Was meinen Beruf als Pianist betrifft, möchte ich betonen, dass ich mich zwar von früh an für die Musik begeistert habe, aber ein Wunderkind war ich nicht. In meiner Familie gab es keinerlei Druck oder überhöhte Erwartungen, was die Zukunft von uns Kindern betraf. In dieser Hinsicht und auch sonst waren meine Eltern vollkommen entspannt.

Geboren wurde ich 1987 in Haifa als jüngster von drei Brüdern. Zu unserem engsten Familienkreis zählte auch meine Großmutter, die im selben Haus lebte wie wir, nur unten im Erdgeschoss, während wir im dritten Stock wohnten. Ein besseres Elternhaus kann ich mir auch rückblickend kaum vorstellen.

Ein Wunderkind war ich nicht. In meiner Familie gab es keinerlei Druck.

Über ihre Vergangenheit hat meine Safta nie viel gesprochen. Aber nach dem Krieg hat sie über die Verbrechen an ihrer Familie ausgesagt, die Unterlagen habe ich noch heute: eine eidesstattliche Erklärung mit dem genauen Verlauf der Geschehnisse. Es ist immer noch schwer zu ertragen, wenn man das liest. Meine Großmutter Shoshana Bauer wurde 1912 als Rosalia Rosenbaum, Tochter von Josef und Frieda Rosenbaum, in Butschatsch (Budzow, Buczacz) im damaligen Polen – heute liegt die Stadt in der Ukraine – geboren.

Zu ihrer Zeit war sie eine der wenigen Frauen, die studieren durften, sie hatte sogar eine Ausnahmegenehmigung. Sie studierte in Lemberg. Anschließend arbeitete sie als Apothekenassistentin. Nachdem ihr Vater 1916 im Ersten Weltkrieg an der Front umgekommen war – er kämpfte im Österreichischen Heer gegen die Russen –, führte ihre Mutter ein großes Geschäft für Haushaltswaren und Porzellan, um die Familie zu ernähren.

Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Butschatsch einnahmen, wurde die gesamte Familie ausgelöscht, darunter ihre beiden Brüder und der erste Ehemann meiner Großmutter, Joel Lustgarten, der Elektrotechniker gewesen war. Nach und nach wurden alle durch Erschießungen exekutiert. Rosalia überlebte nur, weil es ihr Mitte Juni 1943 gelungen war, aus dem Ghetto in Butschatsch zu fliehen. Nur wenige Tage, bevor das gesamte Ghetto liquidiert wurde. Daraufhin versteckte sie sich im Wald und in einer verwaisten Kapelle.

Aus meinem Großvater wurde Jehuda, nach ihm bin ich benannt

Pfarrer Kasimierz Slupski brachte der kranken und vollkommen unterernährten Rosalia heimlich Essen, auch warnte er sie vor den nahenden deutschen Besatzungsbehörden, die Tag und Nacht nach Juden suchten. In ihren Verstecken las sie, von Hunger und Typhus geschwächt, deutsche Literatur, um nicht den Verstand zu verlieren. Eine absurde Vorstellung, dass jemand, der die deutsche Sprache und Literatur so liebte, von den deutschen Besatzern getötet werden sollte.

Nach dem Krieg und nachdem Safta meinen Großvater Adolf Bauer geheiratet hatte und die beiden nach Israel ausgewandert waren, wechselte sie ihren Vornamen zu Shoshana. Aus meinem Großvater wurde Jehuda, nach ihm bin ich benannt. 1948 kam meine Mutter Miriam als ihr einziges Kind zur Welt. Obwohl meine Großmutter aus einer tief religiösen jüdischen Familie stammte, war sie ihr Leben lang liberal eingestellt, sie erzog meine Mutter säkular, so bin auch ich aufgewachsen. Meine Safta wurde 97 Jahre alt, und wir standen uns sehr nahe. Für mein »Roots-Projekt« in der Schule hatte sie mir viel über ihre Vergangenheit erzählt.

Meine Liebe zur Kunst und zur Musik hat sich nach und nach entwickelt. Im Kindergarten kam ich erstmals mit dem Klavier in Berührung, und ich war so davon begeistert, dass ich sofort spielen wollte, aber ich war noch zu jung. Erst im Alter von sechs Jahren habe ich Unterricht bei Dafna Feder bekommen, sie war eine unglaubliche Persönlichkeit. Bis zu meinem 17. Lebensjahr hat sie mich unterrichtet.

Im Alter von 16 Jahren merkte ich, dass ich mehr üben sollte, wenn ich es professionell angehen wollte

Ich habe immer mit Leidenschaft gespielt, und ich hatte das große Glück, an die richtigen Leute zu geraten, die mich motiviert und gefördert haben. Das Gute war aber, dass ich auch die Möglichkeit hatte, alles auszuprobieren, was mich interessierte.

Im Alter von 16 Jahren merkte ich, dass ich mehr üben sollte, wenn ich es professionell angehen wollte. Umso mehr man spielt, umso selbstkritischer wird man. In diesem Alter gab ich mein erstes Konzert, nur ein Jahr darauf war ich bereits Solist im Haifa-Symphonie-Orchester und gab ein Mozart-Concerto. Davor war lange Zeit nicht klar, ob ich mich für das Klavier entscheiden würde, zwischendurch habe ich nämlich noch Flöte und Gitarre gelernt und mit der Malerei begonnen.

Nach der Schule – ich hatte die WIZO High School for Arts & Design in Haifa besucht – ging ich für drei Jahre zur Armee. Dort erhielt ich den Status eines »Outstanding Musician«, diese Ehre wird nur ganz wenigen zuteil. So hatte ich die Ausnahmegenehmigung, neben dem Dienst – meine Arbeitszeit war etwas reduziert – zu üben und eine Musikhochschule zu besuchen. Eine anstrengende Zeit, denn nach sechs Stunden Bürodienst ist man platt, und dann hieß es aber erst einmal: üben. Ich hatte Auftritte und fuhr regelmäßig nach Tel Aviv in die Buchmann-Mehta-Musikschule, in der ich eingeschrieben war. Nicht immer ist es mir leichtgefallen, mich selbst zu motivieren.

Nachdem ich für drei Jahre in Jerusalem gelebt hatte, um dort an der Musikakademie meinen Bachelor zu machen, ging es 2014 nach London. Davor hatte ich daneben noch an der Hebräischen Universität Mathematik studiert. Das hat mich sehr interessiert, und Mathe ist gut für die Konzentration.

In London begann ich mein Studium bei Joanna MacGregor an der Royal Academy of Music. Dort legte ich schließlich mein künstlerisches Examen ab, eine wunderbare Zeit. Ich beschäftigte mich mit den unfertigen Stücken von Schubert. Bei diesem Projekt kam mein erstes Album heraus, und ich habe mich mit diesem Thema in meiner Doktorarbeit in London auseinandergesetzt.

Ich gebe die Hoffnung auf Frieden und auf Dialog nicht auf

Nach meinem Abschluss war klar, dass ich als Berufsmusiker in Europa leben wollte, glücklicherweise habe ich auch einen polnischen Pass. Berlin hat sich dann so ergeben, befeuert durch den Brexit und sicher auch, weil ich in Berlin viele Leute aus der internationalen Musikszene und aus Israel kannte. So etwas macht das Ankommen leichter. Das Leben in Berlin erscheint mir entspannter als in London.

Was in Israel am 7. Oktober 2023 passiert ist und danach überall auf der Welt, ist so schlimm, dass man es kaum in Worte fassen kann. Aber ich gebe die Hoffnung auf Frieden und auf Dialog nicht auf. Das liegt in meiner DNA, dafür mache ich mich mit meinen bescheidenen Mitteln stark, und es würde mich freuen, wenn ich dadurch auch andere Menschen motivieren könnte, sich ebenfalls zu engagieren.

Hass, Verfolgung, Ausgrenzung und Vergeltung werden niemals die Antwort auf irgendetwas sein. Genau wie meine Safta lese ich gern. Besonders beeindruckt hat mich das Buch Frieden ist die einzige Option von David Grossman. Das wäre ganz nach dem Geschmack meiner Großmutter gewesen.

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