Handbuch

Juden in Westfalen

Erstmals bietet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Interessierten einen Überblick über die Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe. Foto: pr

Handbuch

Juden in Westfalen

151 Autoren vollendeten ein Nachschlagewerk, das der einstige Breslauer Rabbiner Bernhard Brilling in den 80er-Jahren begann

von Hans-Ulrich Dillmann  18.05.2018 11:13 Uhr

1851 kam es bei der Fronleichnamsprozession im sauerländischen Attendorn zum Eklat. Traditionell führte das zuletzt eingetretene Schützenmitglied den Umzug zum »Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi« an. In jenem Jahr war dies der jüdische Kaufmann Sotig May. Die katholische Kirche wollte aber keinen Juden in einer katholischen Prozession, und die Schützengesellschaft zeigte sich uneinsichtig. Daraufhin wurde den Attendorner Schützen vom zuständigen Generalvikariat in Köln die Begleitung des Fronleichnamsumzuges und jede Betätigung mit christlichem Charakter untersagt. Erst 1926 wurde dieses kirchliche Edikt aufgehoben.

»Über die Mitgliedschaft von Juden in Schützenbruderschaften wurde in vielen Orten heftig gestritten«, sagt Burkhard Beyer, mehr als 150 Jahre später. »Dass der Band ›Arnsberg‹ so aktuell ist, hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagt der Geschäftsführer der historischen Kommission für Westfalen. Die kleine Geschichte aus dem Sauerland findet sich im dritten Band des vierbändigen Historischen Handbuchs der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte die Schirmherrschaft über die Kommission übernommen, die sich rund 15 Jahre mit der Geschichte der Juden in Westfalen beschäftigt hat.

Überblick Erstmals bietet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Interessierten einen Überblick über die Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe. Dabei stehen besonders die kleinen Gemeinden im Fokus der historischen Forschung, denn sie bestimmten über Jahrhunderte die bäuerlich geprägte Region. Erst im Zuge der Emanzipation der Juden in Deutschland, die mit dem Wegfall der Beschränkung für Juden im 19. Jahrhundert einherging, siedelten sich diese auch in den größeren Ortschaften Westfalens an.

»Das führte zu einer regelrechten Entleerung des ländlichen Raumes von jüdischen Gemeinden«, erklärt Burkhardt Beyer. »Zahlreiche Synagogen mussten geschlossen werden, weil die erforderliche Mindestanzahl an Männern für den Gottesdienst nicht mehr zusammenkam. Jüdisches Leben im frühen 20. Jahrhundert war deshalb vor allem städtisches Leben.«

Die Geschichte der Juden im lippischen Büren bis ins 21. Jahrhundert oder die Entwicklung des jüdischen Lebens in Schwerte sowie die Gründung der jüdischen Gemeinde im münsterländischen Ahaus ist sehr informativ. Es sind nur drei Beispiele aus dem umfangreichen Nachschlagewerk mit Farbkarten zur Illustration.

Regionalgeschichte Über so viel Informationen zum jüdischen Leben hätte sich auch Bernhard Brilling gefreut. Der ehemalige Breslauer Rabbiner hatte nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland in den 30er-Jahren das Stadtarchiv in Tel Aviv aufgebaut. Nach Deutschland zurückgekehrt, widmete er sich an der Universität Münster der Erforschung der jüdischen Regionalgeschichte. Doch bis zu seinem Tod 1987 war er nicht über Vorarbeiten zu diesem Buchprojekt hinausgekommen.

Insgesamt 151 Autoren vollendeten nun, mehr als 30 Jahre später, die Idee von Rabbiner Brilling. »Dass sich einmal so viele Autoren mit jüdischer Geschichte in Westfalen beschäftigen sollten, hätte sich der Rabbiner sicher nicht vorstellen können«, glaubt Burkhard Beyer.

»Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe«, 4 Bände im Schuber. Ardey, Münster 2017, 2892 S., 274 €, auch als Einzelexemplare erhältlich

Hamburg

»Strong. Jewish. Here.«

Der Jugendkongress 2026 der ZWST setzt ein bewusstes Zeichen des Selbstbewusstseins und der Präsenz

von Imanuel Marcus  18.12.2025

Umbenennung

Medien: Berlin erhält Yad-Vashem-Straße

Ein neues Holocaust-Gedenken mitten im Berliner Regierungsviertel - Ein Teilabschnitt der Dorotheenstraße soll künftig den Namen der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem tragen. Die zweite Umbenennung in kurzer Zeit

 18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Deutschland

»Das Licht wird nicht erlöschen«

Trotz des Terroranschlags in Sydney lassen es sich viele Juden in Deutschland nicht nehmen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025