Porträt der Woche

Israelin aus Oberbayern

»Ich bin mir nie fremd vorgekommen«: Nira Hafen (46) lebt mit ihrer Familie in Rohrdorf bei Rosenheim. Foto: Katrin Diehl

Dort, wo ich wohne, sieht es aus wie auf einer Postkarte. Um das Haus herum ist nichts als Natur: ein Stück Garten von 6000 Quadratmetern, darauf Apfelbäume. Und wenn man seinen Blick in die Ferne richtet, sieht man die Berge. Unser Hausberg ist etwa zehn Minuten entfernt. Es ist ruhig. Das Einzige, was man hört, sind die Vögel.

Ich mag diese Ruhe. Andererseits, manchmal brauche ich auch Lärm, fröhlichen Lärm. Dann lade ich mir Leute ein. Zum Beispiel machen wir einmal im Jahr im Sommer ein Riesenpicknick für die Münchner Israelis. Die warten da schon richtig drauf.

freunde Die Bekanntschaft mit ihnen hat sich einfach ergeben. Israelis finden sich. Wir haben uns gefunden, obwohl ich 70 Kilometer entfernt von München wohne, in Rohrdorf bei Rosenheim. Mit dem Zug fährt man etwa 40 Minuten, dann nimmt man einen Landbus, das dauert dann noch einmal 20 Minuten, und schon ist man bei mir.

Wer auf der A8 auf dem Weg nach Italien ist und mal wieder im Stau steht, für den liegen wir genau richtig, für den halte ich eine Tasse Kaffee bereit. Meine Freunde wissen das. Sie wissen, dass meine Tür offen steht. Das ist bei uns Israelis so.

Ich bin eine Israelin aus Oberbayern, die sich ab und zu ihr Auto schnappt und in die große Stadt fährt. In München schaue ich mir dann die Straßen und Geschäfte an. Zurzeit fahre ich einmal in der Woche mit meinen beiden Mädels von sechs und elf Jahren zum Hebräisch-Unterricht. Das Lernen macht den Kindern Spaß. Sie würden das am liebsten jeden Tag tun. Nur die Hausaufgaben mögen sie nicht. Ich spreche mit meinen Töchtern ja ohnehin immer Hebräisch.

herz Geboren wurde ich 1969 in Hadera am Mittelmeer. Ehrlich gesagt, hatte ich nie die Absicht, nach Deutschland zu ziehen. Das war reiner Zufall, oder sagen wir mal, es war die Liebe, die hinfällt, wo sie will. Wir hatten ein Haus mit Garten, um mich herum viele Geschwister. Eine unbeschwerte, schöne Kindheit eben.

Dann kam die Zeit des Militärs, aber die wollten mich nicht haben, weil ich mit einem Herzfehler zur Welt gekommen bin. Das hat mich richtig gekränkt. Ich wollte einfach dahin. Das war doch die normalste Sache der Welt für ein Mädchen in meinem Alter. In dieser Situation habe ich mich für den Kibbuz entschieden. Nach der behüteten Kinder- und Jugendzeit war das ein richtiger Kulturschock, der mir gutgetan hat.

Ich habe dort auch eine meiner besten Freundinnen kennengelernt, eine Engländerin. Wir besuchen uns bis heute gegenseitig. Nach dem Kibbuz habe ich noch eine Zeit lang mit meiner Schwester in Tel Aviv gelebt, habe dort gearbeitet, Geld verdient.

Irgendwann, ich war damals 19, bin ich zusammen mit der Freundin aus England losgezogen. Sie wollte zurück in ihre Heimat, und ich wollte mir ansehen, wie sie dort so lebt. Wir haben eine Fähre von Haifa nach Griechenland genommen, auf der zufällig auch ein paar bayerische Jungs waren mit ihren Motorrädern. Sie kamen von einer Ägyptenreise zurück. Einer von denen, ein Blonder mit blauen Augen, hat mir besonders gefallen. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht, und jeder ging erst einmal seiner Wege. Als wir dann später für einen Zwischenstopp in Deutschland ankamen, ist er mir wieder eingefallen. Aus den drei Tagen sind schließlich zwei Wochen geworden.

schnee Wir haben Bayern erobert, und zwar auf Motorrädern. Und als wir dann endlich doch noch in England angekommen sind, hat mich der schöne Blonde dort besucht, mit dem Ergebnis, dass ich später wieder mit ihm nach München gefahren bin – wir sind zusammen aufs Oktoberfest gegangen, und das war’s. Ich hatte mich für den netten, ruhigen Bayern entschieden.

Wir zwei haben dann erst einmal für eineinhalb Jahre in Israel gelebt, wo mein Mann eine Arbeit gefunden hatte. Er büffelte in einem Ulpan Hebräisch, lernte das Leben in Israel kennen, bis ihn mehr und mehr die Sehnsucht nach seinen bayerischen Bergen und dem weißen Schnee vor blauem Himmel packte. 1993 sind wir nach Deutschland zurückgekehrt.

Ich habe in München an einer privaten Hochschule Innenarchitektur studiert, bin in die verschiedensten Jobs hineingerutscht und habe festgestellt, dass ich im Gegensatz zu meinem Mann Schnee überhaupt nicht mag. Schnee und Kälte – das ist eine Kombination, auf die ich bis heute verzichten könnte.

Jedenfalls sind wir nach dem Studium nach Irschenberg umgezogen, das erste Kind wurde geboren, irgendwann das zweite, und uns war von Anfang an klar, dass wir für die beiden einen Waldorfkindergarten und später eine Waldorfschule haben wollten. Wie es da läuft, hatten wir bei der Schwester meines Mannes und deren Kindern gesehen, und das hat uns gefallen. Außerdem spielte sicher eine Rolle, dass ich Jüdin bin und in den Regelschulen dann doch öfters mal ein Pfarrer vorbeischaut.
Obwohl ich deutlich sagen muss: Ich lebe ja wirklich in einer erzkatholischen Gegend, aber von der Gemeinschaft dort kann ich nur schwärmen. Ich bin mir nie fremd vorgekommen.

vorbehalte Allerdings gab es Vorbehalte in den eigenen Familien. Als mein Papa gemerkt hat, dass Willi und ich ein Paar sind, hat er mich gefragt, wann Willi konvertieren würde. Ich habe gesagt: »Frage du ihn, mir ist das nämlich nicht so wichtig.« Mein Vater hatte sogar darüber nachgedacht, uns zu verstoßen, und da habe ich nur zu ihm gemeint: »Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder du verlierst eine Tochter, oder du gewinnst einen Sohn.«

Was ihn dann aber letztendlich für meinen Mann eingenommen hat, war, dass er so eine wahnsinnig ruhige Person ist, mit sehr viel Geduld. Willi konnte meinem Vater ewig zuhören, ewig mit ihm reden. Keiner seiner anderen Schwiegersöhne hat ihm so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie mein Mann. Mein Schwiegervater andererseits wollte, dass ich Christin werde.

Wir hatten also am Anfang wirklich einige harte Nüsse zu knacken. Aber wir haben es hingekriegt, sind inzwischen von Irschenberg ins gut 20 Kilometer entfernte Rohrdorf umgezogen, wo im Winter nicht ganz so viel Schnee liegt und der Weg zu Kindergarten und Schule kürzer ist.

Schabbat Freitagabend werden die Schabbatkerzen gezündet. Wir feiern die jüdischen Feste, sind dabei auch nie einsam, weil wir ja unsere israelischen Freunde in München haben. Sie kommen zu uns oder wir zu ihnen.

Zu Pessach fliegen wir gerne nach Israel, oder die Verwandtschaft kommt bei uns vorbei. Sie staunt über das, was sie sieht, es gefällt ihr aber auch irgendwie. Was noch einmal Veränderung in mein Leben gebracht hat, ist, dass mein Mann sich selbstständig gemacht hat, die Woche über in Berlin arbeitet und wir uns nur an den Wochenenden sehen.

Der normale Alltag gehört also mir und den Kindern: Schule, Kindergarten, Haushalt, zu dem auch ein kleiner Hund zählt, und die restliche Zeit ist dann für mein Hobby bestimmt, das zu viel mehr als bloß einem Hobby geworden ist. Ich bin schon immer gerne handwerklich aktiv gewesen, und jetzt gehöre ich fest zur Bastelgruppe unserer Waldorfschule. Wir fertigen Puppen aus Schafswolle, die wir später privat oder auf Märkten verkaufen.

meer Seit letztem Jahr habe ich zudem damit angefangen, Loops für Kinder und Erwachsene zu machen. Das sind solche Schlaufenschals. Wir bemänteln Wärmflaschen, hantieren ausschließlich mit Naturmaterialien und zeigen alles, was wir haben, auf Facebook. Mir macht das total Spaß, auch weil unsere Sachen richtig gut laufen. Sie sind nicht ganz billig, aber bezahlbar. Und es steckt ja auch viel Arbeit darin.

Eigentlich ist das Einzige, was mir fehlt, das Meer. In Tel Aviv, wo ich einmal gewohnt habe, war nur eine Straße zwischen mir und dem Wasser. Das Geräusch des Meeres, sein Geruch – das alles gibt es nicht in meinem Paradies in Oberbayern.

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