München

»In unserer Verantwortung«

Frau Salamander, wenn Sie jetzt, wenige Wochen vor der Wiedereröffnung der Synagoge Reichenbachstraße, vor Ort sind: Was geht Ihnen durch den Kopf?
Nach über einem Jahrzehnt intensiven Engagements stehe ich vor diesem Gebäude und schnaufe tief durch: Es ist vollbracht. Ich bin beinahe täglich dort und sehe, wie es mit Riesenschritten vorangeht. Es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, dass diese meine Vision wirklich wahr geworden ist.

Lassen Sie uns kurz in das Jahr 2011 zurückschauen, als Sie das erste Mal nach Jahren vor der Synagoge standen. Wie war das damals?
Ich war völlig unvorbereitet darauf, was mir begegnen würde. Ich ging an dem Gebäude vorbei, um in den hinteren Teil des Anwesens zur Chewra Kadischa zu gelangen. Aus Neugierde schaute ich durch die Fenster und war zutiefst erschrocken über den schlechten Zustand der Synagoge. Mir war sofort klar: Wenn man nicht unmittelbar eingreift, ist das Gebäude dem Verfall preisgegeben. Unsere Synagoge soll verfallen? Es ist die Synagoge unserer Eltern. Es ist die Synagoge von uns Nachgeborenen. Auf den Bänken waren auf kleinen Messingschildern unsere Namen, die Namen der ganzen Nachkriegsgemeinde – ein Gotteshaus, das viele Geschichten in sich birgt.

Ihnen war bewusst, dass Sie etwas unternehmen mussten?
Mit meinem Kopf und meinem Herzen habe ich verstanden, dass es in der Verantwortung unserer Generation liegt, dieses zur jüdischen Gemeinde gehörige Gebäude zu retten. Noch auf dem Rückweg habe ich beschlossen, einen gemeinnützigen Verein ins Leben zu rufen, tat mich mit Rechtsanwalt Ron Jakubowicz zusammen, und recht schnell hatten wir unsere Gründungsmitglieder gefunden. Für mich war die Herausforderung, aktiv zu werden, unausweichlich.

Die Synagoge liegt in einem Hinterhof. Wie ist sie erhalten geblieben?
Sie ist in der Pogromnacht angezündet worden, aber als der Brand auf die »arischen« Nachbarhäuser überzugreifen drohte, kam die Feuerwehr sofort und löschte. Nur deswegen ist sie als einzige der Münchner Synagogen stehen geblieben. Aber im Inneren wurde sie komplett verwüstet. Den Nazis diente sie als Kfz-Werkstatt, vor den Deportationen als eine sogenannte Anlernwerkstätte für jüdische Jugendliche, denen man die Illusion gegeben hatte, sie könnten einen Beruf erlernen und irgendwohin auswandern. Mit den Deportationen im November 1941 nach Riga und Kaunas sind sie verschwunden.

Sind Sie während Ihrer Arbeit mit dem Verein auf Hindernisse gestoßen?
Wenn man baut, erlebt man sowieso Überraschungen. So auch hier. Das Gebäude befand sich in einem viel schlechteren Zustand als zunächst angenommen. Bei Erstellung der Machbarkeitsstudie ahnten wir nicht, dass sich der Bau um 13 Zentimeter gesenkt hatte, es gab überall Schimmelschäden, das Fundament musste verstärkt werden – und vieles, vieles mehr. Natürlich war auch die Finanzierung mühsam. Schließlich haben dann der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt München zu je einem Drittel die Wiederherstellung übernommen. Der Verein muss einen Eigenanteil von zehn Prozent erbringen. Mit dem Denkmalschutz gab es allerdings zeitraubende Meinungsverschiedenheiten.

Weshalb?
Der Denkmalschutz stand auf dem Standpunkt, dass wir den Zustand der provisorischen Renovierung der Synagoge von 1947 wiederherstellen sollten. Dazu muss man wissen, wie die Bedingungen damals waren und wer die Menschen in dieser Synagoge: Es waren vorwiegend Überlebende der KZs und Vernichtungslager Das einstige deutsche Judentum hatte ja aufgehört zu existieren. Die Menschen, die damals in die Reichenbachstraße kamen, waren Displaced Persons, DPs, die auf keinen Fall in Deutschland bleiben wollten, Deutschland war lediglich eine Durchgangsstation woandershin, jedenfalls weit weg von hier. Im Juli 1945 hatte sich die jüdische Gemeinde wiedergegründet, am 20. Mai 1947 wurde die Synagoge wieder eingeweiht, aber in ihrer provisorischen und notdürftigen Instandsetzung. Die Überlebenden hatten in ihrer Not andere Probleme, als sich mit ästhetischen Problemen des ursprünglichen Baus von Gustav Meyerstein aus dem Jahr 1931 zu befassen.

Welche Vorstellung hatte Gustav Meyerstein von der Synagoge?
Meyerstein war ein junger Architekt, der in München studiert hatte. Er machte beim Bau aus der Not eine Tugend. Nach der Depression und der Weltwirtschaftskrise standen ihm nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Meyerstein konnte den damals hoch im Kurs stehenden Minimalismus des Bauhauses für seine Vorstellungen nutzen und schuf ein architektonisches Meisterwerk. Die Synagoge ist in ihrer Erscheinung sehr schlicht und zurückhaltend. Das kam dem jungen Architekten durchaus entgegen. In der Formensprache lehnte er sich an den Stil der ausgehenden 1920er-Jahre an. Auf die für ostjüdische Synagogen typische prunkvolle Ornamentik konnte er verzichten, für ihn standen Sachlichkeit und Funktionalität im Vordergrund. Daraus resultierte der modernste Sakralbau Münchens. Das einzig Ornamentale in dieser Synagoge sind die wunderbaren Glasfenster, durch die ein unglaubliches Farbenspiel entsteht.

In einem Vorstellungsvideo auf der Website des Vereins »Synagoge Reichenbachstraße« zitieren Sie Zeitzeugen, die diese Farben als »unheimlich sinnlich« beschreiben.
Die Farben der Synagoge überwältigen. Das Foyer ist in einem kräftigen pompejischen Rot gestrichen und wird von einem schwarzgrundigen Marmorsockel umfasst. Der große Betraum besticht durch seine sublime Lichtkonzeption und das Spiel der Farben. Ich rätsele immer noch, wie Meyerstein auf diese geniale Idee kam. Je nach Lichteinfall durch das Glasdach – so beschreiben es auch die Zeitgenossen Meyersteins von 1931 – verwandelt das Cremefarbene der Frauenempore das Blau der Wände im Männerbereich in ein Türkis. Im Inneren des Betraumes sind die Fenster in einem lila, altrosa Ton gehalten. Fällt starkes Licht auf sie, färbt sich die Wand zart violett. Außerhalb der Synagoge leuchten sie golden. Da kann man nur staunen!

2024 war Ariel Aloni, der Enkel der Münchener Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl, bei Ihnen und hat Ihnen Stoffe für die Synagoge mitgebracht. Was hat es mit diesen Stoffen auf sich?
Dazu muss ich ein wenig ausholen: Im vergangenen Jahr kuratierte der Regensburger Professor für Kunstgeschichte, Christoph Wagner, eine Ausstellung zu dem Bauhauskünstler Johannes Itten. Da im Bauhaus auch jüdische Ritualien hergestellt wurden, zum Beispiel eine wunderschöne Chanukkia, fragte ich bei ihm als Experten an, ob im Bauhaus eventuell auch Stoffe mit jüdischen Motiven gewebt wurden, die man hätte nachweben können. Der Synagoge in der Reichenbachstraße im Stile des Bauhauses fehlte noch ein entsprechender Toravorhang. Die herkömmlichen, ornamentalen Toravorhänge passen eben nicht zur Reichenbach-Synagoge. Christoph Wagner vermittelte den Kontakt zu Ariel Aloni, ich zeigte ihm die Synagoge, und er war begeistert. Ich erzählte ihm, wonach ich suchte, und er reagierte sofort: Er übergab der Synagoge drei Originalstoffe seiner Großmutter Gunta Stölzl als Schenkung. Aloni sagte mir, dass das für ihn das emotionalste Projekt seines Lebens sei. Nach 90 Jahren schloss sich der Kreis: Die Arbeiten einer der prägendsten Bauhaus-Künstlerinnen aus München kehren in eine Bauhaus-Synagoge zurück. Was für ein Glücksfall!

Und das zusätzlich noch im Bauhausjahr 2025.
Wissen Sie, ich habe viele schlaflose Nächte gehabt, aber solche Geschichten, die dann auch wirklich neue Geschichte schreiben, entschädigen für vieles, was man überwinden musste.

Am 15. September ist Eröffnung. Was wünschen Sie sich für die Synagoge?
Ich wünsche diesem Haus eine bessere Zukunft. Es freut mich, dass es wieder in vollem Glanz erstrahlt. Und ich sage es einmal ganz leger: Das wird einer der hippesten Orte weltweit werden. Dass mir diese Ehre zuteilgeworden ist, ein Gotteshaus zu retten – ich glaube, mehr kann man sich im Leben nicht wünschen.

Mit der Literaturwissenschaftlerin und Vorsitzenden des Münchner Vereins »Synagoge Reichenbachstraße« sprach Katrin Richter.

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