Hamburg

»Ich will kein Opfer sein«

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky (2.v.r.) bei der Vorstellung der Plakataktion Foto: © Gesche-M. Cordes Hamburg

Genau eine Woche nach dem Angriff auf den Hamburger Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und seinen Begleiter Eliezer Noe haben die Hanseaten eine Initiative gegen Antisemitismus ins Leben gerufen. Am vergangenen Donnerstag gab es dazu eine offizielle Auftaktveranstaltung, und zwar an derselben Stelle, an der Bistritzky und Noe am 20. Juni von einem 45-jährigen Marokkaner angepöbelt und bespuckt worden waren.

Reaktionen Schon in der vorab veröffentlichten Pressemitteilung betonte Bistritzky, wie dankbar er für die Reaktionen auf die antisemitische Attacke und die »zahlreichen Schreiben und die Solidaritätsbekundungen Hamburger BürgerInnen, meiner KollegInnen anderer Religionsgemeinschaften und aus der politischen Vertretung unserer Stadt« sei. »Ich möchte niemandem erzählen, wie es ist, hier angegriffen, angespuckt und angepöbelt zu werden.«

Er richtet stattdessen den Blick in die Zukunft und betont: »Ich will kein Opfer sein. Ich verstehe diesen Vorfall als Anlass, um für Toleranz und Respekt im Umgang mit allen Religionen aufzurufen.« Dies nahmen nun einige Hamburger zum Anlass, die Initiative »Wir sind Hamburg. Gegen Antisemitismus. Gegen Diskriminierung« zu gründen.

Plakataktion Vor allem über die sozialen Medien soll eine Möglichkeit zur Solidarisierung und zum Austausch geschaffen werden, erhofft sich der Gründer und Sprecher der Initiative, Daniel Sheffer. Eine Woche nach dem Vorfall hatte er deswegen zum offiziellen Auftakt wieder vor das Rathaus eingeladen. Parallel zum Social-Media-Auftritt soll auch eine Plakatkampagne mit dem Titel »Wen siehst Du?« für mehr Toleranz und Vielfalt in der Hansestadt werben.

Bistritzky sieht diesen Vorfall als Anlass, um zu Toleranz mit allen Religionen aufzurufen.

Auf den Aushängen sind die Porträts verschiedener Personen zu sehen, ergänzt um zahlreiche Hintergrundinformationen und Schlagworte, die jeden der Porträtierten über das religiöse Label hinaus beschreiben. Eine große Anzahl von Unterstützern war an dem Nachmittag gekommen, um Sheffer und die Initiative auf den Weg zu bringen.

Toleranz Auch das mediale Interesse war groß, zumal sich auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eingefunden hatte. Tschentscher betonte, dass Hamburg sich seit Jahrhunderten als weltoffene Stadt verstehe, in der das jüdische Leben dazugehöre und lebendig sei.

Der Kampf gegen Antisemitismus funktioniere aber nicht nur über einzelne Aktionen, sondern sei für jeden Hamburger eine tagtägliche Aufgabe. »Wir sollten uns alle daran beteiligen, indem wir offen darüber sprechen«, sagte Tschentscher. Es lebten Menschen aus 180 Na-tionen in der Hansestadt, das sei eine tolerante, vielfältige Gesellschaft, und vor allem die jüdischen Gemeinden gehörten dazu, betonte er. Er sei sehr erschrocken gewesen über den Überfall nach dem Senatsfrühstück, bei dem ihn eine ehemalige Hamburgerin aus Amerika mit den Worten lobte: »Diese Tage hier in Hamburg haben mir sehr geholfen, Deutsche als Deutsche zu sehen und nicht mehr als Nazis.«

Bedrohung Auch Landesrabbiner Shlomo Bistritzky stellte am Ort des Angriffs noch einmal klar, dass seine positiven Erlebnisse und Begegnungen während der vergangenen Jahre in Hamburg deutlich überwiegen. Allerdings wies er auch auf die wachsende Bedrohung hin, der sich die jüdische Gemeinde ausgesetzt sieht.

Bei einer Gesprächsrunde mit einem bekannten Salafisten habe dieser ihn zum Beispiel darüber informiert, dass Neonazis ihn kontaktiert hätten, um »gemeinsame Sache« zu machen. Aber Bistritzky wollte sich auf das Positive konzentrieren. »Am Ende sind wir alle Menschen«, schloss der Rabbiner. »Man muss nicht alles verstehen, was der andere macht und sagt, aber man muss den anderen respektieren, nur so können wir in dieser schönen Stadt miteinander gut leben«, sagte Shlomo Bistritzky. Er sei in Hamburg überwiegend positiv angesprochen worden, oft mit »Schalom« und »Wie schön, dass Sie hier sind«.

Synagogenbesuche und Austauschbegegnungen sollten verpflichtend sein, sagt Daniel Sheffer.

Initiativen-Sprecher Daniel Sheffer fand sehr deutliche Worte in seiner kurzen Ansprache. »Wir sind jede einzelne Meldung leid!« Jeder Angriff auf Juden sei ein Angriff auf alle Menschen, sei ein Angriff auf die Werte der Stadt Hamburg. »Wir wollen dem Senat Mut machen, mehr als 70 Jahre nach der Schoa dafür zu sorgen, dass es in dieser Stadt keinen Antisemitismus mehr gibt«, sagte Sheffer. Und: »Wir brauchen Aktionen gegen den Antisemitismus nicht hier, wo alle Bescheid wissen, sondern dort, in den brennenden Milieus, und es darf auf Schulhöfen keinen Platz mehr geben für Judenwitze.«

Antisemiten Es dürfe nicht sein, dass es immer noch so viel rechtes und menschenfeindliches Gedankengut in den Köpfen und vermehrt wieder in Parteien gebe, sagte Sheffer. »Kein Kind wird als Antisemit geboren. Sorgen wir dafür, dass sie auch nicht dazu erzogen werden«, forderte er und erntete dafür lauten Applaus der rund 250 Anwesenden.

Sheffer ließ es sich auch nicht nehmen, eine Forderung an den neben ihm stehenden Bürgermeister zu stellen. Synagogenbesuche und Austauschbegegnungen mit jüdischen Bürgern müssten verpflichtend ins Schulprogramm integriert werden, wünscht er sich als praktische Maßnahme vonseiten der Politik.

Nach der Veranstaltung kam es noch zu angeregten Unterhaltungen vor den Toren des Rathauses. Auch mehrere Vertreter aus muslimischen Gemeinden waren vor Ort, um ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft der Hansestadt zu bekunden.

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