München

Hilfe von »Ruth«

Judith Kotra, Laili Gitbud, Towa Schvarcz, Brigita Zaidman, Charlotte Knobloch, Helen Muallem, Felicia Schipper und Tonia Braun (v.l.) Foto: privat

Als vor rund 120 Jahren Bertha Pappenheim, die für manche auch unter dem Pseudonym Anna O. als berühmte Patientin Sigmund Freuds bekannt ist, zusammen mit Sidonie Werner den Jüdischen Frauenbund (JFB) gründete, hatten ähnliche Organisationen für evangelische und katholische Frauenbünde bereits einige Jahre bestanden.

Obwohl sich in den Jahrzehnten zuvor Frauenvereine mit einem fürsorgerischen Schwerpunkt konstituiert hatten, fiel diese Entwicklung in eine Hochphase jenes gesellschaftlichen Wandelprozesses, der später als erste Welle des Feminismus bekannt werden sollte. Die Öffnung der Universitäten und das Frauenwahlrecht folgten, auch radikalere Strömungen wie die sozialistischen Frauenbewegungen blühten auf, deren Aktivitäten unter anderem zur Einführung des Internationalen Frauentags am 8. März führten.

Die in Czernowitz geborene Rosel Lessner, deren Geburtstag auf den 7. März fällt, war nicht nur Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes, sondern auch des »Jüdischen Frauenvereins Ruth«, den sie nach dem Krieg mit Klara Pradelski 1959 in München gegründet hatte.
Zunächst konzentrierten sich die Beteiligten auf den Besuch von bedürftigen und kranken Holocaustüberlebenden. Schnell erweiterte sich das Engagement aber, und schon in den frühen Jahren des Vereins wurden etwa 150 Bedürftige regelmäßig betreut.

Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste

1987 wurde Rosel Lessner für ihr Engagement mit der Bayerischen Staatsmedaille für soziale Verdienste ausgezeichnet. Neben ihren vielen Leistungen war Lessner nicht zuletzt auch die politische Förderin einer Mitstreiterin, ohne welche die jüdische Gemeinde in München nicht das wäre, was sie heute ist: Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden. Sie wurde durch Lessner motiviert, nicht nur im Vorstand des Frauenvereins Ruth aktiv zu werden und im Jüdischen Frauenbund zu wirken, sondern sich auch für soziale Aufgaben in den IKG-Vorstand wählen zu lassen.

Nach über einem Vierteljahrhundert im Amt ist mit Hanna Feiereisen im Jahr 2023 offiziell die letzte Vorsitzende des Frauenvereins Ruth abgetreten. Seitdem sind alle Mitglieder des Vorstands gleichberechtigt: Tonia Braun, Laili Gitbud, Judith Kotra, Helen Muallem, Felicia Shipper, Towa Schvarcz und Brigita Zaidman stehen derzeit gemeinsam dem Verein in der Reichenbachstraße 27 vor.

Wer nicht im Büro von »Ruth« vorbeikommen kann, den besuchen die Frauen zu Hause.

Eine Verwaltungskraft gibt es dabei nicht, damit alle Spenden direkt an die Bedürftigen gehen. Die Hauptaufgabe des Vereins, den Schwächsten und Bedürftig-sten in der Gemeinde zu helfen, ist heute so aktuell wie in den Gründungsjahren. Auch deshalb sucht der Vorstand Nachfolgerinnen, die wie sie mit dem Herzen dabei sind.

Mitglied in dem Verein kann jeder werden, Frauen wie Männer. Der geringe Jahresbeitrag der Mitglieder macht aber nur einen Teil der Unterstützung aus. Es sind vor allem die Spenden, die denjenigen zugutekommen, die oftmals an der Armutsgrenze leben. Zweimal im Jahr, vor Pessach und vor Rosch Haschana, bittet der Verein um Spenden, hinzu kommt ein Zuschuss der IKG. Alles kommt, wie der Vorstand stets betont, zu 100 Prozent bei den Bedürftigen an.

Um Hilfe zu bitten, ist für etliche nicht einfach. »Es ist für viele eine große Überwindung, sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt, und diese dann auch anzunehmen«, meinte Towa Schvarcz im vergangenen Herbst im Gespräch mit der Gemeindezeitung »Jüdische Gemeinde Aktuell«.

Nicht jede Hilfe geschieht denn auch in Form von finanzieller Unterstützung: »Manchen ist es wichtig, dass ihnen jemand zuhört und sie in ihrem Alltag begleitet. Mit unserem Engagement machen wir ihr Leben ein wenig lebenswerter.« Dazu tragen zum Beispiel die Gutscheine bei, die meist älteren Gemeindemitgliedern einen Besuch im Restaurant Einstein ermöglichen, ebenso wie die Klavierstunden für ein musikalisch begabtes Kind oder das Taschengeld, das der Verein mehreren Kindern zukommen lässt.

Hebelifter für mobil eingeschränkte Senioren

Auch den Bewohnern in der neuen Zaidman-Seniorenresidenz kommt die Hilfe von »Ruth« zugute. So hat der Frauenverein einen Hebelifter für mobil eingeschränkte Senioren und fünf mit speziellen Schutzvorrichtungen ausgestattete Pflegebetten zur Verfügung stellen können. Jedes der Betten wurde von jeweils einem einzelnen Spender ermöglicht.

»Wir haben mit den Spenden schon Kinderzimmermöbel, ganze Küchen oder Haushaltsgeräte finanziert, aber auch einen elektrischen Rollstuhl für eine gehbehinderte Person«, berichtet Helen Muallem.

Auch Zuzahlungen für medizinische Behandlungen können erforderlich werden, wenn die gesetzlichen Kassen etwas nicht mehr übernehmen.
Und wer nicht im Büro von »Ruth« vorbeikommen kann, den besuchen die Vorstandsdamen zu Hause. »Wir ermöglichen einen Weg zu mehr Selbständigkeit, damit sie ein wenig mehr haben als nur das Notwendigste zum Leben«, betont Muallem, »nämlich ein Leben in Würde und ein paar Augenblicke der Freude.«

Dafür werden auch in Zukunft Spenden und Engagement benötigt – und alle, die sich engagieren wollen, sind herzlich willkommen.

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