Engagement

Hilfe für ein Jahr

Der Bundesfreiwilligendienst steht jedermann offen. In den Gemeinden arbeiten vor allem Zuwanderer als Bufdis. Foto: Getty Images / istock

Bundesfreiwillige sind das Aushängeschild in vielen jüdischen Gemeinden Deutschlands. Denn etliche Gemeindezentren besetzen ihre Empfangstresen mit Kräften aus dem Bundesfreiwilligendienst, kurz Bufdis oder BFDler genannt. Dort sind sie der erste Ansprechpartner für Mitglieder und Gäste.

»Zu uns kommen viele Touristen. Die Kräfte am Empfang sind sehr wichtig für das Image unserer Gemeinde. Der Empfang muss immer besetzt sein, und zwar von freundlichen, zweisprachigen Mitarbeitern«, sagt Elena Tanaeva, Sozialarbeiterin bei der Jüdischen Gemeinde zu Dresden.

Etwa 100 jüdische Gemeinden in Deutschland bauen auf Bufdis: Sie helfen auf dem Friedhof, halten Gemeindehäuser instand, kümmern sich um die Bibliothek. Vor allem bei den sozialen Tätigkeiten, die viel Kraft und Zeit kosten, sind die BFDler unverzichtbar.

Organisiert wird der Bundesfreiwilligendienst (BFD) über Zentralstellen. Diese erhalten ein bestimmtes Kontingent an Freiwilligenmonaten, das sie an ihre angeschlossenen Einsatzstellen verteilen. Die Freiwilligen dürfen zwischen sechs und 18 Monate lang beschäftigt werden. Sie absolvieren begleitende Seminare, sind sozialversichert, haben Urlaubsanspruch und erhalten ein Taschengeld.

Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) ist eine der Zentralstellen für den Bundesfreiwilligendienst und dient den jüdischen Gemeinden als Vermittler. Pro Jahr kann die ZWST etwa 4000 Teilnehmermonate aus dem BFD an die jüdischen Gemeinden verteilen. Das entspricht in etwa 360 Freiwilligen.

Einsatzzweck Damit es bei der Verteilung des Monatskontingents gerecht zugeht, berücksichtigt die ZWST zum Beispiel die Gemeindegröße, das Verhältnis von festen Jobs zu Freiwilligenstellen und den Einsatzzweck. So haben Plätze in der Senioren- und Jugendarbeit Vorrang vor Stellen als Hausmeisterhelfer oder in der Verwaltung. Die jüdischen Gemeinden besetzten diese BFD-Stellen häufig mit Gemeindemitgliedern oder deren Angehörigen.

Der Bundesfreiwilligendienst wurde im Sommer 2011 eingeführt. Er ersetzt den Zivildienst, der mit der Aussetzung der Wehrpflicht ebenfalls eingestellt wurde, und steht jedermann offen. Derzeit sind in Deutschland rund 39.000 Bundesfreiwillige im Einsatz. Der Bund stellt in diesem Jahr 205 Millionen Euro für die Dienste zur Verfügung.

Mehr als die Hälfte aller Bundesfreiwilligen ist jünger als 27 Jahre. Anders in den jüdischen Gemeinden: Hier sind die Bufdis meist zwischen Mitte 40 und Mitte 60. »Neben dem größten Anteil an älteren Freiwilligen haben wir sicherlich auch den größten Anteil an Freiwilligen mit Migrationshintergrund«, sagt Günter Jek, Leiter des Berliner Büros der ZWST.

Viele Migranten schaffen es aufgrund ihres Alters oder mangelnder Sprachkenntnisse nicht, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Für sie ist der BFD eine willkommene Möglichkeit, sich trotzdem einzubringen, ihr Wissen zu nutzen oder neue Talente zu entdecken. Mit der Aufwandsentschädigung von derzeit maximal 390 Euro im Monat kann kein Bufdi große Sprünge machen. Doch das Geld ist für die meisten nicht entscheidend, weiß Elena Tanaeva: »Die Leute haben eine praktische Aufgabe und fühlen sich nützlich. Das ist, was wirklich zählt. Sie sind bei allen Aktivitäten der Gemeinde mittendrin.«

Ruth Röcher, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, teilt diese Einschätzung: »Der soziale Aspekt des Bundesfreiwilligendienstes ist sehr wichtig. Die Menschen kommen unter Leute, haben Aufgaben und Pflichten. Für ihre Würde und Selbstbehauptung ist das zentral.«

Weiterbildung Ein Plus für die Freiwilligen sind die Weiterbildungen im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes. Die ZWST bietet regelmäßig Seminare an, etliche Gemeinden organisieren zusätzlich eigene Kurse. Jüngere Bufdis sehen im Bundesfreiwilligendienst die Chance, sich weiter zu qualifizieren und so ihre Aussichten auf dem regulären Arbeitsmarkt zu verbessern.

Die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach war 2011 die erste in Deutschland, die Bundesfreiwillige beschäftigte. Darauf ist die Gemeindevorsitzende Leah Floh stolz. Larissa Konberg war vor einigen Jahren Bundesfreiwillige in der Gemeinde. Sie war froh, auf diese Weise in ihrem angestammten Beruf weiterarbeiten zu können. 30 Jahre lang arbeitete die ausgebildete Russischlehrerin in ihrer ukrainischen Heimat als Bibliothekarin. Als Leah Floh ihr eine BFD-Stelle in der jüdischen Gemeindebibliothek anbot, griff sie begeistert zu. Inzwischen arbeitet sie dort als Ehrenamtliche. »Ich mag diese Arbeit sehr. Und für unsere Mitglieder ist es wichtig, dass sie hier die russischen Neuerscheinungen bekommen«, sagt sie.

Anderen Bundesfreiwilligen eröffnet der Dienst neue berufliche Perspektiven. Zum Beispiel Svetlana Crivaia aus Chemnitz. Seit einem Jahr hilft die ausgebildete Informatikerin in der Sozialabteilung der jüdischen Gemeinde. Für die 42-Jährige ist das ihr Traumjob: »Ich arbeite gerne mit Menschen.« Seit 20 Jahren ist die gebürtige Moldawierin in Deutschland. Nach der Familienpause sah sie keine Chance, in ihren Beruf als Informatikerin zurückzukehren. »In diesem Bereich veraltet das Wissen sehr schnell. Außerdem wollte ich immer schon lieber in einem sozialen Beruf arbeiten.«

Als Bufdi bei der jüdischen Gemeinde kümmert sie sich sowohl um die Datenpflege als auch um das Menschliche. Sie berät vor allem ältere Migranten, die schlecht Deutsch sprechen, erledigt Telefonate für sie und begleitet sie zum Arzt. »Wer sich engagieren will, kann sich im Bundesfreiwilligendienst verwirklichen. Das sind Stellen für Leute, die ein großes Herz haben und nützlich sein wollen«, sagt Svetlana Crivaia.

Erfahrungen Wenn in einem halben Jahr ihre BFD-Zeit endet, will die engagierte Frau eine Ausbildung in einem sozialen Beruf machen. Dafür fühlt sie sich durch ihre praktischen Erfahrungen und durch die ZWST-Seminare gut gerüstet: »Die Seminare zu sozialen und rechtlichen Themen sind supergut und direkt auf unseren Bedarf zugeschnitten.«

Die jüdischen Gemeinden gewinnen mit den Bufdis kostenneutral motivierte Helfer. Zwar dürfen Bundesfreiwillige nur unterstützende und Zusatztätigkeiten ausführen. Aber die wenigsten jüdischen Gemeinden können sich ausreichend reguläres Personal leisten. Beispiel Chemnitz: »Unser Budget reicht nicht für eine volle Hausmeisterstelle, wir brauchen aber jemanden, der die Haustechnik im Griff hat. Und wir haben auch keine volle Stelle für die Friedhofspflege, obwohl wir einen riesigen Friedhof mit einem denkmalgeschützten Bereich in Ordnung halten müssen. Deshalb sind wir auf Bufdis angewiesen«, erklärt Gemeindevorsitzende Ruth Röcher.

So sehr alle Beteiligten vom Bundesfreiwilligendienst profitieren, so groß ist der Verdruss über die gesetzlich vorgeschriebene Sperrfrist: Wer 18 Monate als Bundesfreiwilliger gearbeitet hat, ist für die nächsten fünf Jahre gesperrt. Grund: Durch den Bundesfreiwilligendienst soll kein zweiter, subventionierter Arbeitsmarkt entstehen.

Wer nach dem BFD-Einsatz keine andere Beschäftigung findet, arbeitet häufig als Ehrenamtlicher in den jüdischen Gemeinden weiter – oder wartet auf das Ende der Sperre. »Inzwischen haben wir einige Kräfte, die nach fünf, sechs Jahren zum zweiten Mal als Bundesfreiwillige zu uns kommen«, berichtet Leah Floh. Die Jüdische Gemeinde Hannover sucht nach BFD-Kräften. Sie braucht Unterstützung in der Verwaltung und für Friedhofsarbeiten.

www.zwst.org/de/zwst/bundesfreiwilligendienst

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