Düsseldorf

»Eine Stimme, wo andere schwiegen«

»Du bist ein Düsseldorfer durch und durch, der Verantwortung übernimmt und Brücken baut, dem das Wohl dieser Stadt und ihrer Menschen wirklich am Herzen liegt«, sagte Oded Horowitz, der Vorsitzende der Düsseldorfer Gemeinde, in seiner Rede: »Deine klare Haltung gegen Antisemitismus und dein unerschütterlicher Einsatz für jüdisches Leben machen dich zu einem würdigen Preisträger der Josef-Neuberger-Medaille 2025.«

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf hat sie vergangene Woche dem Antisemitismusbeauftragten der Landeshauptstadt, Wolfgang Rolshoven, verliehen. Damit zeichnet die Gemeinde seit 1991 nichtjüdische Persönlichkeiten und Einrichtungen aus, die sich für die jüdische Gemeinschaft und gegen Antisemitismus eingesetzt haben.
Rolshoven erhielt die Auszeichnung nicht nur für seine berufliche Tätigkeit. Schon als Vorsitzender des »Heimatvereins Düsseldorfer Jonges« suchte er den Kontakt zur jüdischen Gemeinde und arbeitete die Geschichte der Jonges in der Nazizeit auf. Regelmäßig war er dabei, wenn mit der »Run for their Lives«-Bewegung an das Schicksal der israelischen Geiseln erinnert wurde.

Der Gemeindevorsitzende Oded Horowitz sprach auch die Lage der Juden in Deutschland an, die er als bedrohlich bezeichnete: »Jüdinnen und Juden in Deutschland leben weiterhin in Sorge. An vielen Schulen, Universitäten und im öffentlichen Raum begegnen wir nicht selten Gleichgültigkeit oder gar Hass.«

Oded Horowitz sprach auch die Lage der Juden in Deutschland an

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt sagte, Rolshoven habe die Stadtverwaltung sensibilisiert, Protokolle für den Umgang mit antisemitischen Vorfällen entwickelt und sei ein entscheidender Motor für die Gründung des Netzwerkes »Düsseldorf gegen Antisemitismus«. In einer Zeit, in der Hassnachrichten in den sozialen Medien explodieren, sei er der ruhige, aber unnachgiebige Wächter, der alle daran erinnere, dass Schweigen keine Option ist.

Früher sei der Judenhass oft aus den dunklen Ecken des Rechtsextremismus gekommen, sagte Goldschmidt. »Heute, nach dem barbarischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, hat er ein neues Gesicht bekommen. Der Großteil der antisemitischen Vorfälle in Deutschland und in Europa geht nun von Unterstützern der Hamas und islamistischen Kreisen aus.«

Die Laudatio auf Wolfgang Rolshoven hielt Nordrhein-Westfalens stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne). Es sei kalt geworden in Europa, sagte sie. Seit dem 7. Oktober erlebten Jüdinnen und Juden zunehmend Antisemitismus, Hass und Empathielosigkeit ihrer Mitmenschen. Rolshoven sei danach laut geworden, andere hätten geschwiegen.

»Es braucht Menschen wie ihn, die Vielfalt und Menschlichkeit stark machen«, sagte Mona Neubaur.

»Er hat sich an konkreten Initiativen gegen Antisemitismus beteiligt. Er will die Stadt verantwortlich machen. Er will wirksame Strukturen gegen Antisemitismus schaffen und jüdisches Leben stärker verankern«, so Neubaur. Es brauche Menschen wie Wolfgang Rolshoven, die Vielfalt und Menschlichkeit stark machen würden. Er bringe Heimat und Haltung zusammen. »Heimat ist kein statisches Konzept. Heimat ist die Stimme des Herzens.« »Wir erleben in diesen Monaten eine beunruhigende Entwicklung«, sagt Rolshoven in seiner Dankesrede. Antisemitismus werde wieder offen und laut ausgelebt. Er zeige sich im Israelhass, in der Ausladung israelischer Künstler und der Ausgrenzung von Juden.

»Ich habe in meiner Arbeit als Antisemitismusbeauftragter viele Gespräche geführt mit Menschen, die sich in unserer Stadt nicht mehr sicher fühlen. Mit Menschen, die sich fragen, ob sie den Davidstern oder die Kippa noch tragen sollen oder besser nicht. Ein Düsseldorfer Hauseigentümer sagt, an einen Juden vermiete er nicht.« 1933 habe es auch so angefangen.

Antisemitismus sei kein jüdisches Problem

Wolfgang Rolshoven hat Wieder zu Hause von Paul Spiegel gelesen. »Er machte sich große Sorgen, dass die damalige NPD drei bis vier Prozent bei kommunalen und regionalen Wahlen erzielt hatte. Was würde er uns sagen, wenn er wüsste, dass eine rechtsextreme Partei die zweitstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag ist?«

Antisemitismus sei kein jüdisches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Ihm müsse man mit Bildung, Haltung und Courage entgegentreten. Jüdisches Leben gehöre sichtbar, selbstverständlich und geschützt zur Gesellschaft. »Wenn Zehntausende auf sogenannten propalästinensischen Kundgebungen den Staat Israel dämonisieren und seine Existenz infrage stellen, dann dürfen wir das nicht als große Meinungsäußerung abtun. Das ist ein Angriff auf unsere demokratischen Grundwerte.«

Benannt ist die Medaille, die Wolfgang Rolshoven vergangene Woche erhielt, nach dem 1977 verstorbenen Düsseldorfer SPD-Politiker und Justizminister Josef Neuberger. Zuletzt waren die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (2023) und im vergangenen Jahr der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mit der Medaille geehrt worden.

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  22.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Porträt

Am richtigen Ort

Arie Oshri ist Koch, Dragqueen und lebt in seiner Wahlheimat Berlin

von Alicia Rust  20.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025