Frankfurt

Ein Mann der klaren Worte

Gedenken an Ignatz Bubis: Leo Latasch, Ida Bubis, Salomon Korn und Harry Schnabel (v.l.) Foto: Rafael Herlich

Es war vor allem ein Abend der persönlichen Erinnerungen. Kurz nach seinem 20. Todestag wurde Ignatz Bubis in Frankfurt als Mensch und Person des öffentlichen Lebens gewürdigt. Neben der FDP-nahen »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit« waren die Bildungsstätte Anne Frank und die Evangelische Akademie Frankfurt Ko-Veranstalter. Mit Ignatz Bubis’ Frau Ida nahm ein besonderer Gast in der ersten Reihe Platz.

Autodidakt In seinem Grußwort beschrieb Harry Schnabel, Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis als einen Mann der klaren Worte: »Man wusste stets, woran man bei ihm ist.« Schnabels Bewunderung für Bubis wurde deutlich. Er sei ein »perfektionierter Autodidakt« gewesen, habe »in atemberaubendem Tempo« gelernt.

Bubis’ Lebensgeschichte lasse sich als eine Konfliktgeschichte erzählen, bemerkte Schnabel. »Häuserkampf«, Fassbinder-Kontroverse, Rostock-Lichtenhagen, Walser-Debatte: Entlang dieser politischen Ereignisse und Auseinandersetzungen verlief ein wesentlicher Teil des Gedenkabends in der Evangelischen Akademie.

Ignatz Bubis sei ein »perfektionierter Autodidakt« gewesen, sagt Harry Schnabel.

Einen sehr persönlichen Vortrag hielt Salomon Korn, Vorsitzender des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Er blickte auf einige Stationen seiner Zusammenarbeit – und späteren Freundschaft – mit Ignatz Bubis zurück. Die Zusammenarbeit habe 1980 begonnen. Sie sei zunächst alles andere als harmonisch gewesen, erinnerte sich Korn. Er gewann damals den Architektenwettbewerb für das Frankfurter Gemeindezentrum, ein zentrales Vorhaben seines Vorgängers Bubis. Der Plan, ein festes Domizil zu errichten, sei vor allem unter älteren Gemeindemitgliedern umstritten gewesen.

Gemeindezentrum Im September 1986 wurde das Gemeindezentrum eröffnet. Ida Bubis sagte damals, so Korn, sie habe zum ersten Mal das Gefühl, in Frankfurt zu Hause zu sein. Das sei auch sein Eindruck gewesen, betonte Korn. Immer wieder streute er anekdotische Beobachtungen ein, etwa zu gemeinsamen Autofahrten mit Bubis: »Unter 200 km/h fuhr er nur, wenn die Umstände es nicht anders zuließen.«

Bubis’ Stärke sei die Fähigkeit gewesen, erzählt Korn, »unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und ihnen genügend Raum zu geben«. Er erinnerte an Meinungsverschiedenheiten mit Bubis im Frankfurter Börneplatz-Konflikt 1987 sowie in der Debatte um die Errichtung des Berliner Holocaust-Mahnmals.

Der Beifall der Eliten für Martin Walsers Friedenspreisrede habe Bubis »in tiefste Besorgnis« versetzt, sagt Salomon Korn.

Dass sich Ignatz und Ida Bubis 1998 in der Frankfurter Paulskirche nicht zum Applaus für Martin Walser erhoben, beeindruckte Korn sehr. »Nie werde ich diesen Augenblick vergessen.« Der Beifall der Eliten für Walsers Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels habe Bubis »in tiefste Besorgnis« versetzt. Seinen Vortrag schloss Korn mit einem sichtlich bewegten Rückblick auf den »windigen, nasskalten Morgen« des 15. August 1999, als Ignatz Bubis in Tel Aviv beerdigt wurde.

Podiumsdiskussion Ein weiterer Programmpunkt war die Podiumsdiskussion mit Salomon Korn, Deborah Krieg, Stefan Ruppert und Michael Lenarz. Von der Radiojournalistin Sandra Schulz moderiert, sollten die Teilnehmer weitere Perspektiven auf Ignatz Bubis einbringen.

Michael Lenarz, stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt, erinnerte unter anderem an den »Häuserkampf« der frühen 70er-Jahre. Dass Bubis als Immobilienunternehmer so sehr ins Visier der Protestierenden geraten war, erklärte Lenarz unter anderem mit einem Ausspruch des damaligen Aktivisten Daniel Cohn-Bendit. »Der Ignatz hatte nur das Pech, dass seine Häuser am Nächsten an der Uni lagen.«

Als Bubis’ Vermächtnis bezeichnete Lenarz dessen zahlreiche Auftritte vor Schülern. »Er vermittelte ein lebendiges Bild eines deutschen Staatsbürgers jüdischen Glaubens.« Auch habe Bubis deutlich gemacht, dass die Vergangenheit nicht bewältigt sei und nicht bewältigt werden könne.

Deborah Krieg warnt vor den »Konjunkturen des Schlussstriches«.

Deborah Krieg, stellvertretende Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank, konnte dazu aus ihrer Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen berichten. Sie sprach von »Konjunkturen des Schlussstriches«. Die Abwehr der Erinnerung komme heute in anderen Gewändern daher. Man betone etwa, wie gut man die Vergangenheit bewältigt habe, und möchte daher anderen vorgeben, wie sie es ihrerseits zu leisten hätten.

Stefan Ruppert, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, zeigte sich beeindruckt davon, wie Ignatz Bubis wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Liberalismus zusammengebracht und sich zugleich gegen nationalliberale Tendenzen in seiner Partei gewandt habe.

Resümee Salomon Korn sagte, Ignatz Bubis habe die Vorstellung einer »Entwicklung vom Juden in Deutschland zum deutschen Juden hin zu einem jüdischen Deutschen« gehabt. Das sei in einer Generation nicht zu schaffen gewesen. Als Macher sei Bubis ungeduldig gewesen. Korn wertete Bubis’ Aussage in einem »Stern«-Interview 1999, er habe »fast nichts erreicht«, als zu pessimistisch. Er sei verhalten optimistisch, dass Deutschland einen Weg einschlage, der in Richtung des von Bubis angestrebten Zustands gehe, so Korns Resümee.

Jom Haschoa

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