Abiturienten

Die Zukünftigen

Die Abiturfeiern liegen gerade ein paar Wochen zurück, die Bewerbungsfrist für die Studienplatzvergabe endete bereits – der Sommer kann kommen. Wie stellen sich die Abiturienten ihre nahe Zukunft vor? Hat der 7. Oktober 2023 ihre Pläne beeinflusst? Die Jüdische Allgemeine hat einige gefragt.

Zoe (18), Frankfurt, mit ihrer jüngeren Schwester Emma (l.)
Da ich in Tel Aviv geboren wurde, bin ich auch israelische Staatsbürgerin. Bisher hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, nach dem Abitur zum Militär zu gehen, doch angesichts der weltweiten und auch persönlichen Entwicklungen werde ich dies nicht tun. Dennoch werde ich in den nächsten Wochen zu meinem älteren Bruder nach Israel reisen. Dort gibt es auch zahlreiche spannende Programme neben dem Militär, an denen ich teilnehmen könnte.

Vor zwei Monaten war ich in Israel und habe mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt. Schon nach dem 7. Oktober 2023 hatte ich mich fest entschieden, weiterhin in das Land zu reisen. 90 Prozent meiner Verwandten leben dort und freuen sich, dass ich komme. Mein Plan ist es, in Tel Aviv als Mini-Jobberin zu arbeiten und von dort aus Bewerbungen für Unis zu schreiben. Es ist schon ein Risiko, dort zu leben, aber das ist es auch in Frankfurt – wenn auch in anderer Form. Dass ich mich in Israel wohlfühle, teile ich mit meinem Vater, meiner jüngeren Schwester und meinem älteren Bruder, der dort lebt und beim Militär ist.

Im Hinblick auf meine künftige Bildungslaufbahn fällt es mir noch ziemlich schwer, mich zu entscheiden, da meine Interessen breit gefächert sind. Film, Grafik, Linguistik, Literatur und Sprachwissenschaften ziehen mich an. In jedem Fall werde ich genau schauen müssen, welche Universitäten überhaupt noch für mich infrage kommen, denn eine, an der der Antisemitismus stark ist, kommt für mich nicht in Betracht. Die zwölf Monate will ich mir Zeit nehmen, um herauszufinden, womit ich mich intensiv beschäftigen möchte. Fest steht, dass ich ein dreimonatiges Praktikum bei einer Filmproduktionsfirma in Los Angeles machen werde.

Joshua (17), Berlin
Mein Plan, in Berlin zu bleiben und an der Charité Medizin zu studieren, hat sich trotz des 7. Oktober nicht geändert. In den nächsten Wochen erhalte ich hoffentlich eine Zusage. In der elften Klasse wechselte ich von einer staatlichen Schule zum Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn, wo ich jetzt mein Abitur gemacht habe. Da empfand ich die Gesellschaft als enger und sympathischer. Falls ich beim ersten Versuch keinen Studienplatz bekommen sollte, würde ich das Pflegepraktikum vorziehen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Die Charité geht für mich. Glücklicherweise bietet die FU Berlin das Fach Medizin nicht an, sodass ich da nicht in eine Zwickmühle geraten kann. Denn an der Freien Universität wäre mir ein Studium wegen der vielen propalästinensischen Proteste unangenehm.

Am 7. Oktober wurde ich morgens wach und fand 300 Nachrichten im Gruppenchat auf meinem Handy vor. Meine Eltern lasen sich auf allen möglichen Geräten die News durch. Unsere Flüge nach Israel wurden gecancelt. Traditionell reisen wir immer im Oktober nach Israel – und hoffen, auch in diesem Herbst wieder hinzufliegen. Irgendwann möchte ich ganz nach Israel ziehen, aber ich weiß noch nicht, wann. Ich hoffe, dann ein Land vorzufinden, das nicht alle paar Jahre mit Angriffen und Bedrohungen zu tun hat. Man merkt an den Reaktionen vieler Menschen, dass sie die Angriffe auf Israel gar nicht so schlimm finden.

Chedwa (18), Frankfurt
Ich möchte mein Leben in Israel aufbauen. Ich wusste schon immer, dass ich dorthin gehen möchte, schließlich lebt da der größte Teil meiner Familie, und es ist mein Land. Im August werde ich meine Koffer packen und hinüberfliegen, im September beginnt mein Lernjahr an der Midrascha, einer Toraschule für Mädchen, in Jerusalem. Früher habe ich gedacht, nach dem Abitur zwei Jahre zum Militär zu gehen, aber Freunde rieten mir, erst einmal Land und Leute kennenzulernen.

Das hat aber nichts mit dem 7. Oktober zu tun, denn diesen Plan habe ich schon vor längerer Zeit gefasst. Ich finde, dass es als Jüdin leichter ist, in Israel zu leben als in Deutschland. Klar, es ist im Moment dort gefährlicher als sonst, aber hier kann auch immer etwas passieren. Dennoch habe ich keine Angst in Frankfurt. Meine Eltern und meine kleine Schwester sind traurig, dass ich nun gehe. Aber für uns hat Israel oberste Priorität. Trotzdem werde ich meine Familie und meine Freunde vermissen und die letzten Wochen in Deutschland noch mit ihnen genießen.

Daniel (18), Leipzig
In naher Zukunft möchte ich mich mehr in der Leipziger Gemeinde und im Tora-Zentrum engagieren, eigentlich auch generell in der jüdischen Community. Ich weiß nicht, ob diese Idee mit dem 7. Oktober zusammenhängt, vermutlich hatte ich das sowieso vor. Jetzt nach dem Abi habe ich einfach wieder mehr Zeit. Ich bin Madrich im Jugendzentrum und freue mich extrem, nun auch endlich wieder dem Projekt »Meet a Jew« zur Verfügung zu stehen und in dessen Rahmen Schulen und andere Institutionen zu besuchen. Mein letzter Einsatz war vor dem 7. Oktober, deshalb kann ich nicht sagen, ob sich die Atmosphäre verändert hat.

Mittlerweile habe ich meine Bewerbungsunterlagen eingereicht, ich würde gern in Leipzig Soziologie oder Kommunikations- und Medienwissenschaften studieren. Zusätzlich möchte ich mich politisch engagieren. Ich finde es wichtig, dass mehr jüdische Stimmen dauerhaft präsent sind und mehr Juden in Organisationen mitarbeiten. Tausende Jahre wurden Juden verfolgt und haben gelitten. Jetzt sollten wir zeigen, dass wir integriert sind und uns zu Wort melden. Beispielsweise hätten wir – wenn es Juden in feministischen Organisationen geben würde, die sich beispielsweise für Gleichberechtigung einsetzen – aufschreien können, weil diese lange Zeit keine Stellung zu den Frauen bezogen haben, die immer noch Geiseln der Hamas sind. Die ganz nahe Zukunft, also den Sommer, möchte ich dafür nutzen, viel Musik zu machen.

Hanna (18), Dortmund
Vor Kurzem war ich mit dem Juze Dortmund, in dem ich als Madricha aktiv bin, für sechs Tage in Israel, das war toll. Mich zieht es allerdings nicht so weit weg, denn ich möchte weiter im Dortmunder Juze Madricha bleiben und meine Gruppe betreuen. Solange ich denken kann, gehe ich ins Juze. Ich weiß nicht, wo ich gelandet wäre, wenn es das nicht gegeben hätte. Es hat einen »Place in my Heart«. Aber ich hoffe, demnächst mit Taglit nach Israel reisen zu können.

Derzeit bewerbe ich mich an Unis in Nordrhein-Westfalen um einen Studienplatz im Fach Internationales Management mit dem Schwerpunkt Englisch. Gleichzeitig habe ich meine Unterlagen für ein Stipendium beim Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) eingereicht und hoffe, beim Auswahlseminar im August gut abzuschneiden.

Der 7. Oktober hat mich dazu motiviert, mithilfe von TikTok-Filmen über das Judentum aufzuklären. Ich möchte zeigen, was das Judentum ausmacht. Die antisemitischen Kommentare machen 90 Prozent aus, nur zehn sind positiv. Ich kann die Antisemiten nicht überzeugen, mache aber trotzdem weiter, auch wenn es nichts bringen sollte. Etwa fünf Filme pro Woche stelle ich ins Netz, einer hatte sogar 300.000 Klicks. Die Hasskommentare zeige ich immer bei der Polizei an.

Mirjam (18), Berlin
Erst einmal habe ich Ferien, aber im September reise ich nach Israel, um ein »Sherut Leumi«-Jahr zu machen. Im Rahmen dessen werde ich im Krankenhaus Shaare Zedek aushelfen und arbeiten. Sherut Leumi ist ein Dienst, den religiöse Mädchen leisten, die nicht in die Armee gehen können. Aber auf diesem Weg können sie trotzdem etwas für Israel tun.

Es war schon lange mein Plan, aber nach dem 7. Oktober 2023 war ich mir noch sicherer, dass es das Richtige für mich ist, weil ich Israel etwas zurückgeben möchte. Die Familie meiner Mutter lebt in Petach Tikwa. Nach dieser Zeit würde ich gern Psychologie studieren und mich auf Kunsttherapie spezialisieren. Wo ich studieren möchte, weiß ich noch nicht.

Joelle (18), Berlin
Ich habe eine aufregende und bedeutsame Reise vor mir: Ich werde ein Gap Year einlegen, um als internationale Präsidentin für BBYO, die Bʼnai B’rith Youth Organization, tätig zu sein.

Die jüngsten Ereignisse haben mir die Dringlichkeit meines Engagements noch stärker bewusst gemacht. In Zeiten zunehmender Unsicherheit und eines wachsenden Antisemitismus ist es wichtiger denn je, jüdisches Leben zu stärken und sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Diese Herausforderungen haben meine Entschlossenheit und meinen Plan, mich im jüdischen Kontext zu engagieren, nur weiter gefestigt. Ich sehe es als meine Aufgabe an, eine Plattform zu bieten, auf der gerade junge jüdische Menschen sich sicher, gehört und unterstützt fühlen können.

Nach diesem intensiven Jahr als Präsidentin plane ich, mein Studium im Ausland fortzusetzen. Inhaltlich denke ich an Bereiche, die meine politischen Interessen und mein Engagement für soziale Gerechtigkeit widerspiegeln. Politisches Engagement wird auch weiterhin eine bedeutende Rolle in meinem Leben spielen. Während ich noch nicht genau weiß, in welcher Form dies geschehen wird, bin ich fest entschlossen, mich für Themen und Anliegen starkzumachen, die mir am Herzen liegen.

Besonders wichtig ist mir der Kampf gegen Antisemitismus. In meiner Rolle bei BBYO werde ich Programme und Initiativen fördern, die sich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen. Ich möchte junge Menschen ermutigen, sich gegen Hass und Vorurteile zu stellen und eine Kultur der Toleranz und des gegenseitigen Respekts zu fördern. Ich bin dankbar für die Chancen, die vor mir liegen, und freue mich darauf, die Zukunft mitzugestalten.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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