Austausch

Der andere Blick

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch mit Bettina Nir-Vered, Petra Pau, Alexandra Nocke, Jenny Havemann sowie Vorstandsmitgliedern der GCJZ Foto: Astrid Schmidhuber für IKG München & Obb.

Das diesjährige Motto der Woche der Brüderlichkeit »Füreinander streiten« gewinnt umso mehr, je länger man darüber nachdenkt. Und vor allem: Es passte perfekt auf ein Gespräch, zu dem die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ), das Kulturzentrum der IKG München und Oberbayern und die Deutsch-Israelische Gesellschaft ins Jüdische Gemeindezentrum einluden.

Geleitet von der Kulturwissenschaftlerin Alexandra Nocke aus Berlin ging es um nichts Geringeres als die gegenseitige Wahrnehmung von Menschen in Deutschland und Israel. Zwei Teilnehmerinnen brachten ihre Geschichten ein: Jenny Havemann, seit 2010 in Israel zu Hause, und die Ostberlinerin Petra Pau, seit 1998 Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke und seit 2006 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.

Bettina Nir-Vered betonte im gemeinsamen Grußwort für alle, dass Dialog der einzig richtige Weg sei, mit den Herausforderungen der Zeit umzugehen und die demokratischen Werte zu bewahren.

Als Erstes ging Alexandra Nocke auf die Entstehungsgeschichte eines Buchprojektes ein, das sie 2017 gemeinsam mit der Philologin Teresa Schäfer begonnen hatte. Vorangegangen war eine Ausstellung über Israelis und Deutsche, die mit 25 Stationen in beiden Ländern erfolgreich gezeigt worden war. Nocke fühlte einen wesentlichen Aspekt zu kurz gekommen: die zwischenmenschliche Wahrnehmung. Etwa: Das eine sei Diplomatie-Geschichte, die in der Aussage von Angela Merkel 2008 im israelischen Parlament bezüglich der Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson einen Höhepunkt erlebte. Etwas anderes sei es aber, dem Schubladendenken und den Klischees etwas entgegenzusetzen, inklusive aller Widersprüche.

Es ging um Heimat, Identität und nach dem 7. Oktober viel um Trauer.

Für die Erforschung zwischenmenschlicher Dimensionen suchten die beiden Forscherinnen Gesprächspartner. Von 80 Anläufen blieben ihnen 35 Personen, die bereit waren, auf zwei konkrete Fragen zu antworten: »Woran denkst du, wenn du an Israel denkst?« und »Woran denkst du, wenn du an Deutschland denkst?«

Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie in ihren jeweiligen Heimatländern in der Öffentlichkeit stehen, beide Länder kennen und über selbst Erfahrenes sprechen. Ausgewogenheit war schon deshalb nicht zu erreichen, weil mehr Gesprächspartner aus Israel als aus Deutschland zusagten, vor allem mehr Frauen, jedoch kein einziger arabischer Israeli oder Deutscher mit arabischer oder palästinensischer Migrationsgeschichte. Doch auch diese Leerstelle, so Nocke, sage etwas aus. Die Antworten, welche die Interviewerinnen erhielten, waren oft biografisch, mal unpolitisch, mal politisch. Es ging um Heimat, Identität und nach dem 7. Oktober 2023 viel um Trauer. Denn es grätschte so vieles in das Forschungsprojekt hinein, Verwerfungen der Weltpolitik, die Coronazeit, der Gazakrieg. Das Massaker der Hamas legte die Ergänzung von Nachträgen zu den persönlichen Aussagen nahe.

Jeder Teilnehmer sollte auch ein Bild beisteuern. Für Petra Pau war es ein Motiv, das sie 2010 mit Gabriel Bach und seiner Familie beim Abendessen zeigt. Seit ihrer ersten Begegnung mit dem ehemaligen stellvertretenden Chefankläger im Eichmann-Prozess war sie mit ihm bis zu seinem Tod 2022 befreundet. Pau ist klar, wie sehr das israelische Sicherheitsbewusstsein durch das Trauma des Überfalls erschüttert wurde; sie sprach auch über den »Streit im eigenen Laden« und ihre Enttäuschung über den Umgang mit der Katastrophe im Süden Israels. Ihre Erfahrung ist: »Die Leute haben ganz wenig Wissen, aber ganz viel Meinung.«

Dagegen kämpft auch Jenny Havemann an, eine weitere Teilnehmerin des Sammelbandes, die anlässlich ihres München-Aufenthalts gleich noch ihr eigenes Buch bei ihrem Münchner Verlag Langen-Müller abholen konnte. Es trägt den bedeutungsschweren Titel Unser Israel gibt es nicht mehr, das sie gemeinsam mit der früheren ARD-Studioleiterin in Tel Aviv Susanne Glass, mit der Havemann oft uneins, doch freundschaftlich verbunden ist, verfasst hat. Die Bloggerin, mit Antisemitismus, auch im Gewand von Antiisraelismus, konfrontiert, zog 2010 mit ihrem Mann Eliyah, einem Sohn von Wolf Biermann, nach Israel, einem für sie »unfassbar bunten, vielfältigen Land mit einem reichen Leben in allen Aspekten«, ganz anders, als es die deutschen Medien wiedergäben.

Jenny Havemann, die in der Ukraine geboren wurde und in Hamburg aufgewachsen ist, nennt Israel für ihre inzwischen fünfköpfige Familie ihre »tausendprozentige Heimat«. Das Sicherheitsgefühl sei angeschlagen, doch das Wissen um die gegenseitige Hilfsbereitschaft stärke.

Petra Pau, 2009 das erste Mal in Israel, ergänzte ihren Beitrag Ende 2023 um ihr Gefühl von Schock, Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit. Sie wolle sich nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag auf ein ehrenamtliches Engagement für Bildungsarbeit konzentrieren. Im Wissensmangel sieht sie die Wurzel vieler Übel. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hatte die Politikerin, die sie als integre und aufrichtige Persönlichkeit kennengelernt hat, noch vor Veranstaltungsbeginn getroffen. Sie bedauert Paus Ausscheiden aus dem Bundestag »auch als Verlust für die parlamentarische Kultur«.

Alexandra Nocke und Teresa Schäfer: »Ich sehe was, was Du nicht siehst. Deutschland. Israel. Einblicke«. KIgA e.V., Berlin 2024, 224 S

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