München

Denkanstöße geben

Was haben wohl zentnerschwere Zementringe, wie sie beim U-Bahn-Bau verwendet werden, mit der bis zum 8. Oktober laufenden Outdoor-Ausstellung Jüdische Geschichten aus München und Oberbayern auf dem Jakobsplatz zu tun?

Die Antwort auf diese Frage liefert Ellen Presser, Leiterin der Kulturabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen und genauen Details. »Drei Zementringe«, weiß sie beispielsweise zu berichten, »wiegen genau 1,85 Tonnen.« Zum Abladen der schweren Teile von der Ladefläche eines Lkws war deshalb auch ein Gabelstapler nötig.

Die Hilfe dieses »Gewichthebers auf vier Rädern« wurde später noch einmal gebraucht. Jeweils drei Zementringe mussten übereinandergelegt werden, um die in der Kulturabteilung geborene Idee zu verwirklichen, die Ausstellung in Gestalt von acht mächtigen Litfaßsäulen zu präsentieren. »Das war die einzige Möglichkeit. Auf Leihbasis gab es keine Litfaßsäulen, wir haben das zunächst versucht«, erzählt Ellen Presser über die aufwendigen Vorbereitungen für die Ausstellung.

konzept Dem Alphabet zugeordnet, von A bis Z, finden sich auf den Litfaßsäulen Informationen und Abbildungen zum wechselvollen jüdischen Leben in Bayern. Das Konzept der Schau beschreibt die Leiterin der Kulturabteilung so: »Die Ausstellung will das Auf und Ab, das Dazugehören, das Ausgestoßenwerden und die Neuanfänge skizzieren. Und sie will Denkanstöße geben.«

Für die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, die das Ausstellungsprojekt in Auftrag gab und sich während der Verwirklichungsphase von Ellen Presser immer auf dem Laufenden halten ließ, sind die Fotos und Texte auf den Litfaßsäulen mehr als nur tränenreiche Geschichte. »Sie sind auch eine Historie des Zusammenwachsens und des Zusammenhalts, und sie erzählen davon, wie die jüdische Gemeinschaft zu der gesellschaftlichen Größe werden konnte, die sie heute wieder ist.«

1000 Jahre jüdisches Leben in Bayern und 800 Jahre in München werden anschaulich aufbereitet.

Mit Blick auf die Ausstellung direkt vor der »Ohel Jakob«-Synagoge und dem Gemeindezentrum erinnert die IKG-Präsidentin auch daran, dass Juden und Nichtjuden dieses Land seit vielen Jahrhunderten teilen. Das aktuell laufende Festjahr zur 1700-jährigen jüdischen Geschichte in Deutschland sei ein Beleg dafür, dass jüdisches Leben nichts Fremdes ist. Deutsche Geschichte sei immer auch jüdisch-deutsche Geschichte.

Charlotte Knobloch verweist zudem darauf, dass jüdische Menschen die unterschiedlichen Gesellschaften Deutschlands bereichert hätten, lange bevor es so etwas wie ein Deutschland im heutigen Sinne überhaupt gab: »Juden sind kein Anhängsel und keine Fußnote der deutschen Geschichte, kein Appendix und kein Extra-Kapitel, das die Chronisten großzügig mit aufnehmen, um einer kleinen Minderheit ein gutes Gefühl zu geben. Nein, wir gehörten und wir gehören dazu.«

perspektive Diese Perspektive spiegelt sich auch in der Ausstellung wider, die 1000 Jahre jüdisches Leben in Bayern und 800 Jahre in München alphabetisch aufbereitet – von A wie Abraham de Municha, der Name des ersten bekannten Juden aus München, bis Z wie Zuwanderung.

Auf einen besonderen Punkt weist Ausstellungsmacherin Ellen Presser hin: »Ob es um ein Gefühl wie Heimat unter H oder ein punktuelles Ereignis wie die Olympiade 1972 unter O geht, die Geschichte der Stadt München und der Region Oberbayern wird am Schicksal ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger beschrieben. Es ist damit auch Stadtgeschichte in Worten und Bildern.«

Die gemeinsame, 800 Jahre alte Geschichte, die sich in der Ausstellung wiederfindet, hat nach Ansicht von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch einen prägenden Charakter. »Aber«, so betont sie, »sie definiert uns nicht. Wir, ganz egal, ob jüdisch oder nichtjüdisch, haben die Zukunft gemeinsam in der Hand.«

gemeinsamkeit Der Jakobsplatz mit der vor 15 Jahren eröffneten Synagoge und dem Gemeindezentrum ist ihrer Ansicht nach ein Beispiel funktionierender und zukunftsorientierter Gemeinsamkeit. »Von meinem Büro aus«, schildert sie eine Szene, die sie beeindruckt, »blicke ich jeden Tag auf die Menschen, die hier flanieren, ihre Kinder im Springbrunnen spielen lassen oder einfach nur entspannen. Es ist ein perfektes Bild für das Miteinander, das hier entstanden ist.«

Ein Miteinander war auch bei der Verwirklichung des Ausstellungsprojekts notwendig, betont Ellen Presser. Bei den umfangreichen Recherchen, zahlreichen Telefonaten, der Text- und Bildgestaltung haben ihre beiden Kolleginnen Ira Ginzburg und Sibylle von Tiedemann maßgeblich mitgewirkt.

Einen besonderen Akzent bei der Outdoor-Ausstellung hat der Zeichner Ben Gershon gesetzt. Er lässt seine bekannte Comicfigur Jewy Louis über die Litfaßsäulen geistern. »Das gibt einem seriösen Thema auch Anflüge von Humor und Leichtigkeit«, stellt Ellen Presser zufrieden fest.

Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 8. Oktober. Bei verschiedenen Gelegenheiten werden Führungen angeboten, bei vorheriger Anmeldung ist das auch individuell nach Terminabsprache möglich.

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