Hamburg

Dauerhaft gesichert

Die Hansestadt hat die Reste des Liberalen Tempels Poolstraße gekauft

von Heike Linde-Lembke  24.12.2020 11:20 Uhr

Nur noch Ruine: die Apsis des Israelitischen Tempels in der Hamburger Poolstraße Foto: Gesche M. Cordes

Die Hansestadt hat die Reste des Liberalen Tempels Poolstraße gekauft

von Heike Linde-Lembke  24.12.2020 11:20 Uhr

Beim Verein »TempelForum – Verein zum Erhalt und zur Öffnung der Tempel-Ruine in der Poolstraße« herrscht große Freude. Die Stadt Hamburg rettet die denkmalgeschützten Reste des ehemaligen Neuen Israelitischen Tempels in der Hamburger Neustadt, indem sie ein Teilgrundstück kauft. Damit stellt die Hansestadt sicher, dass das bedeutende jüdische Kulturdenkmal dauerhaft erhalten bleibt.

Der Israelitische Tempel an der Poolstraße ist einer der Ursprungsorte des liberalen Judentums. Jetzt könne die unter Denkmalschutz stehende ehemalige Anlage als jüdisches Kulturdenkmal, Erinnerungsort oder auch überreligiöse Begegnungsstätte erhalten und öffentlich zugänglich werden, teilt die Stadt mit. Auch Wohnungen sollen auf dem Areal gebaut werden.

Chance »Nun kann dieser letzte bauliche Rest jüdischer Geschichte in der Hamburger Innenstadt endlich zu einem lebendigen und offenen Ort entwickelt werden. Hamburg hat jetzt die einmalige Chance, ein Kleinod der innerstädtischen jüdischen Topografie wieder sichtbar werden zu lassen«, freut sich Miriam Rürup vom Vorstand des Vereins über die Entscheidung des Hamburger Senats.

Die Historikerin, die vor Kurzem zur Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam und als Professorin an die Universität Potsdam berufen wurde, hat viele Ideen für diesen Ort. »Die Tempel-Ruine hat eine Türöffnerfunktion in Hamburgs jüdischer Geschichte und Kultur und fügt sich zugleich gut in die heutige Nachbarschaft ein«, sagt sie. Die baulichen Relikte wie Grundmauern, Apsis und Eingangsportal müssten wieder in einen Zustand versetzt werden, in dem sie in eine öffentliche Nutzung einbezogen werden können.

In der Poolstraße soll ein öffentlich zugänglicher Ort entstehen.

»Ich stelle mir einen Lichthof vor, der den bezaubernden räumlichen Charakter dieses authentischen Ortes erfahrbar macht, beispielsweise mit Café, Ausstellungs- und Veranstaltungsräumen, eventuell sogar mit Künstlerateliers und -werkstätten«, sagt Miriam Rürup. Das würde auch an vorherige Nutzungskonzepte anknüpfen, denn bis zur amtlichen Erklärung, dass der Bau unbewohnbar sei, befanden sich in den angrenzenden Wohnungen Schneider- und Goldschmiedewerkstätten. Eventuell könnte auch die Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg Räume nutzen.

Bedeutung »Im jüdischen Erbe unserer Stadt kommt dem Israelitischen Tempel eine besondere Bedeutung zu, der wir mit dem Ankauf und der Erarbeitung eines Nutzungskonzeptes Rechnung tragen werden. Nach dem Entschluss für die Bornplatzsynagoge und der Sanierung der Trauerhalle auf dem jüdischen Friedhof ist das die dritte wichtige Entscheidung, die auch unserer historischen Verantwortung gerecht wird«, sagt Finanzsenator Andreas Dressel. »Mit dem Erwerb des Grundstücks ist dieses bedeutende Denkmal endlich dauerhaft gesichert. Hier soll ein öffentlich zugänglicher Ort entstehen, an dem Menschen zusammenkommen«, sagt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.

Mitglieder des »TempelForums« kamen vor einem Jahr zum ersten Mal zu einem »Tempelleuchten« zusammen, um Ideen und Strategien zum Erhalt der Synagogenruine zu entwickeln. Der Verein startete einen Aufruf, den nach eigenen Angaben bis jetzt 300 Menschen aus 16 Ländern unterzeichneten, darunter viele Rabbinerinnen und Rabbiner, Mitglieder jüdischer Gemeinden und Fachleute aus Wissenschaft, Denkmalschutz, Architektur, aus den Künsten, von Museen und Gedenkstätten. »Es ist ein beeindruckendes und internationales Bündnis geworden, das sich in diesem Aufruf zusammengefunden hat.« Im Oktober ging er an Bürgermeister Tschentscher, sagt Miriam Rürup.

Broschüre Zudem hat die Hamburger Stiftung Denkmalschutz mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden eine Broschüre über Geschichte und Gegenwart des Tempelvereins, des Tempelgebäudes bis zur Ruine herausgegeben: Der Israelitische Tempel in Hamburg ist als Band 7 der Reihe »Archiv aus Stein« erhältlich.

Das Areal befand sich bis zum Kauf durch die Stadt in Privatbesitz. Die Familie des Unternehmers Stepputis, der es damals von der Hamburger NS-Regierung kaufte, war bis jetzt im Besitz des Grundstücks und plante, es für Neubauten zu verkaufen. Der Besitzer will trotz Eintrag ins Grundbuch nicht gewusst haben, dass sein Urgroßvater das Gelände 1937 von der damaligen liberalen Gemeinde gekauft hat. Von dem Erlös über 87.500 Goldmark hatte die damalige liberale Gemeinde allerdings nur 30.000 Goldmark erhalten.

Das Areal befand sich bis zum Kauf durch die Stadt in Privatbesitz.

Der angeblich freiwillige Verkauf war offenbar ein vom Hamburger NS-Senat gesteuerter Zwangsverkauf. Der Eigentümer musste im Juli 1954 nach einer Klage der Jewish Trust Corporation 20.000 D-Mark an die Corporation als Ausgleich zahlen. Heute steht die Ruine bei der Foundation for Jewish Heritage in London in der Top-19-Watchlist der am stärksten bedrohten jüdischen Relikte in Europa, die insgesamt 3318 Objekte umfasst.

Ruine Noch heute lässt sich im Hof der Poolstraße 11 mit der Apsis des 1844 erbauten jüdischen Tempels, einem dreischiffigen neogotischen Bau, die alte Pracht des einstigen Baus erahnen. Doch 100 Jahre später, 1944 im Zweiten Weltkrieg, traf eine Bombe der Alliierten das Gebäude. Heute steht vom Poolstraßen-Tempel nur noch die Apsis als halbkreisförmiger Rundbau. Wo sich Toraschrein, Bima und Kanzel befanden, wachsen Bäume aus dem Mauerwerk. Zwischen Autozubehör sind seitlich noch Torbögen und der untere Teil des Eingangsportals sichtbar. Der Hamburger Senat stellte die historischen Tempel-Reste 2003 zwar unter Denkmalschutz, doch das Gelände der einst prachtvollen Synagoge verfiel allmählich.

Die liberalen Juden Hamburgs nannten ihre Synagoge damals Tempel, um sich von der Bornplatzsynagoge der orthodoxen Einheitsgemeinde abzugrenzen. Zwei Jahre nach der Grundsteinlegung eröffnete die Gemeinde am 5. September 1844 den Tempel mit Sitzplätzen für 650 Menschen. Bis 1931 nutzten ihn Hamburgs liberale Juden, dann zogen sie aufgrund der immer größer werdenden Mitgliedschaft in eine neue, nach Bauhaus-Vorbild gebaute und eingerichtete Synagoge an der Oberstraße in Hamburg-Harvestehude um, und der Tempel Poolstraße wurde als Möbellager genutzt.

Auch der Tempel Oberstraße ist heute ein jüdisches Denkmal, in dem der NDR Konzerte, Lesungen und Vorträge veranstaltet, vorzugsweise mit jüdischen Künstlern oder mit jüdischem Inhalt. Genau das ist auch der Traum des Vereins »TempelForum«, dessen Verwirklichung mit dem Grundstückskauf des Senats ein gehöriges Stück näher gerückt ist.

Chabad-Konferenz für Jugendliche

»Wir schämen uns nicht«: 500 junge Juden am Brandenburger Tor

Stolz zeigen sich die Teilnehmer des Europäischen Jüdischen Jugendkongresses im Herzen Berlins

von Imanuel Marcus  13.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024