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Boykott des Boykotts

Israels Exportschlager schlechthin: die Jaffa-Orange Foto: dpa

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Boykott des Boykotts

Wie jüdische Einrichtungen und Gemeinden auf die EU-Richtlinie für israelische Waren reagieren

von Elke Wittich  14.12.2015 18:29 Uhr

Wie umstritten der EU-Beschluss ist, in den besetzten Gebieten und auf den Golanhöhen produzierte Waren besonders zu kennzeichnen, hat sich an den Panikreaktionen gezeigt. So hatte das Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe spontan verkündet, Weine aus dem Sortiment zu nehmen, obwohl Weine nicht unbedingt unter diese Kennzeichnungspflicht fallen, tragen sie doch ohnehin ihre Herkunft schon auf dem Etikett und das sogar als Werbung. Schnell machte das Kaufhaus denn auch einen Rückzieher und stellte die Flaschen wieder ins Regal.

Auch wenn die KaDeWe-Aktion schon einige Wochen her ist, ist Michael Bleiberg vom koscheren Café Bleiberg die Empörung darüber noch immer anzumerken. Seine Gäste seien fast ausschließlich fromme Juden aus aller Welt, sagt er, »und ich habe damals gleich einen Brief geschrieben und der Geschäftsführung mitgeteilt, dass ich oft nach Sehenswürdigkeiten gefragt werde und dann gern das KaDeWe empfohlen habe. Und dass ich das aber nicht mehr tun würde, wenn die Entscheidung nicht rückgängig gemacht wird.«

Privatleute Das Kaufhaus habe sich bei ihm schriftlich entschuldigt, berichtet Bleiberg ein wenig stolz. Die EU-Richtlinie verstimmt ihn allerdings sehr. »Sie fordert die Kunden richtiggehend zum Boykott auf«, das merke man daran, dass sie nur für Waren gelte, die für Privatleute gedacht sind. »Das Aluminium für die Autoindustrie oder die Pottasche für die Landwirtschaft müssen dagegen nicht gelabelt werden.«

Er hoffe, dass sich die Bundesrepublik Ungarn und Griechenland anschließt, die ankündigten, die Richtlinie nicht umzusetzen. Eigentlich hätte Deutschland allein schon aufgrund der viel gelobten guten Beziehungen zu Israel dabei Vorreiter sein sollen. Man gehöre ja schließlich zu den zwölf der insgesamt 28 Länder, die im EU-Parlament dagegen gestimmt haben. Für Bleibergs steht fest, dass sie »selbstverständlich« weiter Waren vom Golan kaufen werden, »wir sind sicher, dass unsere Kunden das genauso sehen. Eingelegte Gurken, Mayonnaise, Wein werden wir weiter von dort beziehen.«

In vielen jüdischen Gemeinden und bei den Inhabern der auf israelische Produkte spezialisierten Geschäfte ist man sich einig: Die Kennzeichnungspflicht wird nicht nur als einseitiger Angriff auf Israel, sondern auch auf alle Juden gesehen. »Wenn wir einkaufen und die Wahl haben, versuchen wir, israelische Waren zu kaufen«, sagt Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. »Und das nicht nur, weil sie oft preiswerter sind als die Waren aus anderen Ländern, sondern weil sie von den Gemeindemitgliedern auch bewusst nachgefragt werden.« Die vom EU-Parlament beschlossene Kennzeichnungspflicht sei im Grunde »eine neue Variante von ›Kauft nicht bei Juden‹, der Beschluss ist einfach eine Katastrophe«, sagt Szentei-Heise.

Arbeiter
Besonders empörend sei im Übrigen, dass »die Kennzeichnungspflicht in erster Linie die Arbeiter treffe, die bei den israelischen Firmen ihr Auskommen haben. Insgesamt gelte: »Wir werden kaufen, was wir wollen, und wir sind nun sensibilisiert, noch genauer hinzuschauen, was das ist – und gegebenenfalls Waren extra zu kaufen, weil das Europäische Parlament sie unbedingt kennzeichnen lassen wollte.«

»Wir haben unsere festen Lieferanten, warum sollten wir auf gute Ware verzichten?«, sagt Elina Gelmont von »Danel Feinkost«. Das Münchner Unternehmen betreibt nicht nur ein koscheres Ladengeschäft, sondern auch einen online-Shop, vor allem Süßigkeiten könnten unter die EU-Kennzeichnungsrichtlinie fallen.

»Für uns ist es nicht wichtig, aus welcher Region ein gutes Produkt kommt, der Preis und die Qualität müssen stimmen, und das sehen unsere Kunden wohl genauso.« Im Versandgeschäft »wird nach wie vor das bestellt, was schon vorher bestellt wurde«. Stammkunden kaufen im Laden ein. »Sie werden einfach weiter die Waren haben wollen, die sie kennen und schätzen. Und manche werden wohl auch bewusst nach den gekennzeichneten Produkten greifen, um Israel zu unterstützen.«

reaktionen Sie sei tief enttäuscht, sagt Leah Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Mönchengladbach. »Von den Rechten erwartet man ja nichts anderes, aber dass die Linke und in Teilen auch die Grünen bei dem EU-Beschluss mitgemacht haben, das entsetzt mich doch sehr.« Israel werde dadurch »von der Opferseite auf die Täterseite« gestellt, und das sei nicht hinnehmbar.

Leah Floh ist hörbar empört über den Beschluss des EU-Parlaments: »Wir müssen uns dagegen wehren, denn Israel ist für uns Juden schließlich unsere Lebensversicherung.« Sehr positiv seien die Reaktionen gewesen, berichtet sie, »auch von Nichtjuden, die ihr Unverständnis über die EU-Politik äußerten«.

»Gerade in der heutigen Situation, wo in Europa und auch in Deutschland Unruhe herrscht, ist das ein fatales Signal. Wir erinnern uns alle noch an die vielen antiisraelischen Demonstrationen im Jahr 2014 – für deren Teilnehmer ist so etwas Wasser auf die Mühlen.« Selbst im kleinen Mönchengladbach habe es eine solche Kundgebung gegeben. Und genau das könnte auch wieder zu einer Katastrophe führen.

In der Mönchengladbacher Gemeinde kauft man ohnehin »alles, was möglich ist, in Israel. Von den rituellen Gegenständen über Wein bis hin zur Falafel-Fertigmischung und Salatdressing bestellen wir im Internet, und wir bieten unseren Mitgliedern sogar Sammelbestellungen an, für die dann die Gemeinde die Portokosten übernimmt«. Der Service werde gern genutzt, sagt Flohr.

Die EU-Regelung sei ein fürchterliches Signal, sagt Floh, »gerade haben wir 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gefeiert, und nun das«. Ihre israelischen Verwandten und Freunde seien »verärgert, sie sehen diese Kennzeichnungspflicht als ein Verbot, israelische Waren zu kaufen«. Für sie persönlich gebe es daher nur eine Reaktion: »Wenn ich könnte, würde ich nur noch Waren kaufen, die der Kennzeichnungspflicht unterliegen.«

Motivation »Es gibt eine breite Übereinstimmung, dass die Motivation des EU-Beschlusses unfair und unlauter ist«, sagt Moritz Neumann vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Letztlich schade es genau denjenigen Firmen, bei denen Juden und Araber friedlich zusammenarbeiten. Seiner Meinung nach habe sich »die Europäische Union zum Sachwalter antiisraelischer Gruppen gemacht. Es fällt schon auf, dass es solche Kennzeichnungsversuche bei keiner anderen in Gebietsstreitigkeiten verwickelten Nation auf der Welt gibt. Damit wird vom Europäischen Parlament einseitig antiisraelisches Ressentiment befördert.«

Auch Neumann geht nicht davon aus, dass die Kennzeichnungspflicht in Deutschland tatsächlich umgesetzt wird. »Deswegen ist das Signal, das die EU aussendet, hier vermutlich nur von theoretischer Bedeutung – aber es bleibt ein politisches Signal, das auch genau so von den beteiligten Parlamentariern gewollt wurde: Eine Nation soll ausgesondert werden. Das ist ja nicht zum ersten Mal, es wurde ja sogar schon versucht, Israel aus der FIFA herauszudrängen.«

Außerdem habe es schon ähnliche Versuche gegeben, Waren aus Israel zu kennzeichnen: »2012 stellte die NPD einen entsprechenden Antrag im sächsischen Landtag, der dann 2013 fast wortgleich in einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen übernommen wurde, Produkte aus dem Westjordanland zu kennzeichnen.«

Qualität »Wir werden einfach weiter das anbieten, was die Kundschaft haben möchte«, kürzt Regina Däbritz, Besitzerin des »Old Abraham« in Dresden die Debatte ab. Genau damit beschäftigt, woher die Waren nun im Einzelnen kommen, habe sie sich bisher ohnehin nicht, »wir beziehen nicht direkt aus Israel, sondern von Zwischenhändlern. Um selbst zu importieren, sind wir viel zu klein.« Die EU-Kennzeichnungen werden, da ist sie sich sicher, keinen Einfluss auf das Kaufverhalten haben: »Was wir anbieten, ist gut, und die Leute wollen es gern haben – weil die Qualität eben besonders ist. Das ist auf jeden Fall weit wichtiger als Politik.«

Im Lola-Fischel-Haus, dem jüdischen Seniorenheim in Hannover, sieht man die EU-Verordnung gelassen. »Unsere Speiseplanung richtet sich nach den diätetischen Vorgaben für die einzelnen Bewohner. Wir nehmen Rücksicht auf Unverträglichkeiten und Allergien, und natürlich auf die jeweiligen Vorlieben, wenn jemand etwas nicht mag, dann kommt das auch nicht auf den Teller.« Waren aus den Gebieten nicht mehr zu bestellen, nur weil sie gekennzeichnet seien, käme dagegen nicht infrage, »das ist für uns kein Thema, uns interessiert die Qualität der Produkte, und wenn die stimmt, dann gibt es keinen Grund, in Zukunft darauf zu verzichten«.

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