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Beten im Netz

Nur zum Verabreden geeignet: Das wahre Gemeindeleben findet offline statt. Foto: Frank Albinus

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Beten im Netz

Im Internet religiöse Kontakte knüpfen und eine jüdische Gemeinde finden – ein Selbstversuch

von Danijel Majic  20.04.2010 12:00 Uhr

Zwei Eigenschaften machen das Ethos des Internets aus: Schneller Austauch und permanente Verfügbarkeit von Informationen. Das gilt besonders für soziale Netzwerke, in denen jeder binnen weniger Minuten auf eine virtuelle Peer-Group treffen kann, ohne von seinem Schreibtisch aufstehen zu müssen. Gibt man beispielsweise in der Suchmaske von Facebook die dreistellige Buchstabenkombination »j-ü-d« ein, erscheint in einem kleinen Fenster darunter sogleich eine Handvoll Vorschläge, an denen sich der Interessierte entlanghangeln kann. Von Profil zu Profil, Gruppe zu Gruppe bis man das Passende gefunden hat – ein Match, wie es auf Internetdeutsch heißen würde.

Gleich einer der ersten Vorschläge macht neugierig. Die Jüdische Gemeinde Hohenheim hat ein eigenes Profil angelegt. Wo sonst Passfotos oder Schnappschüsse prangen, zeigt die Facebook-Seite einen Holzstich. Darauf eine Synagoge, nicht besonders prunkvoll, eher nüchtern gestaltet, als hätte es schon im 19. Jahrhundert Ansätze des Bauhausstils gegeben. Über ihr reales Gegenstück verrät die Onlinegemeinde wenig. »Schabbatgebete jeden ersten und dritten Schabbat des bürgerlichen Monats«, verspricht eine Terminleiste, ebenso wie Religionsunterricht, jeweils donnerstags von 18 bis 20.30 Uhr.

Kontakte Wer mehr wissen will, soll von sich aus Kontakt aufnehmen – zumindest legt das spartanische Profil diesen Schluss nahe. Immerhin wird der Besucher direkt angesprochen: »Praktiziert die Tora, die Offenbarung Gottes an Moses, als ein Regelwerk in eurem täglichen Leben.«

Eine reine Onlinegemeinde, kann es das überhaupt geben? Nein, glaubt Hannes Haim Rothe. »Religiöses Leben braucht nun einmal echtes Leben«, glaubt der 24-Jährige. Die Aussage mutet merkwürdig an, denn immerhin war es Rothe selbst, der vor gut drei Jahren die Jüdische Online-Gemeinde bei StudiVZ ins Leben gerufen hat. Auf dem Portal der Verlagsgruppe Holtzbrinck mangelt es nicht an jüdischen Gruppen, von den »Juden aus der UdSSR« (356 Mitglieder) bis zur »Jüdischen Glaubensgruppe, die nicht ganz so koscher ist« (null Mitglieder). Rothes Gruppe mit genau 40 Mitgliedern liegt irgendwo im Mittelfeld und sticht doch durch ein kleines Wort hervor: Gemeinde.

fünf Fans Die Hohenheimer Gemeinde hat keine Mitglieder – dafür Fans, fünf an der Zahl. Mit einem Klick tritt man diesem exklusiven Kreis bei, kann im Anschluss über einen Newsfeed von der Gemeinde auf dem Laufenden gehalten werden – theoretisch. Kurznachrichten lassen sich auch senden, oder es kann eine für alle »Fans« sichtbare Nachricht auf der »Wall« hinterlassen werden. Letztere Möglichkeit scheint am ehesten Erfolg zu versprechen.

Bei der StudiVZ-Gemeinde gestaltet sich der Beitritt etwas schwieriger. Auch hier muss der Interessierte eigentlich nur einen Knopf drücken. Im Anschluss aber prüft Hannes Chaim Rothe persönlich, wen er beitreten lässt und wen nicht. »Die Gruppe richtet sich explizit an Menschen, die sich bereits mit dem Judentum auskennen«, erklärt Rothe das Konzept. »Wir hatten jede Menge Anfragen von Leuten, die überlegen zu konvertieren. Aber wir wollten keine Gruppe für allgemeine Fragen zum Judentum.«

Alternative Rothe lebt heute in Berlin, wo der Anschluss an eine Gemeinde nicht schwer zu finden ist. Doch noch vor wenigen Jahren war das anders. Da hatte es den BWL-Studenten zunächst an die Ostsee und im Anschluss in die niedersächsische Provinz verschlagen. »Das sind Gegenden, wo es ausgesprochen schwierig ist, eine Gemeinde zu finden.« In dieser Zeit reifte die Idee für die Online-Gemeinde, der inzwischen auch angehende Rabbiner und Kantoren angehören. »Das ist wertvoll«, glaubt Rothe, »dass man auch Leute kennenlernt, die einen in das religiöse Leben einführen können.«

Der Schabbat ist vorbei und immer noch keine Antwort von der Hohenheimer Gemeinde. Die »Wall« zeigt weiterhin dieselben Botschaften. Beim Suchbegriff »Synagoge am Sachersteig«, laut Profil Sitz der Gemeinde, verweisen die Google-Ergebnisse wieder auf die Facebook-Seite. Google-Maps zeigt ein Landkarte der USA und fragt besserwisserisch, ob man nicht die »Synagogue am Sichersten« gemeint habe, auch unter diesen Stichwörtern sind keine Ergebnisse zu finden. Zeit die Stuttgarter Telefonnummer, die auf der Profilseite angegeben wird, auszuprobieren. Die Dame am anderen Ende der Leitung lässt wissen: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.«

In der StudiVZ-Gemeinde wird derweil diskutiert, über die Lage im Nahen Osten, über antisemitische Plakate in der Kölner Innenstadt und auch über Religion. Ab und an pflegt Rothe die neuesten Termine ein: Festivals, Veranstaltungen, Feiertage. Kleine Erinnerungen für eine Gemeinde, die im Schrumpfen begriffen ist.

Individualisierung »Zu den besten Zeiten hatten wir zwischen 60 und 70 Mitglieder«, erinnert sich Rothe. Inzwischen verlagern sich die Aktivitäten weg von der StudiVZ-Gruppe hin zum weniger gruppenbasierten Facebook. Für Rothe kein Misserfolg, sondern der Nachweis, dass sein Konzept aufgegangen ist. Die Online-Gemeinde sei ein zentraler Anlaufpunkt gewesen. Jetzt wo sich die Leute teilweise sogar schon außerhalb des Netzes getroffen haben, biete sich der individualisierte Kontakt über Facebook an. »Aber auch da kann man Gruppen einrichten. Vielleicht mache ich das demnächst.«

Die Verwaltungssekretärin der Israelischen Religionsgemeinschaft Württemberg scheint zunächst erstaunt. Nach kurzem Überlegen aber ist sie sicher, noch nie etwas von der Jüdischen Gemeinde Hohenheim gehört zu haben: »Tatsächlich gar nicht.« Auch nach vier Tagen keinerlei Reaktion auf den Eintrag im Facebook-Profil. Der schnelle Kontakt im Internet – er funktioniert nicht immer.

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