Talmudisches

Ursachen der Galut

»Ich mache das Land zur Öde ... und will euch unter die Völker zerstreuen« (3. Buch Mose 26, 32–33).

Im Mussafgebet für die drei Wallfahrtsfeste gibt es eine bemerkenswerte Aussage: »Infolge unserer Sünden sind wir aus unserem Land vertrieben und von unserem Boden entfernt worden.« Dass das jüdische Volk in die Verbannung (hebräisch: Galut) kam, sehen Historiker durch die Gewalt jener Eroberer bewirkt, die das Heiligtum in Jerusalem zerstört haben. Die Galut ist aber, so stellt das Gebet fest, auf Sünden der Israeliten zurückzuführen.

Von bestimmten Verfehlungen ist im zitierten Gebetstext nicht die Rede. Aber eine Mischna nennt vier konkrete Sünden als Ursachen der Verbannung: »Galut kommt über die Welt wegen des Götzendienstes, wegen Unzucht, wegen Blutvergießens und wegen Nichtbeachtung des Brachjahres« (Sprüche der Väter 5,9).

verbannung Die Verbannung aus dem Land Israel ist eine ungemein schwere Strafe, die kein irdisches Gericht verhängen kann. Nur der Ewige ist in der Lage, ein solches Urteil zu fällen. Deshalb drängt sich die Frage auf, woher die Mischna weiß, dass die Übertretung der vier genannten Gebote zur Galut führt.

Eine Antwort auf diese Frage finden wir in der Gemara: »Wegen der Sünde des Blutvergießens wurde das Heiligtum zerstört, und die Göttlichkeit wich von Israel, denn es heißt: ›Verunreinigt das Land nicht, in dem ihr wohnt, in dessen Mitte Ich gegenwärtig bin‹ (4. Buch Mose 35,34). Wenn ihr das Land aber verunreinigt, so werdet ihr darin nicht wohnen, und auch Ich wohne nicht darin (Schabbat 33a).«

Laut Raschi (1040–1105) bedeutet die Zerstörung des Heiligtums, dass Gott nicht in ihrer Mitte gegenwärtig ist.

Erlassjahre Die Gemara fährt fort: »Wegen der Sünde der Unzucht, des Götzendienstes und der Nichteinhaltung der Erlass- und Joweljahre kommt Galut über die Welt. Die einen werden verbannt, und andere lassen sich an ihrer Stelle nieder, wie es (in einem Abschnitt über Geschlechtsverbrechen) heißt: ›Denn alle diese Gräuel­taten haben die Bewohner des Landes, die vor euch waren, begangen, und das Land wurde unrein. Das Land würde euch ausspeien, wenn ihr es verunreinigt, wie es das Volk ausgespien hat, das vor euch gewesen ist‹ (3. Buch Mose 18, 27–28).«

Über den Götzendienst zitiert der Talmud an dieser Stelle: »Ich werde eure Leichen auf die Leichen eurer Götzen werfen. Ich werde euch verabscheuen. Ich lasse eure Heiligtümer veröden. (…) Ich mache das Land zur Öde, und es veröden darauf eure Feinde, die sich darin niederlassen. Euch aber will Ich unter die Völker zerstreuen« (3. Buch Mose 26, 30–33).

Und bezüglich des Erlass- und Joweljahres zitiert der Talmud: »Dann wird das Land seine Befriedigung an seinen Schabbatot haben, solange es verödet ist und ihr im Land eurer Feinde seid, dann wird das Land Schabbat halten und seine Schabbatjahre befriedigen. Solange es wüst liegt, wird es die Schabbatot feiern, die es nicht gefeiert hat, als ihr darin wohntet« (3. Buch Mose 26, 34–35).

exil In seinem Kommentar zu dieser Stelle rechnet Raschi vor, dass die 70 Jahre des Exils in Babylonien genau der Zeit entsprachen, in der vorher (während 436 Jahren) die Erlass- und Joweljahre nicht beachtet worden waren.

Fassen wir zusammen: Der Talmud leitet aus Toraversen ab, dass die Galut die Strafe bei Übertretung der vier in der Mischna erwähnten Mizwot ist. Gern wüssten wir, warum gerade diese Gebote mit Verbannung verknüpft sind.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) meint: »Götzendienst, Geschlechtsverbrechen und Mord sind drei Kapitalverbrechen gegen die Grundsäulen des Gesetzes, für das Gott uns das Land verheißen und erteilt hat, und das Brachlassen des Landes im Schabbatjahr ist die große öffentliche Proklamierung Gottes als Herr und Eigentümer des Landes. (…) Jene Verbrechen und diese öffentliche Verleugnung Seiner Herrschaft und Landeshoheit brechen von selbst den Stab über die gott- und pflichtvergessenen Bewohner Seines Landes und weisen sie hinaus ins Exil.«

Die im Mussafgebet für die Wallfahrtsfeste ausgesprochene Lehre, dass wir infolge unserer Sünden aus unserem Land vertrieben worden sind, ist nicht nur von historischem Interesse. Dieser Gebetstext verweist auf Bedingungen, ohne die eine jüdische Existenz im Land Israel nicht möglich ist.

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025