Ramchal

Klugheit vor Alter

Am Grab des Ramchal in Tiberias Foto: Flash 90

Rabbiner Mosche Chaim Luz­zat­to, zumeist unter seinem Akronym Ramchal bekannt, wurde 1707 im norditalienischen Padua geboren. Schon in jungen Jahren studierte Luzzatto den Tanach, den Talmud und insbesondere die Kabbala, beschäftigte sich jedoch ebenfalls intensiv mit Poesie, Grammatik und Rhetorik.

Gerade die Liebe zur Sprache sollte sein Leben bestimmen.
Bereits im Alter von 17 Jahren hatte Luzzatto sein erstes poetisches Drama geschrieben. Und noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag verfasste er ein umfangreiches Werk aus 150 Hymnen in hebräischer Sprache, das stilistisch den 150 Psalmen ähnelt. Dabei griff er nicht wie üblich auf das biblische oder rabbinische Hebräisch zurück, sondern verwendete eine modernere Form, die vor allem unter den sefardischen Juden im Land Israel verbreitet war. Im Gegensatz zu den oft aufgebauschten und daher affektiert wirkenden Werken seiner Zeitgenossen orientierte sich Luzzattos Stil an der Einfachheit und Kraft der biblischen Sprache.

Berichte über persönliche Engel waren in der rabbinischen Welt jener Zeit nichts Ungewöhnliches.

Daher wird er auch als Vater der modernen hebräischen Literatur bezeichnet. Neben seinem literarischen Wirken hatte sich Luzzatto bereits im Alter von 20 Jahren einen Ruf als Gelehrter erarbeitet. Einer seiner Schüler, Jekutiel Gordon, war so beeindruckt von der Weisheit seines Lehrers, dass er sogar sein Medizinstudium abbrechen wollte, um sich ganz der Tora zu widmen.

Doch Luzzatto konnte Gordon überreden, diesen Schritt nicht zu wagen. Der Grund dafür ist bemerkenswert: Luzzatto berichtete, dass sein persönlicher Engel, genannt Maggid, mit dem er regelmäßig den Geheimnissen der Tora sowie des Universums auf den Grund ging, ihm offenbart hatte, dass es Gordons Mission sein sollte, sowohl ein Toragelehrter als auch praktizierender Arzt zu werden.

Berichte über persönliche Engel waren in der rabbinischen Welt jener Zeit nichts Ungewöhnliches. Neu war jedoch, dass jemand wie Luzzatto bereits in so jungen Jahren behauptete, eine Verbindung zu einem Engelswesen zu unterhalten.

Die Geschichte verbreitete sich schnell und sorgte in der jüdischen Welt für viel Aufruhr. Zugleich herrschte aber große Skepsis gegenüber solchen Berichten. Und dafür gab es einen konkreten Grund: Nur wenige Jahrzehnte zuvor war Schabtai Zwi (1626–1676) von dem Kabbalisten Nathan aus Gaza (1643–1680) aufgrund einer Offenbarung zum Messias ausgerufen worden. Viele folgten Zwi.

Doch bald schon konvertierte er zum Islam und zerstörte damit die Erlösungshoffnungen seiner Anhänger. Diese Erfahrung sollte die jüdische Welt nachhaltig erschüttern und führte zu einer Atmosphäre von Misstrauen und Angst, insbesondere gegenüber jungen Rabbinern, die behaupteten, Kontakte zu jenseitigen Welten zu haben.

Ein Rabbiner aus Jerusalem schrieb daraufhin zahlreiche Nachrichten an seine Kollegen in der Republik Venedig, zu der auch Padua gehörte. Darin kritisierte er den jungen Luzzatto für seinen angeblich nicht ausreichend orthodoxen Lebensstil sowie seine vermeintlichen Irrlehren.

Die Kritik an dem jungen Rabbiner war so heftig, dass ihm verboten wurde, die Tora zu lehren.

Das Rabbinat von Venedig reagierte mit strengen Maßnahmen: Luzzattos Handschriften wurden vernichtet. Es wurde ihm verboten, vor Beginn seines 40. Lebensjahres die Tora zu lehren. Außerdem zwang man ihn, sich gemäß der orthodoxen Tradition einen Bart wachsen zu lassen.

Luzzatto floh vor dem Aufruhr mit seiner Frau nach Amsterdam und begann dort eine Karriere als Diamantenschleifer. In dieser Zeit verfasste er seine bedeutendsten Werke. In Mesillat Yesharim (Der Pfad der Frommen) beschreibt er ein zehnstufiges Programm, um den Status spiritueller Perfektion zu erreichen.

Die Grundlage des Buches bildet eine Lehre des talmudischen Weisen Rabbi Pinchas ben Yair, der Folgendes sagte: »Die Tora führt zur Wachsamkeit, die Wachsamkeit zur Eifrigkeit, die Eifrigkeit zur Reinheit, die Reinheit zur Abstinenz, die Abstinenz zur Frömmigkeit, die Frömmigkeit zur Demut, die Demut zur Gʼttesfurcht, die Gʼttesfurcht zur Heiligkeit, die Heiligkeit zum heiligen Geist, und der heilige Geist zur Auferstehung der Toten« (Avoda Zara 20b).

Luzzatto analysiert in diesem Werk jeden der genannten Punkte eingehend. In Derech Haschem (Der Weg G’ttes) systematisiert Luzzatto die Philosophie des Judentums und verbindet biblische, talmudische und kabbalistische Quellen mit den Werken des Rambam, Maimonides, und des Ramban, Nachmanides.

Im Alter von 36 Jahren zog es Luzzatto nach Israel.

Seine Schrift Daʼat Tevunot (Wissen des Verständnisses) schließlich beinhaltet einen Dialog zwischen der Seele und dem Intellekt, beide diskutieren über das Wesentliche im Glauben an G’tt. Diese drei in intellektueller Abgeschiedenheit verfassten Werke gehören heute zum festen Bestandteil der jüdischen Literatur. Der Gaon aus Wilna (1720–1792) sagte über Mesillat Yesharim, dass er bereit gewesen wäre, zu Fuß durch ganz Europa zu gehen, nur um von dessen Autor zu lernen.

Im Alter von 36 Jahren zog es Luzzatto nach Israel. Er glaubte, dass eine Rückkehr ins Heilige Land verbunden mit der Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit – der Bann vom Rabbinat Venedigs war kurz davor abzulaufen – einen Beitrag zur Ankunft des Messias leisten könnte. Doch gerade in dem Moment, als er ein neues Leben beginnen wollte, endete es tragisch. Nur drei Jahre nach seiner Ankunft herrschte in Eretz Israel eine Epidemie, an der Luzzato, aber auch seine Frau und seine Kinder verstarben.

Er selbst wurde in Tiberias am See Genezareth begraben, und zwar neben dem großen talmudischen Gelehrten Rabbi Akiva. Manche Mystiker sehen in der Verbindung der beiden ein Zeichen, da Rabbi Akiva bis zu seinem 40. Lebensjahr weder lesen noch schreiben konnte, dann aber zu einem der bedeutsamsten Gelehrten wurde. Luzzatto hingegen widmete sein Leben von Anfang an der Sprache und verstarb kurz vor seinem 40. Geburtstag. Und so glaubten einige, Luzzatto sei eine Reinkarnation von Rabbi Akiva, die gekommen war, um seine ersten 40 Jahre neu zu erleben.

Rosch Haschana

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