Neulich beim Kiddusch

Hilfe, Barmizwa!

Im Festrausch: Auf 100 Gäste mehr oder weniger kommt es nicht an. Foto: cc

Es war naiv von meiner Frau und mir. Wir hatten geglaubt, man könne eine Barmizwa mit guter Vorbereitung reibungslos über die Bühne bringen. Um Grundlagen zu schaffen, hatten wir das Fest mit großem Vorlauf geplant. Ich erinnere mich, dass wir zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag unseres Sohnes damit angefangen haben. Die ersten Entwürfe der Gästeliste sind längst vergilbt und ähneln den Qumran-Rollen: durchgestrichen, hinzugefügt, überschrieben, kommentiert (»schenkt nur Unsinn«, »Schnorrer«, »hat uns bei der Gemeindeversammlung nicht gegrüßt«).

Seit Jahren wurde die Gästeliste immer wieder modifiziert. Wenige Wochen vor dem Fest tauchten, wie von Geisterhand geschrieben, täglich weitere Namen auf. Mein Sohn hatte einen Zusammenhang entdeckt: Mehr Gäste – mehr Geschenke.

Verwandte Die ersten Einladungen verließen die Druckerei schließlich mit sieben Monaten Vorlauf. Wir tüteten sie sofort ein und versandten sie. Ich legte einen E-Mail-Verteiler an, um auch entferntere Verwandte und Bekannte über die anstehende Barmizwa zu informieren. Eine aufwendig programmierte Excel-Tabelle errechnete anhand der angemeldeten Gäste, wie viel Essen und Getränke wir beschaffen mussten.

Die ersten eintreffenden Antworten verbreiteten gute Laune. »Wenn ich dann noch lebe, komme ich gern«, schrieb ein Großonkel meiner Schwiegermutter. Dann gab es die Leute, die sich nicht verbindlich äußern wollten und erst einmal erfahren wollten, wer noch so eingeladen ist. Sagten diese Leute dann zu, sorgte ich dafür, dass sie beim Kiddusch mit denen zusammensaßen, mit denen sie gewisse Probleme hatten. Denn: Eine Simche ist ein perfekter Zeitpunkt, um sich auszusöhnen.

Definitive Absagen waren selten deutlich formuliert. Niemand schrieb »Ich habe keine Zeit« oder »Macht Ihr Witze?« Einige, die absagten, hatten sich die Mühe gemacht und nach Ausreden gesucht: »Ich würde ja gerne, aber leider ist dies und das und jenes.« Die noch Unentschlossenen trieb ich in die Enge: »Werdet Ihr nun kommen?« Sie drucksten herum: »Ist schwierig, wir müssen ja wahrscheinlich unsere Enkelin von der Schule abholen.« »Mitten in den Ferien?«, antwortete ich. »Ach so, ja, vielleicht müssen wir auf den Jungen aufpassen, denn seine Eltern wollen nach Israel fahren.« »Der Junge ist 20!«, wandte ich ein. »Wir rufen Dich später an und sagen Dir, ob wir es schaffen.«

Gästeliste Mit dieser Taktik wurde die Gästeliste immer länger. Doch je näher der Termin rückte, desto dankbarer wurden wir für jede Absage. Noch Stunden vor der Barmizwa trafen Rückmeldungen ein. Wann es losginge? Ob man noch zwei, drei Leute mitbringen dürfe? Ein Hotel rief an und fragte, ob ich bestätigen könnte, die Kosten für fünf Gäste zu übernehmen.

Wir wussten nur noch ungefähr, wer kommt und lächelten alle an. Auch den Mann, der mich am Büfett vertrauensvoll zur Seite zog, um eine wichtige Frage loszuwerden: »Wissen Sie vielleicht, wer oder was hier gefeiert wird?«

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025