Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Foto: KI/ Clara Wischnewski

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025 09:53 Uhr

Das Judentum lehrt: 613 Vorschriften sind Mosche überliefert worden – 365 Verbote entsprechend den Tagen des Sonnenjahres und 248 Gebote entsprechend den Gliedern des menschlichen Körpers. Zwei Drittel dieser Mizwot entziehen sich jeder rationalen Erklärung. Sie übersteigen unseren Verstand. So wie die Tora sie uns überliefert, sollen sie einfach als gesetzt erfüllt werden und sind nicht zu hinterfragen. Zu ihnen zählt man vor allem die »Mischpatim«. Dagegen sind die »Chukim« als Ordnungen und Rechtssätze eher nachzuvollziehen. In jedem Fall geht es für uns im Torastudium darum, Licht ins Dunkel zu bringen, die Mizwot in der Bedeutung für unser Leben zu erklären.

Der Wochenabschnitt Chukat beginnt mit der Satzung der Tora für die Rote Kuh. Dabei handelt es sich um eine der schwierigsten, weil unserem Verstand unzugängliche Mizwa. Ihr kommen wir bis heute mit unseren intellektuellen Fähigkeiten nicht auf die Spur.

Eine rote Kuh, die nicht älter als ein Jahr ist und noch nie ein Joch getragen hat

In biblischer Zeit wurde ein Mensch, wenn er mit einer Leiche in Berührung kam, unrein. Um den Tempel wieder betreten und dort opfern zu können, musste man sich vorher mit der Asche der Roten Kuh reinigen. Dabei handelt es sich um eine makellose, einwandfreie rote Kuh, die nicht älter als ein Jahr ist und noch nie ein Joch getragen hat. Sie wurde außerhalb des Lagers geschlachtet und mit ihrem Fell und Mist, unter Zugabe von Zedernholz, Ysop und einem Stück Karmesin verbrannt.

Anschließend wurde ihre Asche mit Wasser vermischt. So entstand ein Reinigungswasser, das zur zeremoniellen Reinigung von Personen diente, die durch Berührung mit Toten oder Gräbern unrein geworden waren.

In der Mischna lesen wir, dass die Rote Kuh nur gezielt und in besonderen Fällen geschächtet wurde. Zur Zeit des Tempels geschah das nur sieben bis neun Mal. Schon die kleinste Menge der Asche reichte aus, um die Reinigungskraft auf reines Quellwasser zu übertragen (4. Buch Mose 19,17).

Raschi (1040–1105) weist auf den widersprüchlichen Aspekt der Rechtssatzung von der Roten Kuh hin. Zum einen reinigt die Asche der Roten Kuh den Unreinen, macht aber gleichzeitig den Kohen bei der Ausführung der Mizwa zu einem Unreinen. Raschi kommt zu dem Urteil: Wenn wir auch sonst verpflichtet sind, in der Tora tief nach Erklärungen und Auslegungen zu graben, die unserem Verstand auf die Sprünge helfen, verhält es sich bei dieser Mizwa anders. Wir können sie nicht nachvollziehen, dürfen sie aber deshalb nicht infrage stellen und in ihrer Bedeutung anzweifeln.

Der Tod ist eine Kränkung und Beschämung des Lebens

Der Tod bedeutet das Ende des menschlichen Lebens. Allen ist bewusst, dass er früher oder später eintritt und man nicht vor ihm fliehen kann. Er stellt die radikale Kränkung und Beschämung des Lebens dar.

Ursprünglich war er in Gottes Schöpfungsordnung nicht vorgesehen. Der erste Mensch sollte ewig leben. Doch Adams und Chawas Sündenfall brachten den Tod als Strafe in die Welt. Ihr Fundament bleibt göttlichen Ursprungs. Durch die Sünde des Menschen ist die Unendlichkeit der Schöpfung nicht im Kern zerstört, doch ist sie in dieser Welt nur begrenzt zu erfahren. Jede Form der Begrenzung lässt den Tod wie einen Blitz aufscheinen. Mit diesem Wissen entsteht die Frage: Wie können wir unser Leben mit Ambition und Freude führen, wenn uns der Tod unausweichlich bevorsteht?

Das Judentum positioniert sich gegenüber dem Tod mit einem Wort aus Jeschajahu 25,8 unmissverständlich negativ: »Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und der Ewige wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Ewige hat’s gesagt.«

Dem Vergehen des Lebens wird keine positive Seite zugesprochen oder abgewonnen. Der Tod ist die Quelle der Unreinheit. Unsere Heiligung durch das Erfüllen der Tora verleiht uns Leben, in dem sich unser göttlicher Ursprung Ausdruck verschafft. Tritt aber der Tod ein, enden alle Möglichkeiten, uns mit dem Schöpfer zu verbinden.

Unsere Berufung zum Leben besteht an erster Stelle nicht darin, es zu genießen, sondern alles dafür zu tun, Gott in unserer Welt Eintritt zu verschaffen. Der Tod bleibt dabei immer der große Störfaktor. Zeiten und Erlebnisse, die uns das Leben schwer machen, Diskrepanzen zwischen unseren Hoffnungen, guten Absichten und der harten Realität lassen uns an den Tod denken, erzeugen Todesangst.

Doch spüren wir auch: Etwas in unserer Seele ist nicht bereit, sich mit einer Welt abzufinden, die nicht heil und ganz ist, die durch den Tod immer wieder gekränkt und beschämt wird. So versucht das Volk Israel, den Tod in allen seinen Ausprägungen wie ein um sich greifendes Feuer zu bekämpfen und einzudämmen. Die zahlreichen Gesetze zum Umgang mit der Unreinheit bringen das zum Ausdruck.

Die Signalfarbe Rot erinnert an das Blut, in dem das Leben ist

Die Satzung zur Roten Kuh erinnert uns daran, dass der Stier Kraft symbolisiert und die Kuh für Fruchtbarkeit und neues Leben steht. Die Signalfarbe Rot erinnert an das Blut, in dem das Leben ist. Das Verbrennen der Roten Kuh und die Sammlung ihrer Asche bilden die Zusammenfassung des Lebens ab. Die Vermischung der Asche mit Wasser, das über den unreinen Menschen gesprengt wird, verleiht ihm wieder einen reinen Lebensfluss und ungetrübte Natürlichkeit im Wandel vor seinem Schöpfer. Die Kränkungen des Todes werden abgewaschen.

Der Tod ist seit dem Sündenfall Realität dieser Welt. Doch nach dem Willen Gottes wird er nicht ewig existieren. Angesichts dieser göttlichen Ordnung rät uns Rabbi Akiba ben Mahalalel: »Betrachte folgende drei Dinge, so kommst du nicht in die Gewalt der Sünde: Wisse, woher du kommst, wohin du gehst und vor wem du einst Rechenschaft abzulegen hast. Woher du kommst? Von einem der Fäulnis verfallenden Keim. Und wohin du gehst? Zu einem Ort des Staubes, des Moders und des Gewürms. Und vor wem du einst Rechenschaft abzulegen hast? Vor dem König aller Könige, gelobt sei Er« (Pirkej Awot 3,1).

Wir sind gut beraten, wenn wir uns in unseren Wünschen, Taten und Plänen nicht absolut setzen. Es gibt einen Schöpfer, und er entscheidet über die Ordnung seiner Welt. In sie haben wir uns nach seinen Weisungen einzubringen und uns zu verantworten.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

inhalt
Der Wochenabschnitt Chukat berichtet von der Asche der Roten Kuh. Sie beseitigt die Unreinheit bei Menschen, die mit Toten in Berührung gekommen sind. In der »Wildnis von Zin« stirbt Mosches Schwester Mirjam. Im Volk herrscht Unzufriedenheit, man wünscht sich Wasser. Mosche öffnet daraufhin eine Quelle aus einem Stein – aber nicht so, wie der Ewige es geboten hat. Mosche und Aharon erfahren, dass sie deshalb das verheißene Land nicht betreten dürfen. Erneut ist das Volk unzufrieden: Es ist des Mannas überdrüssig, und es fehlt wieder an Wasser. Doch nach der Bestrafung bereut das Volk, und es zieht gegen die Amoriter und die Bewohner Baschans in den Krieg und erobert das Land.
4. Buch Mose 19,1 – 22,1

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