Lesetipp »The Menorah«

Der siebenarmige Leuchter

Während Christen sich eher auf die Bundeslade oder den Heiligen Gral beziehen, scheint Juden kein anderes Artefakt mehr zu faszinieren als die Menora. Foto: Flash 90

Archäologen, Rabbiner, Schriftsteller, Drehbuchautoren: Die Geschichte des Leuchters aus dem Jerusalemer Tempel fasziniert sie alle. Auch Steven Fine, Jahrgang 1958, Professor für jüdische Geschichte an der New Yorker Yeshiva University, beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit diesem ältesten religiösen Symbol der westlichen Kultur. Er leitet eine Projektarbeit am Titusbogen in Rom, bei der er unter anderem entdeckte, dass die Menora auf dem antiken Relief mit ockergelber Farbe versehen war. Eine Ausstellung zu den Untersuchungsergebnissen ist im kommenden Jahr im Yeshiva University Museum geplant.

Nun gibt Steven Fine mit seinem Buch The Menorah. From the Bible to Modern Israel einen interessanten Einblick in Geschichte und Geschichten, von biblischen Quellen zum babylonischen Exil, vom Herodianischen Tempel, von antiken Synagogen und Kirchen, mittelalterlichen Manuskripten bis zur heutigen Zeit.

symbol Während Christen sich eher auf die Bundeslade oder den Heiligen Gral beziehen, scheint Juden kein anderes Artefakt mehr zu faszinieren als die Menora, stellt Steven Fine fest. »Die Menora, das vorrangige Symbol des Judentums, das Symbol einer altneuen jüdischen Moderne, Erleuchtung und schließlich des jüdischen Staates, fährt fort, die Fantasie und den Wunsch nach physischem Kontakt mit der biblischen Wirklichkeit zu inspirieren.«

Auf rund 280 Seiten behandelt Fine die unterschiedlichsten Themen, unter anderem das der bildlichen Darstellung. Bekannt ist die Darstellung des Leuchters mit gerundeten Armen und einem mit verschiedenen grafischen Elementen verzierten kompakten Fuß auf dem bereits erwähnten Titusbogen. Dieser erinnert an die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70, ein entscheidendes Ereignis für die Geschichte des Römischen Reiches und des Judentums, und an den anschließenden Siegeszug im Jahr danach. Überliefert ist, dass die Menora und andere heilige Tempelgeräte in Rom im sogenannten Tempel des Friedens ausgestellt worden sind. Bekannt ist, dass ein Großbrand im Jahr 192 dort vieles zerstörte. Auch den Leuchter?

Es gibt viele Legenden, denen zufolge die Menora vielleicht von den Vandalen entwendet wurde, eventuell per Schiff ins südfranzösische Carcassonne gelangte, ins damalige Konstantinopel gebracht wurde, möglicherweise heute auf dem Grund des Flusses Tiber liegt oder sich in den Archivräumen des Vatikans befindet. Vatikan – dieser Mythos ist weit verbreitet. Was nach Steven Fines Meinung eher eine »fromme Fantasie« ist, bewegte zuletzt sogar die israelische Regierung und das Jerusalemer Oberrabbinat dazu, in Rom vorstellig zu werden, bei verschiedenen Anlässen um die Rückgabe der heiligen Gegenstände zu bitten und in den Archiven danach zu suchen.

quellen Fine weist auch auf rabbinische Quellen hin, die besagen, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass die Menora jemals die Stadt verlassen hat, sich also auch heute noch in Jerusalem befindet. Doch wo soll sie sein? Und wie sieht sie aus? Auch das ist strittig: Waren die sieben Arme des Leuchters halbrund oder gerade?

Auf unzähligen Münzfunden oder Mosaikabbildungen und nicht zuletzt auf dem Titusbogen sind die Arme rund, sie sollen den Lauf der sieben sichtbaren Planeten symbolisieren. Schon Josephus, der den Tempel als Priester kannte und der als römischer Berichterstatter den Sturm auf Jerusalem und als Augenzeuge den Triumphmarsch im Jahr 71 verfolgte, meinte, die Arme des Leuchters seien rund. So haben Jahrhunderte später auch Zionisten, auf deren Bestreben die Menora 1949 zum Symbol des jüdischen Staates wurde, die Abbildung übernommen.

rambam Hingegen erscheint auf einer Skizze des Rambam (Rabbi Moses Maimonides), des berühmten jüdischen Gelehrten des Mittelalters, die Menora mit geraden Armen. Verschiedene Rabbiner folgten dieser Auslegung, wie etwa Menachem Mendel Schneerson. Er glaubt, dass die Darstellung auf dem Titusbogen nicht authentisch ist und dies mit dem römischen Einfluss auf die Bildsprache zu erklären sei. Rabbiner Schneerson, der siebte Lubawitscher Rebbe, initiierte 1973 die Kampagne für das öffentliche Lichterzünden zu Chanukka, das heute in den Metropolen der Welt veranstaltet wird.

Die Menora, so schreibt Steven Fine, zeige heute die Verbindung zur jüdischen Geschichte, die Verbindung zum Land und zu den Vorfahren. Sein Buch ist kenntnis- und faktenreich, versehen mit zahlreichen Verweisen auf die Geschichte, rabbinische Literatur, Archäologie und Kunst. The Menorah ist eine höchst lesenswerte Lektüre – nicht nur zu Chanukka. ddk

Steven Fine: »The Menorah. From the Bible to Modern Israel«. Harvard University Press, 2016, 304 S.

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025