Rezension

Binitarische Spekulationen

Foto: C.H.Beck

Rezension

Binitarische Spekulationen

Der Judaist Peter Schäfer setzt sich mit Vorstellungen zweier Götter im antiken Judentum auseinander

von Rabbiner Tom Kucera  27.03.2017 18:22 Uhr

Das neue Buch von Peter Schäfer, Zwei Götter im Himmel – Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, möchte uns einladen, den jüdischen Monotheismus zu überdenken – so heißt es jedenfalls im Klappentext. Der Autor, Judaist und Leiter des Jüdischen Museums Berlin, argumentiert, im antiken Judentum habe es zwei Götter gegeben. Gleichzeitig erkennt er aber an, dass die Quellen eine klare Aussage zur Existenz eines zweiten »Gottes« vermeiden.

Es geht also um eine assoziative Lesart, mit der letztendlich jede Wissenschaftstheorie arbeitet. Ich betrachte es jedoch als irreführende Methode, die tief mystische Hechalot-Literatur mit der klassischen rabbinischen Literatur gleichzusetzen. Zugegeben, selbst der Talmud beinhaltet neben den normativ halachischen Diskussionen erzählerisch aggadische Elemente, unter denen auch ungewöhnliche mystische Vorstellungen vorkommen (wie der Aufstieg in den himmlischen Garten Pardes).

these Schäfers These hebt die binitarischen Vorstellungen im Judentum des Zweiten Tempels hervor, das heißt, das Gedankenspiel mit einer göttlichen Gestalt neben Gott. Ist dies aber wirklich antikes rabbinisches Judentum? Ist es nicht vielmehr eine alternative Lesart des jüdischen Denkens der Antike? Genauso ist die bei Teilen von Chabad Lubawitsch verbreitete Idee, dass Rebbe Menachem Mendel Schneerson als Maschiach anzusehen ist, eher als alternatives jüdisches Denken der Moderne und nicht als Manifestation modernen rabbinischen Judentums zu werten.

Schäfers Buch stellt zweifellos eine präzise und wissenschaftliche Analyse wenig bekannter Quellen dar. Es zeigt auch klar, wie im Babylonischen Talmud viele nicht konforme Meinungen scharf zurückgewiesen werden. Dabei beweist sich die undogmatische und motivierende Offenheit des Talmuds, der abweichende, auch »häretische«, Einstellungen nicht verschweigt oder verheimlicht, sondern sich mit ihnen direkt auseinandersetzt und sie dadurch widerlegt.

text Dennoch enden viele talmudische Diskussionen unentschieden, sodass wir am Ende gar nicht wissen, was eigentlich im Text als richtig angesehen wird. Das gilt sowohl für die halachischen Diskussionen (zum Beispiel über die Todesstrafe) als auch für die aggadischen Konzepte (etwa von »Olam Haba«, der zukünftigen Welt).Von der Antike übernahm das Judentum vieles – auch Konzepte wie die Idee einer vom Körper unabhängigen Seele, die in der Tora nicht explizit erwähnt wird und die in klassische rabbinische Traditionen unter dem Einfluss der postbiblischen und prärabbinischen Schriften einfloss.

Besonders die Pseudepigraphie, die Henoch-Bücher, wird in Schäfers Buch ausführlich besprochen. Es überrascht nicht, dass assoziatives jüdisches Denken auch das Konzept Gottes miteinbezieht. Weitaus bekannter als die in Schäfers Buch angesprochenen binitarischen Spekulationen ist in der viel späteren mystischen Literatur der Kabbala aber die Idee von zehn Sefirot, die die zehn Kräfte Gottes darstellen.

Sie sollten jedoch nicht als Gottes Essenz verstanden werden, schon gar nicht als Idee von zehn Göttern als mögliche dezimale Spekulation. Darum soll auch der im Buch prominent vertretene Engel Metatron nicht als zweiter Gott betrachtet werden, sondern als mystische Delegierung der Kraft Gottes zu einem bestimmten Zweck. Ähnlich betont der Religionswissenschaftler Karl E. Grözinger: »Diese neuen Mächte sind aber letztlich dann doch wieder göttlicher Name, wenn auch in permutierter Form. Die himmlischen Mächte und die Schöpfung erscheinen demnach als Variationen des Gottesnamens.«

Peter Schäfer: »Zwei Götter im Himmel – Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike«. C. H. Beck, München 2017, 200 S., 24,95 €

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025