NEULICH BEIM KIDDUSCH

Ausgestorbene Spezies

Nein, früher war nicht alles besser. Die Auswahl von Fernsehsendern war dürftig, ebenso das Angebot billiger Ferienflüge. Was aber vor 20 Jahren klar besser war: die Predigten unserer Rabbiner. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie ich als Zwölfjähriger eine Rede hörte, die mich geradezu umwarf. Der Rabbiner hatte Pathos, eine unvergleichbare Bariton-Stimme und glasklare Gedankengänge. Später wurde der Rabbiner gefeuert, weil er dreckige Geschäfte mit der religiösen Aufsicht über Nahrungsmittel machte. Trotzdem, seine Vorträge waren der Hammer.

Auch andere Rabbiner haben mich damals fasziniert. Es handelte sich bei ihnen um die letzten Vertreter von Rabbinerseminaren vor dem Krieg. Dort wurde Rhetorik geschult und Auftreten geübt. Die Rabbiner hatten Ziegenbärtchen wie das DDR-Sandmännchen und Rundbrillen wie die von Peter Lustig aus der Kindersendung »Löwenzahn«.

Und heute? Ach, ach, ach. Ich will ganz bestimmt nicht die Rabbiner in den Dreck ziehen. Ich habe echte Hochachtung vor ihnen. Sie müssen heute religiöses Oberhaupt, Animateur und Kummerkasten spielen. Sie kommen in die Klinik, wenn ein Mitglied krank ist, halten den Nachruf über Verstorbene und müssen sich um Russen, Religiöse, Atheisten, Frauen und Jugendliche kümmern, und zwar so, dass sich alle umsorgt fühlen. Da verkümmern Synagogenreden zwangsläufig.

Ich habe in den letzten zehn Jahren nicht eine gute Rede eines Rabbiners gehört. Vielleicht bin ich zu kritisch, vielleicht zu dumm, um die Botschaften zu kapieren. Aber das glaube ich nicht. Es ist eher so, dass Rhetorik unter Rabbinern beliebt ist wie Latein unter Gymnasiasten. Das ist traurig. Die Rede sollte doch eigentlich der Höhepunkt des Gottesdienstes sein.

Grundsätzlich machen viele Rabbiner zwei Fehler. Sie verwechseln die direkte Ansprache mit Stand-up-Comedy. Häufig fangen sie mit einem dummen Judenwitz an oder kasperln sonstwie rum: »Meine Rebbeze verbietet mir eigentlich Folgendes zu sagen ...«, »Hier spricht der Rabbiner: Stellen Sie Ihre Sitze in aufrechte Position ...« Natürlich wird es immer Menschen geben, die über so etwas lachen. Eine Synagogenrede sollte aber ernst sein und die Menschen zum Nachdenken bringen.

Der zweite Fehler, den Rabbiner machen: Wortklaubereien über einen biblischen Ausdruck, warum er so geschrieben wurde und nicht so. Raschi sagt das, Ramban das, Raschbam dies und Ritwa jenes. Schön. Toll. Beeindruckend. Mutiger wäre es, wenn der Rabbi aktuelle Probleme aufgreift und seine Meinung darüber kundtut. Kostet sicher ein paar Sympathien, zahlt sich aber im Nachhinein aus.

Neulich war ich bei einem Kiddusch. Der Rabbiner trank den Saft aus und setzte sich. Es wurde ruhig. »Liebe Mitglieder, machen wir es heute kurz. Ich wünsche Ihnen Schabbat Schalom und verweise auf meine Rede, die Sie im Gemeindeblatt nachlesen können. Außerdem können Sie immer ab Donnerstagabend meine aktuelle Rede von unserer Homepage downloaden.«

Konklave

Kommt der nächste Papst aus Jerusalem?

Wer wird der nächste Papst? Die geheimen Treffen im Vatikan lassen die Welt spekulieren. Als heißer Kandidat wird ein Patriarch aus Jerusalem gehandelt

 30.04.2025

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

von Tobias Kühn  29.04.2025

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025