EILMELDUNG! Friedrich Merz im zweiten Versuch zum Bundeskanzler gewählt

Topographie des Terrors

Tatort ohne Täter

Vor wenigen Wochen, Mitte März 2010, endete ein Kriegsverbrecherprozess mit der Verurteilung des mittlerweile 88-jährigen Täters zu lebenslanger Haft. Was bedeutet »lebenslang« bei einem Greis? Man kann das Urteil nur mehr als symbolisch ansehen, als Zeichen dafür, dass dem Recht Genüge getan wird. Und dass die vor 45 Jahren in Gang gebrachte Grundgesetzänderung, derzufolge Mord, Völkermord und Kriegsverbrechen niemals verjähren, beachtet wird, solange noch Täter unter uns sind – mögen sie sich auch zwei Generationen lang der Gerichtsbarkeit entzogen haben.

65 Jahre nach Kriegsende – und, nebenbei, auch bereits ein Vierteljahrhundert nach Bundespräsident von Weizsäckers historischer Rede zum 8. Mai – sind die allermeisten NS-Schergen nicht mehr unter den Lebenden. Die Topographie des Terrors als Einrichtung, die den zentralen Ort der Täter im Gedächtnis hält, hat es inzwischen mit abgeschlossener Geschichte zu tun. Die jahrzehntelange Bedrückung, dass die »Vollstrecker« unerkannt oder gar von alliierter Hoheitsgewalt freigesprochen und vorzeitig entlassen, inmitten der Bundesrepublik leben konnten, ist endgültig gewichen.

Damit verschiebt sich naturgemäß die Perspektive. Galten frühere Anstrengungen, angefangen mit dem Frankfurter Auschwitzprozess ab 1963, der grundsätzlichen Annahme historischer Verantwortung durch die widerstrebende bundesdeutsche Gesellschaft, so geht es heute allein darum, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten - am Ort der Topographie eben durch die Fokussierung auf diese besondere Stelle, die damals Sitz der Verbrechenszentrale war.

Abstand Dass der Ort selbst, zumal leer geräumt, wie er nun einmal in Folge des Krieges ist, in seiner Wirkung verblasst, scheint unausweichlich. Der wachsende zeitliche Abstand schafft zunehmende Distanz. Umso wichtiger ist es, die von Ort und Zeit unabhängige Kenntnis der Geschichte zu befördern. Längst hat sich die vor Jahrzehnten geäußerte Annahme, die NS-Verbrechen seien im Wesentlichen erforscht, als falsch herausgestellt. Allein die Verstrickung der Wehrmacht in den Völkermord hat ein neues Forschungsfeld aufgetan, das bei Weitem nicht als abgeschlossen gelten kann.

Je ferner die Verhältnisse rücken, aus denen die Täter hervorgegangen sind, desto wichtiger ist die Erforschung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geworden. An die Stelle einer quasi unmittelbaren Beziehung zu den Personen tritt die Darstellung einer historischen Konstellation, die uns Heutigen denkbar fremd ist - angefangen bei der Ziellosigkeit der Frontheimkehrer des Ersten Weltkriegs über die Verzweiflung in der Zeit der Weltwirtschaftskrise bis zur Verführung durch die Propaganda der frühen Jahre des Regimes.

Monster Diese Konstellation zu erfassen und womöglich zu begreifen, ist die Voraussetzung dafür, die Taten der Täter ebenso wie ihre individuelle Verantwortung zu erkennen. Die Verbrechen wurden keineswegs aus dem Nichts heraus begangen, die Täter, zumal in ihrer erschreckenden Vielzahl, waren keine bloßen Monster. Viele kamen von den Rändern der Gesellschaft, aber ebenso aus ihrer Mitte, und dies umso mehr, je länger das Regime andauerte und zur akzeptierten Normalität wurde.

Der Neubau der Topographie des Terrors spiegelt in gewisser Weise diesen Wandel der Perspektive. Waren die Anfänge der Sicherung des beinahe schon vollständig »entsorgten« Ortes gewidmet, so dient das feste Haus der Kontinuität einer zunehmend orts- und detailübergreifenden Erforschung und Vermittlung. Der Sitz der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße war schließlich nicht der einzige und allein herausragende Ort der Verbrechenslenkung. Man denke nur an die im Süden Berlins angesiedelte Verwaltung der Konzentrationslager.

Sieg Das neue Dokumentationzentrum Topographie des Terrors wird stärker als je zuvor auch eine symbolische Rolle spielen: als Zeichen dafür, dass die Erforschung der NS-Verbrechen an jenem Ort stattfindet, wo sie einst ersonnen und angeordnet worden sind. Es ist dieser historische Sieg über das Unrecht, der mehr zählt als der bloße Anblick der Örtlichkeit selbst.

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, also in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Studie

Bildungsstätte Anne Frank: NS-Geschichte wird im Netz zum Spiel

Dabei würden falsche Darstellungen und antisemitische Klischees verbreitet

 06.05.2025

Kanzlerwahl

So reagiert das Ausland auf die Wahl-Niederlage von Friedrich Merz

Die Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang überrascht auch die internationalen Medien.

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025

Berlin

Friedrich Merz ist Bundeskanzler

Nach der historisch einmaligen Niederlage im ersten Wahlgang wurden die Abgeordneten am Nachmittag zum zweiten Mal an die Urne gerufen

 06.05.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Jüdische Stimmen zum gescheiterten ersten Wahlgang

Michel Friedman, Sergey Lagodinsky, Esther Schapira: Wir haben Jüdinnen und Juden aus Politik und Medien nach ihrer Einschätzung gefragt

 06.05.2025

Kommentar

Springt über euren Schatten!

Friedrich Merz ist schwer angezählt. Trotzdem sollten sich im zweiten Wahlgang alle Abgeordneten einen Ruck geben und ihn zum Kanzler wählen. Es geht um die Demokratie

von Michael Thaidigsmann  06.05.2025

Berlin

Rechtsextreme AfD fordert nach Merz-Scheitern Neuwahl

Union und SPD sind nach dem gescheiterten ersten Wahlgang bei der Kanzlerwahl von Friedrich Merz im Krisenmodus. Nicht so die Rechtsextremen im Parlament – im Gegenteil

 06.05.2025

Städtepartnerschaft

»Ein wichtiges Zeichen«

Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai zur Partnerschaft seiner Stadt mit Berlin

von Detlef David Kauschke  06.05.2025