Israel

Stabil und fragil

Das Abtasten hat begonnen: Bibi Netanjahu und Schaul Mofaz Foto: Flash 90

Die neue Koalition, die Israels Premier Benjamin Netanjahu in der vergangenen Woche auf die Beine stellte, ist so umfassend, dass die verbliebene Opposition in der Knesset glaubte, eine Gesetzesänderung beantragen zu müssen, um mit ihren kläglichen 26 Abgeordneten wenigstens noch das Recht zu haben, Regierungsvertreter vor die Knesset zitieren zu können.

Nicht nur, dass die größte Koalition in Israels Geschichte dafür gesorgt hat, dass es kaum noch eine Opposition gibt. Es ist auch innerhalb der Regierung kein Koalitionspartner mehr mächtig genug, um Netanjahu mit einem Austritt aus dem Bündnis zu Fall bringen zu können. Rein theoretisch kann der Premierminister also alles durchsetzen, was er will. Kein Wunder, dass Regierungskritiker ihre Befürchtung äußerten, Netanjahu sei so mächtig, dass Israel eine »Diktatur der Mehrheit« drohe. Dennoch ist unklar, welchen Kurs der vermeintlich allmächtige Netanjahu nun einschlagen wird.

wehrdienst Der selbstsichere Premier erwähnte bei der ersten Kabinettssitzung am Sonntag, bei der er seinen neuen Stellvertreter Schaul Mofaz von der Kadima-Partei herzlich willkommen hieß, vier zentrale Programmpunkte für die verbleibenden 16 Monate im Amt. Zwei davon sind altbekannt: Netanjahu gab ein neues Bekenntnis zum Friedensprozess ab. Das allerdings nimmt ihm in Israel keiner wirklich ab, zumal es an letzter Stelle genannt wurde. Zudem beteuerte der Premier die Absicht, den Staatshaushalt im Lot zu halten, um Israels Wirtschaft weiterhin zu stabilisieren. Dieses Versprechen wird er wahrscheinlich einhalten, kann ihm doch trotz einer angekündigten Neuauflage der sozialen Proteste vom Vorjahr keine ernsthafte Gefahr mehr durch die Opposition erwachsen.

Zwei andere Punkte könnten letztlich Netanjahus Amtszeit definieren, es sind Themen, die Israel seit der Staatsgründung vor 64 Jahren Kopfschmerzen bereiten. Netanjahu versprach, bis zum Sommer die Befreiung der Ultraorthodoxen vom Wehrdienst zu beenden und Israels arabische Staatsbürger zum Zivildienst heranzuziehen. Außerdem will er das Wahlsystem so verändern, dass schon bei den kommenden Wahlen im Herbst 2013 eine stabile Regierung entstehen kann, die, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, nicht mehr die Geisel kleiner Interessengruppen ist, sondern tatsächlich die Mehrheit der israelischen Bevölkerung vertritt.

Allerdings sind viele Israelis skeptisch, ob Netanjahu dies wirklich gelingen wird. Die Größe dieser sehr großen Koalition wird nur noch von ihrer Heterogenität übertroffen. Hardliner aus dem Siedlerlager sitzen mit verhandlungswilligen Pragmatikern am Tisch, religiöse mit anti-religiösen Parteien, Anhänger einer sozialen Marktwirtschaft mit neokonservativen Kapitalisten.

Die Unklarheit über Netanjahus künftige Politik in dieser Koalition wurde bereits kurz nach Bekanntwerden des Schulterschlusses mit Mofaz offensichtlich. Sofort begann ein Rätselraten, ob damit ein Präventivschlag gegen den Iran wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher würde. Die einen zogen Parallelen zur Einheitsregierung, die Levi Eshkol und Menachem Begin 1967 kurz vor dem Sechstagekrieg gründeten. Durch das Bündnis mit Mofaz habe sich Netanjahu ähnliche Rückendeckung geschaffen, um den Schlag gegen Teheran durchzuführen. Andere hingegen wiesen darauf hin, dass Mofaz konsequent vor einem Angriff auf den Iran gewarnt hatte. Ein Erstschlag sei jetzt unwahrscheinlicher geworden.

rechtsstaat Doch noch bevor Netanjahu Probleme wie das iranische Atomprogramm, den Wehrdienst der Ultraorthodoxen oder eine Änderung des Wahlrechts angehen kann, muss seine Riesenkoalition sich einer zentralen Frage stellen: Bis zum 1. Juli, so hat der Oberste Gerichtshof verfügt, soll der Staat fünf Häuser in der Siedlung Beth El bei Ramallah räumen, die widerrechtlich mit staatlicher Hilfe auf palästinensischem Privatbesitz errichtet wurden. In dieser Angelegenheit bedarf es vielleicht noch größeren Erfindungsreichtums als bei der Gründung von Netanjahus Koalition: Kadima pocht auf Rechtsstaatlichkeit, doch Netanjahus rechte Koalitionspartner sowie Teile seines eigenen Likud fordern den Fortbestand der Siedlung.

So steht das neue Bündnis schon kurz nach seinem Entstehen vor einer Zerreißprobe: Netanjahu kann zwar einen seiner Partner verprellen, ohne dabei die Macht zu riskieren. Aber im Dilemma zwischen ideologisch begründetem Siedlungsbau und Rechtsstaatlichkeit wird er erstmals gezwungen, eindeutig Farbe zu bekennen.

Bayern

Josef Schuster: Jüdische Museen sichern Juden Platz in Deutschland

Das Jüdische Museum in Augsburg war bundesweit das erste seiner Art. Nun hat es seinen 40. Geburtstag gefeiert - mit hochrangigen Gästen

von Christopher Beschnitt  29.10.2025

Kritik

Karin Prien: Das kann Israel nicht hinnehmen

Statt der Leiche einer vermissten Geisel übergibt die Hamas sterbliche Überreste einer anderen Person. Bundesfamilienministerin Prien findet bei ihrer Israel-Reise klare Worte

 29.10.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Einspruch

Geraldine Rauch: Rücktritt reicht nicht

Erneut hat die Präsidentin der Technischen Universität Berlin bewiesen, dass sie die Interessen ihrer jüdischen Studierenden ignoriert. Doch das Problem geht über die Hochschulleitung hinaus

von Joel Ben-Joseph  29.10.2025

Auswanderung

Mehr Israelis wollen einen anderen Pass

Eine wachsende Zahl von Israelis kehrt dem jüdischen Staat den Rücken. Der aktuelle Konflikt verstärkt den Exodus. Zugleich sehen sich Auswanderer vor höheren Hürden auf dem Weg zum Zweitpass

von Burkhard Jürgens  29.10.2025

Berlin

Wadephul an Hamas und Israel: Gaza-Friedensplan einhalten

Der Außenminister reist erstmals nach Jordanien, Libanon und Bahrain. Im Mittelpunkt steht die weitere Umsetzung des Gaza-Friedensplans

 29.10.2025

Nordrhein-Westfalen

Projekt gibt Holocaust-Überlebenden »Stimme für Ewigkeit«

Es soll ein Erinnerungs- und Lernort gegen das Vergessen werden: Mit Hilfe von KI und moderner Technik werden in Essen persönliche Geschichten von Holocaust-Überlebenden für die Nachwelt gesichert

 29.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Kopenhagen

Terror-Anklage nach Explosionen nahe israelischer Botschaft

Vor etwa einem Jahr hallen nachts von Handgranaten ausgelöste Explosionen durch den Norden der dänischen Hauptstadt. Mehrere junge Schweden werden festgenommen. Sie müssen sich nun wegen Terrorismus verantworten

 29.10.2025