Berlin

Rollenspiele gegen Radikalisierung

Ahmad Mansour (2.v.r..) Foto: Rolf Walter

Asmen ist verliebt. Voller Freude erzählt er seinem Vater, dass er sich verlobt habe. Der Vater ist begeistert. Ohnehin ist er stolz auf seinen Sohn. Drei Jahre sind sie in Deutschland und Asmen wird bald im Job befördert. Doch als der Vater den Namen der künftigen Frau erfährt, dreht sich die Stimmung: Claudia. Asmen möchte eine deutsche Nichtmuslima heiraten. Auch Asmens bester Freund ist entsetzt und rät: Claudia muss zum Islam konvertieren.

Die Szene zwischen Asmen, seinem Vater und dem besten Freund ist ein Rollenspiel im Antiradikalisierungs-Workshop »Rethink – Freiheit beginnt im Kopf«. Etwa 15 Schüler einer Berufsintegrationsklasse an einer Berufsschule im bayerischen Würzburg, sämtlich Flüchtlinge oder Migranten, beobachten das Workshopteam beim Rollenspiel und diskutieren miteinander. »Liebe kennt keine Nationalität«, sagt ein Schüler. Doch nach genauerem Nachdenken fügt er an: »Aber dass Claudia Christin ist, könnte in der Kindererziehung Probleme geben.«

JUDENHASS Interreligiöse Liebe ist in den Rethink-Rollenspielen ebenso Thema wie Antisemitismus und patriarchale Strukturen. In zweimal drei Schulstunden sollen sich junge Flüchtlinge und Migranten mit Denkmustern und Werten beschäftigen.

Der Workshop wird vom Bayerischen Innenministerium gefördert. Er findet seit Ende 2017 an Berufsschulen und vereinzelt an Sprachschulen in Bayern statt. Etwa 1000 Flüchtlinge im Alter von 17 bis Mitte 20 sollen ihn bereits mitgemacht haben.

In Würzburg am Donnerstag ist Annette Widmann-Mauz (CDU) dabei, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Sie tourt die Woche unter dem Motto »Deutschland kann Integration« für drei Tage durchs Land. »Die Regeln unseres Zusammenlebens, die Begeisterung für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat muss allen, die hier leben, von Anfang an vermittelt werden«, sagt sie. Das sei die beste Prävention.

ISRAEL Hinter Rethink stecken der Berliner Ahmad Mansour und seine »Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention« (MIND prevention). Der als Sohn einer arabischen Familie in Israel geborene Mansour ist Islamismus-Fachmann. Den Anstoß zu Rethink hat der Freistaat Bayern gegeben. Zunächst mit dem Wunsch, Antiradikalisierung in Gefängnissen voranzubringen.

Im Workshop an Berufsschulen sollen sich die jungen Menschen mit alltäglichen Konfliktsituationen beschäftigen. »Die Emotionalität ist bei allen Themen sehr hoch«, sagt Sprecherin Beatrice Mansour. Manchmal kommt es zu hitzigen Debatten. In Brandenburg soll bald ein ähnliches Programm (Reflect) starten.

Nach Angaben der Mansour-Initative sind die Reaktionen der Teilnehmer positiv. Eine externe Evaluation von Rethink oder gar einen Vergleich mit anderen Projekten gibt es allerdings nicht.

ISLAMISTISCH Rethink ist längst nicht das einzige Präventionsprojekt. Alleine im Bundesprogramm »Demokratie leben« sind knapp 50 Modellprojekte zu islamistischen Orientierungen aufgeführt. »Welche besser sind als andere, ist schwer zu sagen – die Zielsetzungen und der Umfang unterscheiden sich doch oft erheblich«, sagt Julian Junk, Radikalisierungsforscher am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Die Vielfalt ist laut Junk wichtig. Manche Projekte richteten sich an Schulen, andere an Häftlinge, wieder andere an Multiplikatoren wie Lehrer. Im Rahmen des Nationalen Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus gibt es aber Debatten, wie sich die Wirksamkeit von Anti-Extremismus-Programmen messen und erhöhen lässt.

Michael Kiefer vom Institut für Islamische Theologie hält es für wichtig, dass sich Maßnahmen nicht nur an Teilgruppen richten, etwa nicht nur an einige Schüler einer Schule. »Prävention ist schwierig, wenn sie Menschen das Gefühl vermittelt, dass sie sich in eine falsche Richtung entwickeln könnten und ihnen damit ein Label verpasst«, so Kiefer. Niemand wolle als Verdachtsobjekt oder möglicher Problemfall behandelt werden.

Als Problemfall erleben beim Workshop in Würzburg die meisten jungen Teilnehmer offenbar die Rolle des Vaters, der seinen Sohn Asmen verstößt, weil er eine christliche Freundin hat. Irgendwann sagt einer: »Deutschland hat uns doch auch so akzeptiert, wie wir sind, Muslime.«

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

8. Mai

Deutschland braucht noch Zeit

Auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft sind entscheidende Fragen umstritten: Wer wurde befreit, von wem genau, und was folgt daraus? Ein Gesprächsangebot

von Igor Matviyets  06.05.2025

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, als in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Studie

Bildungsstätte Anne Frank: NS-Geschichte wird im Netz zum Spiel

Dabei würden falsche Darstellungen und antisemitische Klischees verbreitet

 06.05.2025

Kanzlerwahl

So reagiert das Ausland auf die Wahl-Niederlage im ersten Durchgang von Friedrich Merz

Die Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang überrascht auch die internationalen Medien.

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025

Berlin

Friedrich Merz ist Bundeskanzler

Nach der historisch einmaligen Niederlage im ersten Wahlgang wurden die Abgeordneten am Nachmittag zum zweiten Mal an die Urne gerufen

 06.05.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Jüdische Stimmen zum gescheiterten ersten Wahlgang

Michel Friedman, Sergey Lagodinsky, Esther Schapira: Wir haben Jüdinnen und Juden aus Politik und Medien nach ihrer Einschätzung gefragt

 06.05.2025

Kommentar

Springt über euren Schatten!

Friedrich Merz ist schwer angezählt. Trotzdem sollten sich im zweiten Wahlgang alle Abgeordneten einen Ruck geben und ihn zum Kanzler wählen. Es geht um die Demokratie

von Michael Thaidigsmann  06.05.2025