Interview

»Offen und ehrlich«

Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland Foto: Marco Limberg

Herr Botmann, der Zentralrat startet ein jüdisch-muslimisches Dialogprojekt. Was ist geplant?
Es ist geplant, dass Juden und Muslime in einen Dialog treten, sich kennenlernen, miteinander ins Gespräch kommen und eine Vertrauensbasis schaffen, auf der man aufbauen kann. Neu ist die Art und Weise, wie wir den Dialog organisieren und strukturieren. Wir wollen die Funktionärsebene verlassen und uns dorthin begeben, wo der Austausch stattfinden soll. Wir möchten Menschen vor Ort zusammenbringen, die dieselben Interessen oder Berufe haben, sich aber in ihrem Glauben unterscheiden. Wir wollen unter anderem Schüler und Studierende ansprechen, jüdische und muslimische Lehrer oder Sozialarbeiter. Auch in Richtung Wirtschaft wollen wir uns orientieren. Wir haben zum Beispiel in Berlin eine sehr aktive jüdisch-israelische Start-up-Szene. Deren Vertreter wollen wir mit muslimischen Start-up-Unternehmern zusammenbringen und vernetzen.

Geht es nur um jüngere Menschen?
Nein. Wir haben viele ältere Juden und Muslime in Deutschland, die eine Migra­tionsgeschichte haben. Im Rahmen unseres Dialogprojekts wollen wir auch Menschen über diese Migrationserfahrungen zusammenbringen, die sonst vielleicht nie gemeinsam an einem Tisch sitzen würden.

In einer Information zum Projekt heißt es, es gebe zwischen Juden und Muslimen »Konfliktpunkte und einen erhöhten Gesprächsbedarf«. Wie ist das zu verstehen?
Es gibt Themen, die uns verbinden, wie zum Beispiel Fragen der Religionsfreiheit, wenn wir über Beschneidung, Schächten oder das alltägliche religiöse Leben sprechen. Es gibt aber auch Themen, wie zum Beispiel den Nahostkonflikt, die dazu führen, dass Vorbehalte entstehen. In der muslimischen Community gibt es viele Menschen, die aus Ländern gekommen sind, in denen die Ablehnung des Existenzrechts Israels zum guten Ton gehört und Judenhass staatlich legitimiert wird. Insofern bietet das Projekt die Möglichkeit, solche Themen offen und ehrlich anzusprechen.

Das Programm trägt den Titel »Präven­tion durch Dialog«. Welchen Präventionsbedarf sehen Sie in der jüdischen Gemeinschaft?
Dialog soll stets auch dazu führen, dass sich beide Seiten besser kennenlernen. Wir haben eine gesellschaftliche Situation, in der Angriffe gegen Juden gerichtet sind. Angriffe von Juden auf Muslime sind in Deutschland wohl nicht bekannt. Deshalb ist es wichtig, an diesem Punkt anzusetzen. Aber selbstverständlich ist es auch sinnvoll, dass Juden die Realität kennenlernen und damit vielleicht eigene Ängste und Sorgen abbauen können.

Kritiker meinen, dass das muslimische Gegenüber gleich unter Generalverdacht gestellt wird. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Wir reden bei den Projektpartnern über Menschen, die fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Es geht hier nicht um ein Programm zur Deradikalisierung, mit dem bereits radikalisierte Menschen zurückgeholt werden sollen. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass auf beiden Seiten diejenigen, mit denen wir dieses Programm gestalten, den Dialog wertschätzen und ihn für richtig und wichtig erachten. Niemand wird unter Generalverdacht gestellt. Es geht nicht darum, dem Gegenüber etwas zu unterstellen. Es geht vielmehr darum, den gesamtgesellschaftlichen Frieden zu bewahren und unseren Beitrag dazu zu leisten.

Wie ist das Interesse auf jüdischer Seite?
Es ist erfreulich, dass es in verschiedenen Orten Gemeinden und Landesverbände gibt, deren Vertreter bereits Kontakte zu muslimischen Einzelpersonen oder Organisationen haben. In vielen Regionen gibt es schon hervorragende interreligiöse Projekte. Darauf wollen wir aufbauen und einen Schritt weiter gehen, um über die Beziehungen der offiziellen Vertreter eben auch die Basis der jeweiligen Gemeinschaften mit einzubinden.

Der Dialog soll auch in den sozialen Medien stattfinden. Was ist geplant?
Wir wollen mit dem Projekt auch die erreichen, die sich nicht in einen analogen Dialog begeben wollen. Wir werden Formate in den sozialen Medien schaffen, mit denen sich die Nutzer identifizieren können. Und wir wollen mit Influencern zusammenarbeiten, Videos produzieren und Erfahrungen aus stattgefundenen Dialogformaten in digitale Formate transferieren.

Wie lange soll das Projekt laufen?
Das Projektteam hat kürzlich seine Arbeit in Berlin aufgenommen. Wir wollen uns mit den jüdischen Gemeinden in Verbindung setzen und sehen, ob es Moscheegemeinden, Vereine, Organisationen, Netzwerke oder einzelne Muslime gibt, mit denen wir zusammenarbeiten können. So werden wir unterschiedliche Dialogformate gestalten. Das Projekt wird von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, gefördert und ist vorerst bis Ende dieses Jahres befristet. Wir sind im Gespräch darüber, ob es fortgesetzt werden kann.

Ist geplant, die Erfahrungen und Erkenntnisse wissenschaftlich aufzubereiten?
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt: Wir wollen das bundesweite Projekt mit qualitativen Interviews und quantitativen Erhebungen begleiten. Diese werden soziologisch aufbereitet werden, damit wir auch für künftige Dialogformate daraus lernen und gegebenenfalls Empfehlungen für die Politik formulieren können.

Mit dem Geschäftsführer des Zen­tral­rats der Juden in Deutschland sprach Detlef David Kauschke.

Judenhass

AJC Berlin: »pro-palästinensische« Demos erinnern an Querdenker

Israelfeindliche Demonstranten und Querdenker? Aus Sicht des Direktors des American Jewish Committee gibt es da durchaus Gemeinsamkeiten. Was er jetzt von der deutschen Zivilgesellschaft erwartet

von Johannes Peter Senk  14.07.2025

Berlin

Lahav Shapira verklagt FU: Prozess beginnt Dienstag

Der attackierte Student wirft seiner Universität vor, zu wenig gegen Antisemitismus auf dem Campus getan zu haben

 14.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Israelfeindliches Protestcamp im Regierungsviertel muss umziehen

Als Alternativstandorte wurden den etwa 60 Bewohnerinnen und Bewohnern der Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof oder eine Wiese im Tiergarten hinter dem Haus der Kulturen der Welt angeboten

 14.07.2025

München

Im Herzen ist sie immer ein »Münchner Kindl« geblieben

Seit 40 Jahren ist Charlotte Knobloch Präsidentin der IKG München. Sie hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt

von Christiane Ried  14.07.2025

Jubiläum

Münchner Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

Zum Festakt werden prominente Gäste aus Politik und Gesellschaft erwartet

 14.07.2025

Dänemark

Mullah-Spion nach Deutschland überstellt

Der 53-jährige Däne mit afghanischen Wurzeln soll für den Iran jüdische und pro-israelische Ziele in Berlin ausspioniert haben

 14.07.2025

Essay

Wie es zur Katastrophe von Srebrenica kam

Vor 30 Jahren wurden 8372 Bosniaken ermordet - es war der erste Genozid in Europa seit der Schoa

von Alexander Rhotert  14.07.2025

Baden-Württemberg

Schoa-Relativierung vor Kirche in Langenau

Weil ein Pfarrer die Massaker vom 7. Oktober verurteilte, steht er im Visier israelfeindlicher Aktivisten. Zur jüngsten Kundgebung reiste auch Melanie Schweizer an

von Michael Thaidigsmann  14.07.2025

Berlin

Linke und Wegner streiten um israelische Flagge vor Rotem Rathaus

Die Linken-Fraktion im Bezirk Mitte fordert den Senat auf, die israelische Nationalflagge abzuhängen. Der Regierende Bürgermeister weigert sich und erhebt Vorwürfe gegen Die Linke

 14.07.2025