NS-Raubkunst

Nachgeschärft

Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn zum Thema NS-Raubkunst (2017) Foto: imago images/epd

Es ist schon mehr als ein Vierteljahrhundert her, dass sich Vertreter von 44 Staaten in Washington trafen, um sich einem der vertracktesten Themen bei der Aufarbeitung von NS-Unrecht anzunehmen: der Raubkunst. Heraus kamen die »Washington Principles«, eine unverbindliche Erklärung. Doch auch knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs steht das Thema NS-Raubkunst noch auf der politischen Tagesordnung - und das nicht nur in Deutschland.

Anfang der Woche fand, erneut auf Einladung des US State Department, wieder eine Konferenz zu diesem Thema in der amerikanischen Hauptstadt statt. Sie war jedoch nicht nur Anlass, eine Bilanz der Washingtoner Erklärung von 1998 zu ziehen, sondern diese nachzuschärfen. Denn: Zehntausende Kunstwerke und andere Kulturgüter, die ihren rechtmäßigen Eigentümern während der NS-Zeit in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten geraubt wurden, sind nach wie vor nicht zurückerstattet.

Bei der Tagung im US-Außenministerium, an der sich Vertreter von 22 Staaten, darunter auch Deutschland, beteiligten, wurden sogenannte »Best Practices« beraten und verabschiedet. Sie soll neuen Schwung und Klarheit in den Umgang mit NS-Raubgut bringen und für eine effektivere Umsetzung der Washingtoner Prinzipen sorgen. Dass eine länderübergreifend, einheitliche Herangehensweise an die Raubkunst-Problematik schwierig ist, war auch den Delegierten bewusst. Das liegt vor allem daran, dass die Rechtssysteme von Land zu Land unterschiedlich sind – beispielsweise, was die Verjährungsfristen anbelangt.

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Manche juristische Hürde, die der Rückgabe von NS-Raubkunst bislang im Wege steht, könnte aber abgebaut werden, den politischen Willen dazu vorausgesetzt. Das soll nach dem Willen der Konferenzteilnehmer nun auch geschehen, obwohl auch die Best Practices, wie die ursprüngliche Erklärung von 1998, für die Staaten nicht verbindlich und zumindest juristisch nicht einklagbar sind.

Das verabschiedete Papier beinhaltet aber interessante Erweiterungen der ursprünglichen Washingtoner Erklärung. So stellt es klar, dass sich der Begriff »Raubgut« nicht nur auf Kunstwerke bezieht, sondern auch andere Kulturgüter einschließt, die in der Zeit von 1933 bis 1945 im Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten von diesen sowie ihren Kollaborateuren geraubt, konfisziert, beschlagnahmt und enteignet wurden.

Fluchtkunst

Der betreffende Zeitraum, so heißt es wörtlich, sei »die Zeit des Holocaust von 1933 bis 1945«. Bislang war häufig umstritten, ob der »Verfolgungsdruck« auf Juden während der ersten Monate und Jahre der NS-Herrschaft ausreichend hoch war, um bei Verkäufen aus jüdischem Besitz von einer Zwangslage ausgehen zu können.

In den Best Practices heißt es nun: »Unter Berücksichtigung der spezifischen historischen und rechtlichen Umstände im Einzelfall kann der Verkauf von Kunst- und Kulturgütern durch eine verfolgte Person während der Zeit des Holocaust zwischen 1933 und 1945 aufgrund der Umstände des Verkaufs einer unfreiwilligen Übertragung von Eigentum gleichgesetzt werden.« Auch sogenannte »Fluchtkunst«, also der Verkauf von Kulturgütern in Drittstaaten durch Menschen, die aus Nazi-Deutschland flüchten mussten, wird nunmehr umfasst. Eine schon vor langer Zeit erhobene Forderung nicht nur jüdischer Organisationen ist damit erfüllt.

Eine »gerechte und faire Lösung« für die Opfer der Schoa und andere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung müsse gefunden werden, postulierte bereits die Washingtoner Erklärung von 1998. Das sei primär die Rückgabe der in der NS-Zeit geraubten Kulturgüter, stellt auch das Best-Practice-Papier klar. Diese müsse jedoch in Übereinstimmung mit dem Erbrecht des betroffenen Landes erfolgen. Die rechtmäßigen Eigentümer sollten, so das Papier weiter, mittels Provenienzforschung identifiziert und ihre Erben »von den derzeitigen Besitzern zum Zwecke der Rückgabe proaktiv gesucht« werden.

Im Falle einer Rückgabe »sollten die heutigen Besitzer von den Vorkriegseigentümern oder deren Erben keine Rückzahlung des Kaufpreises für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke in ihren Sammlungen verlangen. Die Entschädigung sollte steuerfrei sein.«

Unabhängiges Expertengremium

Von Regierungen wird gefordert, nicht nur die Provenienzforschung, sondern auch die Katalogisierung, Digitalisierung und den Zugang im Internet von öffentlichen und privaten Dokumenten und Archiven zu ermöglichen. Öffentliche und private Sammlungen sind aufgefordert, ihre Inventare zu veröffentlichen, und die Nachforschungen über die Eigentumsverhältnisse eines Kulturguts sollten unabhängig stattfinden.

Ferner heißt es in dem Dokument, dass die Unterzeichnerländer ein unabhängiges Expertengremium einzurichten, das Empfehlungen über den Umgang mit einzelnen Kunst- und Kulturgütern aussprechen kann. Ein solches Gremium müsse »einseitig anrufbar« sei, also auch dann eingeschaltet werden, wenn eine der beiden Streitparteien seiner Anrufung nicht zustimmt.

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In Deutschland existiert eine solche Einrichtung bereits seit mehr als 20 Jahren, die sogenannte »Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz«. Das Gremium unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier kann jedoch nur Empfehlungen aussprechen. Und es kann bisher nur dann tätig werden, wenn beide Seiten – Kläger und Beklagte – mit der Anrufung einverstanden sind.

Geschädigte sollen gegen den Willen des amtierenden Besitzers klagen dürfen

Auch über die Mitgliedschaft der Beratenden Kommission gab es in der Vergangenheit Streit. So beklagten jüdische Verbände, die Opferseite sei in dem Gremium nicht ausreichend repräsentiert. Mittlerweile hat die Kommission immerhin einen jüdischen Vertreter. Aber weiterhin ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, um – unverbindlich – die Restitution eines Werkes zu empfehlen. Bislang hat das neunköpfige Gremium in 20 Jahren nur 24 Fälle abgearbeitet.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) will dies in Zusammenarbeit mit den Kultusministern der Länder nun ändern, wie ihre Behörde (BKM) am Mittwoch mitteilte: »BKM, Länder und kommunale Spitzenverbände streben an, an die Stelle der bisherigen Beratenden Kommission eine Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen.«

Roth und ihre Ministerkollegen haben demzufolge in einem gemeinsamen Papier »die Möglichkeit zur einseitigen Verfahrenseinleitung gegenüber öffentlichen Kulturgut bewahrenden Stellen als wesentlicher Bestandteil im neuen Verfahren verabredet.«

Heißt: Künftig soll auch eine einseitige Anrufung der Kommission möglich sein, also eine Befassung gegen den Willen der amtierenden Besitzer eines strittigen Kunstwerks.

Das war eigentlich schon im Vertrag der Ampelkoalition von 2021 und während der Großen Koalition vereinbart. Passiert ist aber lange nichts. Das liegt auch daran, dass sich Bundesländer wie Bayern querstellten. Es ist Einstimmigkeit bei den 16 Bundesländern notwendig - eine hohe Hürde, die bislang eine Reform verhindert hat.

Ein Grund für die ablehnende Haltung des Freistaats, so vermuten Beobachter wie der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland, Rüdiger Mahlo, sei die Sorge im Freistaat, das 1964 gekaufte Picasso-Gemälde »Madame Soler« (1903) zurückgeben oder auch nur die Anrufung der Beratenden Kommission zulassen zu müssen. Das Bild befand sich einst im Eigentum des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Bayern bestreitet vehement, dass es sich um Raubkunst handelt.

Mahlo glaubt, dass der Druck, mehr für die Opferseite zu tun, mit dem jüngsten Konferenz deutlich gestiegen ist. Zwar habe das Dokument keinen rechtlich verbindlichen Charakter. Man habe aber präzisiert, was mit der Washingtoner Erklärung gemeint und wie sie anzuwenden sei.

»Deutschland muss Vorbild sein«

Der Claims Conference-Repräsentant fordert seit langem nicht nur eine Reform der Beratenden Kommission, sondern ein gesondertes Restitutionsgesetz für NS-Raubgut, mit dem alle offenen Fragen geklärt werden. Damit wären nicht mehr die Länder, sondern der Bund für die Sache zuständig. »Es muss klare rechtliche Regelungen geben, die Restitutionen vereinfachen, zum Beispiel eine Beweislastumkehr, eine Aufhebung der Verjährungsfristen oder die Möglichkeit für Überlebende und deren Erben, überhaupt einen Prozess zu initiieren. All das haben wir bislang nicht«, so Mahlo.

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Mit der jetzt in Washington erreichten Einigung auf die Best Practices ist Mahlo dennoch zufrieden. »Als Claims Conference schauen wir bei diesem Thema ja nicht nur auf Deutschland, sondern haben sozusagen eine ›globale Brille‹ auf. Aber auch für die deutsche Debatte ist das ein Fortschritt - gerade im Hinblick auf die Beratende Kommission«, sagt er.

In Washington erneut dabei war dieser Tage auch einer der Initiatoren der ersten Konferenz von 1998, Stuart Eizenstat. Der 81-jährige US-Diplomat und frühere Staatssekretär im Außen- und Finanzministerium ist nach wie vor eine treibende Kraft bei der Aufarbeitung von NS-Unrecht und insbesondere, was die Rückgabe von gestohlenem Eigentum angeht. Er berät sowohl die Claims Conference als auch das State Department.

Und auch Eizenstat zeigte sich zufrieden mit dem Best-Practice-Dokument, das er maßgeblich mitverfasst hatte. An Deutschlands Adresse richtete er aber mahnende Worte: »Die Deutschen waren die Täter. Deshalb müssten sie besser sein und ein Vorbild sein für den Rest der Welt. Sie sollten Führung übernehmen und nicht hinterherhinken«, so Eizenstat im Interview mit der »Welt«.

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