Extremismus

Wie rechts ist der Osten?

Ein AfD-Anhänger bei der Abschlusskundgebung der Partei am 4. Juni auf dem Domplatz in Magdeburg Foto: picture alliance/dpa

Im Jahre 1948 reiste ein ehemaliger Offizier der britischen Besatzungsarmee durch Westdeutschland. Was er sah und hörte, schockierte ihn zutiefst. Die Deutschen seien »gegenüber allem und jedem Fremden feindlich« eingestellt, der Antisemitismus sei »in allen Schichten der Gesellschaft sehr präsent«.

Offen und unter Zustimmung der Mitreisenden habe ein Mann im Zug verkündet, das Volk werde sich bald »wieder gegen die Parasiten der Welt aufbäumen«. Die Umerziehungsversuche der Besatzungsmächte, resümierte der frühere Offizier, seien »gescheitert«.

generation 13 Jahre später kehrte der Mann – es war mein Vater – in seine Heimatstadt Berlin zurück. Angenehm war es für ihn nicht. Die Generation der Täter, Mitläufer, Opportunisten, Wegducker und Verdränger war tonangebend, Emigranten wurden mit Misstrauen beäugt. Und doch war das Land anders geworden. Man hatte sich zuerst mit der Demokratie abgefunden, sich dann an sie gewöhnt und war dabei, sie zu verinnerlichen.

Im Osten ist es nach 1989 weniger glücklich gelaufen. Darüber kann die aktuelle Erleichterung über den Sieg Reiner Haseloffs in Sachsen-Anhalt nicht hinwegtäuschen. Dass man vor der Wahl fürchtete, die völkisch-nationale AfD könnte stärkste Partei werden, spricht Bände. Und fast 32 Prozent der Wähler und Wählerinnen haben mit AfD und Linkspartei Gruppierungen gewählt, deren Einstellung zur westlichen Demokratie problematisch ist, um es euphemistisch auszudrücken.

Als der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder sagte, die Ostdeutschen seien »teilweise in einer Form diktatursozialisiert, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind«, war die Empörung groß.

afd-wähler Doch Marco Wanderwitz, selbst Sachse, CDU-Mann und nicht für übermäßig liberale Positionen bekannt, weiß, wovon er spricht. Einem Teil seiner Landsleute bescheinigt er »gefestigte nichtdemokratische Ansichten«. Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei »potenziell rückholbar«. Man müsse »auf die nächste Generation« hoffen.

Was ist im Osten anders gelaufen? Es ist ja nicht nur ein deutsches Phänomen. In ganz Osteuropa ist mit wenigen Ausnahmen der Auf- und Ausbruch von 1989 in neue Formen illiberaler Herrschaft gemündet, vor allem in Russland selbst, aber auch in EU-Ländern wie Ungarn und sogar Polen, der Wiege der antikommunistischen Revolution. Ohne Vereinigung und massive Subventionierung der neuen Länder würde es vermutlich in Ostdeutschland nicht besser aussehen; wie es ja auch die Europäische Union ist, die rechtspopulistische Regierungen in Polen, Ungarn, Bulgarien und so weiter davon abhält, ihren schlimmsten Instinkten zu folgen.

Woher kommt der Unterschied zwischen dem Westen nach 1945 und dem Osten nach 1989?

Dass Ideologen der Rechten diesen Befund auf den Kopf stellen und behaupten, gerade »diktatursozialisierte« Menschen hätten ein besonders ausgeprägtes Sensorium für Gefährdungen der Freiheit, kann man unter freiwilliger Blindheit verbuchen. Zumal in der DDR die Masse der Widerständigen entweder aus dem SED-Staat floh oder – wie Wolf Biermann etwa – hinausgedrängt wurde, oft auf dem Umweg über Stasi-Haft.

freiheit Die »friedliche Revolution« war das Werk einer Minderheit, die nach 1989 kaum noch eine Rolle spielte. Freiheit gedeiht nicht in der Diktatur, Freiheit gedeiht in der Freiheit. 1968, obwohl antiamerikanisch geprägt, war ein amerikanisches Produkt.

In der DDR blieb »68« aus – in Polen gab es eine starke Bewegung, in der Tschechoslowakei eine Revolte. Doch auch 30 Jahre nach der Wende gibt es keine Bewegung der ostdeutschen Jugend, die ihre Eltern und Großeltern fragt, was sie denn im Sozialismus so getrieben haben.

Woher kommt der Unterschied zwischen dem Westen nach 1945 und dem Osten nach 1989? Wenn es auch vermessen wäre, für ein so vielschichtiges Geschehen eine einzige Ursache zu nennen, so möchte ich doch auf eine eher selten erwähnte verweisen: den Kommunismus. Aus den »leidenden, zynischen, jämmerlichen« Deutschen, die mein Vater 1948 antraf, wurden im Verlauf des Kalten Kriegs stramme Westler, die 1963 »Kennedy! Kennedy!« riefen.

kommunismus Denn es war für fast alle klar geworden, dass Demokratie und Kapitalismus dem Kommunismus überlegen und zugleich von ihm bedroht waren und verteidigt werden mussten. Aus dieser Einsicht folgte die Zustimmung zur Nato und zur europäischen Einigung.

Dieser Gegner fehlte nach 1990 den vom Kommunismus befreiten Völkern. Vielmehr richtete sich der Zorn über die Härten der postrevolutionären Ära gegen die Befreier selbst, die – von Russland bis Ostdeutschland – genügend Fehler machten, die freilich so oder anders unvermeidlich waren. Der Gegner – das liberale, globalisierte, kapitalistische und demokratische System – blieb derselbe.

In den neuen Ländern konnte die Linkspartei diese reaktionäre Wende nicht mitvollziehen und hat nun ihre Funktion als Speerspitze antiwestlicher Wut an die AfD abgegeben. Das Milieu aber bleibt mächtig, wie Wanderwitz warnt. Und wie Haseloff vorgemacht hat, gibt es darauf nur eine Antwort: klare Abgrenzung.

Die entscheidende Auseinandersetzung der Gegenwart lautet autoritärer Staatskapitalismus nach chinesisch-russischem Muster oder liberale Marktwirtschaft amerikanisch-westeuropäischer Prägung. Das ist weniger eindeutig als der Kalte Krieg, aber nicht weniger entscheidend. Und in Teilen Osteuropas ist der Ausgang keineswegs klar.

Der Autor schreibt für die »Welt« und betreibt den Blog »Starke Meinungen«.

Nahost

Netanjahu nach Washington abgereist - Treffen mit Trump 

Der israelische Regierungschef trifft den US-Präsidenten zum dritten Mal in sechs Monaten. Die Beziehungen sind eng. Mit Blick auf den Nahen Osten knüpfen sich an den Besuch große Erwartungen

 06.07.2025

Politik

AfD will im Bundestag »gemäßigt« auftreten

Die rechtsextreme Partei will sich im Parlament weniger krawallig präsentieren und beschließt dafür einen Verhaltenskodex

 06.07.2025

Meinung

New York: Zohran Mamdani und der Clash der Generationen

Der Bürgermeisterkandidat der Demokraten wurde nicht zuletzt wegen seiner antizionistischen Haltung gewählt. Während er unter jungen jüdischen New Yorkern Unterstützer hat, stehen die älteren überwiegend fest an Israels Seite

von Hannes Stein  06.07.2025

Meinung

Israel, Iran und das Völkerrecht

Die Präventivschläge Israels gegen das Atomprogramm der Mullahs verstießen nicht gegen das Völkerrecht, sondern waren ebenso notwendig wie angemessen

von Daniel Neumann  06.07.2025

Westjordanland

Kritik nach Angriff auf Deutsche-Welle-Mitarbeiter

Eine Korrespondentin und ein Kameramann wurden am Freitag von radikalen Siedlern mit Steinen beworfen

 06.07.2025

Interview

Antisemitismusforscher: »Seit dem 7. Oktober gibt es eine Mobilisierung gegen Juden«

Günther Jikeli über die Auswirkungen des 7. Oktober 2023 auf die deutsche Gesellschaft, israelfeindliche Proteste an Hochschulen und Defizite in der Wissensvermittlung

von Pascal Beck  06.07.2025

Nuklearprogramm

Atominspektoren der IAEA verlassen den Iran

Nach dem Krieg mit Israel setzt Teheran weiter auf Konfrontation mit der Internationalen Atomenergiebehörde

 05.07.2025

Extremismus

BSW-Chefin Wagenknecht will Brandmauer zur AfD einreißen 

Gespräche zwischen BSW und AfD? Landespolitiker in Thüringen haben es vorgemacht. Selbstverständlich sei das auch auf Bundesebene möglich, sagen beide Seiten

von Torsten Holtz  04.07.2025

Meinung

Der falsche Feind

Warum der deutsche Pazifismus blind für die Realitäten in Nahost ist – und deshalb moralisch Schiffbruch erleiden muss

von Mirna Funk  06.07.2025 Aktualisiert