Frankfurt am Main

Konferenz zum Massaker der Hamas

Doron Kiesel ist einer der Verantwortlichen für den Studiengang. Foto: picture alliance / Bernd Kammerer

Ein Gespenst geht um. Das »Gespenst des Judenhasses«. Es scheut nicht das Tageslicht und ist anpassungsfähig. So beschreibt die jüdische Publizistin Esther Schapira die Situation nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Sie spricht auch von einer »verstörenden und kränkenden Erfahrung der Einsamkeit und des Verrats« - und dürfte damit die aktuelle Gefühlslage vieler Juden auf den Punkt gebracht haben. Jedenfalls bekommt Schapira für ihre eindrückliche, einstündige Rede langen Applaus.

Sie sprach am Mittwoch zum Auftakt der Konferenz »Der 7. Oktober«, die bis Freitag in Frankfurt läuft. Veranstalter ist unter anderen der Zentralrat der Juden in Deutschland, dessen Bildungsabteilung in der Metropole am Main sitzt. Bis zu 300 Teilnehmende hatten sich für die Konferenz angemeldet.

Es gebe einen extrem hohen Bedarf an Austausch und Information, sagte gleich zu Beginn der Direktor der Bildungsabteilung, Doron Kiesel. Mit der Veranstaltung solle versucht werden, einige Dinge besser zu verstehen und Fassungslosigkeit zu bündeln, rund viereinhalb Monate nach dem Terrorangriff. Und die Erkenntnisse sollten weitergetragen werden: »Wir verstehen uns als Impulsgeber.«

Sexualisierte Gewalt

Eingeladen waren Menschen aus Deutschland und Israel, um über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten. Immer wieder kam darin gleich am ersten Tag jene Fassungslosigkeit zum Ausdruck, von der Kiesel gesprochen hatte. Und auch der Schmerz über ein Schweigen seit dem 7. Oktober, den viele Juden hierzulande empfinden. In Teilen der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Umfeld, wenn sich plötzlich Freunde nicht mehr melden.

Auf dem Programm standen Vorträge zum Beispiel über die sexualisierte Gewalt, die die Angreifer Frauen angetan haben, über Israel im Fokus postkolonialer Debatten, Antisemitismus im Kulturbetrieb und Traumata in der israelischen Gesellschaft. Bis Freitag haben sich unter anderen Julie Grimmeisen vom israelischen Generalkonsulat, der Autor und Journalist Richard C. Schneider, Professor Johannes Becke von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und der Psychologe Ahmad Mansour angekündigt.

Am Mittwoch sprach Terrorexperte Peter Neumann über Geschichte und Grundlagen der Hamas und diskutierte bis in den späten Abend hinein mit Teilnehmenden der Konferenz: über Spannungen und Strömungen innerhalb der Hamas, Unterstützer wie Iran, der an einem Frieden mit Israel kein Interesse habe, über die Frage, ob ein rein militärischer Sieg über die Hamas überhaupt möglich sei. Neumann betonte auch, dass die Hamas den Palästinensern keine Zukunft bieten könne.

Erschütterte Grundfesten

Gisela Dachs, Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, zeigte auf einer virtuellen Tour Graffiti in den Straßen von Tel Aviv mit Bezug zum 7. Oktober - und mit der verzweifelten Forderung, die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln zu befreien. Dachs beschrieb auch die »geografische Unmittelbarkeit« des aktuellen Krieges, der nur wenige Dutzend Kilometer von Tel Aviv entfernt ist.

Ihr Fazit: Nicht nur für jüdische, sondern auch für zahlreiche arabische Israelis seien die Grundfesten des eigenen Staates erschüttert worden. Ein gesellschaftlicher und politischer Neuanfang müsse ausgehandelt werden.

Aus den Fugen

Pava Raibstein erinnerte an 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Israel. Sie hätten schmerzhaft erfahren müssen, dass sie im eigenen Land nicht sicher seien, und auch von ihren Eltern, die mitunter selbst Opfer geworden seien, nicht hätten beschützt werden können. Sie seien Zeugen von Gewalt und Willkür geworden. Auch bangten sie um Angehörige, die zum Kriegsdienst eingezogen worden seien, sagte die Geschäftsführerin des Vereins Kinder- und Jugend-Aliyah.

Ursprünglich habe die Bildungsabteilung ein anderes Thema für die Konferenz angesetzt, sagte Kiesel. Aber das sei »davor« gewesen - und nach dem 7. Oktober erst einmal nicht denkbar. Auch die Publizistin Schapira sprach über dieses »davor« und »danach«, von einer neuen Zeitrechnung: »Unsere Welt ist aus den Fugen geraten.« Ihre Hoffnung - und zugleich auch Forderung: »Jede Zukunft lebt vom Kompromiss.« kna

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von 
janet Ben Hassin  10.12.2025

Antisemitismus

Konzert-Comeback: Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Xavier Naidoo kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorwürfe, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025

Aufarbeitung

Französische Entnazifizierungs-Dokumente erstmals online abrufbar

Neue Hinweise zu Leni Riefenstahl und Martin Heidegger in der NS-Zeit: Künftig können Forscher online auf französische Akten zugreifen. Experten erwarten neue Erkenntnisse

von Volker Hasenauer  10.12.2025

Deutschland

Wegen Antisemitismus und AfD: Schauspiellegende Armin Mueller-Stahl (95) denkt ans auswandern

Armin Mueller-Stahl spricht offen über seine Gelassenheit gegenüber dem Tod – und warum aktuelle Entwicklungen ihn dazu bringen, übers Auswandern nachzudenken

 10.12.2025

Justiz

Mutmaßlicher Entführer: Chef eines israelischen Sicherheitsunternehmens packt aus

Die Hintergründe

 10.12.2025

Fußball

Sorge vor Maccabi-Spiel in Stuttgart

Tausende Polizisten, Metalldetektoren beim Einlass, Sorge vor Gewalt: Warum der Besuch von Maccabi Tel Aviv in der Europa League beim VfB aufgrund der politischen Lage kein sportlicher Alltag ist.

 10.12.2025

Brüssel

Keine Nato-Rüstungsaufträge mehr an israelische Firma?

Einem Bericht verschiedener Medien zufolge ist Israels führendes Wehrtechnikunternehmen Elbit Systems wegen Korruptionsverdachts vorläufig von weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden

 10.12.2025