USA

Kein jüdischer Staat?

Foto: imago images/Elmar Gubisch

USA

Kein jüdischer Staat?

Ein hoher nichtjüdischer Funktionär von Amnesty International stellt Israels Selbstverständnis infrage

von Joshua Schultheis  16.03.2022 09:51 Uhr

Erneut macht die Haltung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) zum Staat Israel Schlagzeilen. Im Fokus der Berichterstattung stehen dieses Mal Aussagen von Paul O’Brien, Direktor von AI in den Vereinigten Staaten. Bei einer Veranstaltung des Woman’s National Democratic Club (WNDC), der Frauen-Organisation der US-Demokraten, sagte er, dass AI zwar an das Selbstbestimmungsrecht der Völker glaube, aber gegen die Idee sei, »dass Israel als Staat für das jüdische Volk erhalten bleiben sollte«. Die Rede O’Briens, über die der »Jewish Insider« als erster berichtete, schlägt nun in der US-amerikanischen Öffentlichkeit hohe Wellen.

Erst im Februar löste AI mit seinem Bericht über Israel und dem damit verbundenen Vorwurf der Apartheid gegen den jüdischen Staat weltweit Empörung aus. In Deutschland wurde das über 200 Seiten starke Papier mit dem Titel »Israels Apartheid gegen Palästinenser: Grausames System der Unterdrückung und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit« vielfach als einseitig und sachlich falsch bezeichnet. Auch die Bundesregierung kritisierte den Bericht.

EXISTENZRECHT AI behauptet darin, dass Israel seit seiner Gründung 1948 kontinuierlich und gezielt »ein institutionalisiertes Regime der Unterdrückung und Beherrschung der Palästinenser« geschaffen hat und die Palästinenser als »eine untergeordnete, nichtjüdische rassische Gruppe« betrachte. Damit mache sich Israel der Apartheid schuldig, also der systematischen Unterdrückung und Segregation einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere. Trotz dieser harschen Kritik bestritt AI in seinem Bericht das Existenzrecht des israelischen Staates nicht. Nun stellt sich die Frage, ob der AI-Funktionär Peter O’Brien in seiner Rede vorm WNDC auch diese Linie überschritten hat.

Diejenigen seiner Aussagen, die der »Jewish Insider« überliefert, sind in dieser Hinsicht zumindest missverständlich. O’Brien sprach demnach davon, dass er glaube, dass sich die Mehrheit der US-amerikanischen Juden Israel nicht als einen jüdischen Staat wünsche, sondern stattdessen als einen »Safe Space« für Juden, einen Ort, »den das jüdische Volk ein Zuhause nennen kann« und der auf »jüdischen Grundprinzipien« beruhe. Diese Äußerungen weisen darauf hin, dass sich O’Brien – wie viele im progressiven Lager in den USA – für den Nahostkonflikt eine Einstaatenlösung wünscht, in der Juden nicht mehr unbedingt die Bevölkerungsmehrheit stellen und Israel aufhört, ein explizit jüdischer Staat zu sein.

Wie Israel unter diesen Bedingungen aber weiter existieren könnte und welche Konsequenzen die Umsetzung dieser Vorstellung für die Sicherheit der Juden in und außerhalb Israels hätte, darauf ging O’Brien nicht ein – auch nicht in seiner nachträglichen Klarstellung auf Twitter, in der er behauptete, seine Rede sei falsch wiedergegeben worden. Immerhin unterstrich er noch einmal, dass Amnesty »keine politische Sicht auf die Legitimität oder Existenz irgendeines Staates« habe. Verhindern konnte er aber nicht mehr, dass seine Aussagen auf energische Kritik stießen – sogar aus dem höchsten gesetzgebenden Organ der USA.

SCHICKSAL In dem gemeinsamen Statement, das alle 25 jüdischen Abgeordneten der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus unterzeichneten, war der Stein des Anstoßes allerdings nicht eine eventuelle Infragestellung des Existenzrechts Israels durch O’Brien. Vielmehr empörten sich die Abgeordneten über seinen »bevormundenden Versuch, im Namen der ganzen amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft zu sprechen«.

Bei der Veranstaltung beim WNDC hatte eine Teilnehmerin O’Brien, der selbst kein Jude ist, eine Umfrage der Ruderman Family Foundation von 2020 entgegengehalten, der zufolge sich 80 Prozent der US-amerikanischen Juden als »pro-israelisch« verstehen und sich mit dem jüdischen Staat emotional stark verbunden fühlen. O’Brien widersprach: »Ich glaube eigentlich nicht, dass das wahr ist.« Und erklärte, was sich die Juden in den USA seiner Meinung nach wirklich wünschten: einen Safe Space statt eines jüdischen Staates.

Das ließen die jüdischen Mitglieder des Repräsentantenhauses so nicht stehen. Über O’Brien schrieben sie: »Er hat seinen Namen der Liste derjenigen hinzugefügt, die über Jahrhunderte versucht haben, den eigenständigen Willen des jüdischen Volkes zu leugnen und zu usurpieren.« Gemeinsam verurteile man diesen Versuch, »dem jüdischen Volk die Kontrolle über sein eigenes Schicksal abzusprechen«.

Staatsbesuch

Kanzler Merz reist am nächsten Wochenende nach Israel

Das Datum steht: Bundeskanzler Merz reist in gut einer Woche zum Antrittsbesuch nach Israel. Der Gaza-Krieg hatte die Reise verzögert, durch die Waffenruhe wird sie jetzt möglich

 28.11.2025

Berlin

Anschlag auf israelische Botschaft geplant? Prozess beginnt

Ein mutmaßlicher IS-Unterstützer kommt vor Gericht. Der Prozess gegen den inzwischen 19-Jährigen beginnt am Montag

 28.11.2025

Brüssel

Weimer warnt vor Antisemitismus und Ausgrenzung beim ESC

Der Kulturstaatsminister will darüber mit seinen europäischen Kollegen sprechen

 28.11.2025

Eurovision Song Contest

Spanien bekräftigt seine Boykottdrohung für ESC

Der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RTVE gibt sich kompromisslos: José Pablo López wirft Israel einen »Genozid« in Gaza und Manipulationen beim Public Voting vor und droht erneut mit dem Austritt

 28.11.2025

USA

Mehrheit der Juden blickt nach Mamdani-Sieg mit Sorge nach New York

Eine Umfrage zeigt: Fast zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, Mamdani sei sowohl antiisraelisch als auch antisemitisch

 28.11.2025

Berlin

Israel, der Krieg gegen die Hamas und die Völkermord-Legende

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellte im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025