Plädoyer

Gemischtes Doppel

In den USA heiratet jetzt schon mehr als die Hälfte aller Juden einen nichtjüdischen Partner. Foto: Marco Limberg

Unlängst veröffentlichte das Pew Research Center eine Studie über das amerikanische Judentum, die belegt, dass sich Juden dort immer mehr assimilieren. Das ist zwar keine revolutionäre Entdeckung, dafür ergeben sich aber aus den Zahlen einige neue Trends: Der Anteil interreligiöser Ehen in den USA steigt, er liegt jetzt schon bei 58 Prozent. Immer mehr junge Juden definieren sich als konfessionslos. Und bei Kindern aus interreligiösen Ehen – bei denen also nur ein Elternteil jüdisch ist – erhalten auch nur noch 22 Prozent eine jüdische Erziehung, während im Vergleich dazu die Rate bei denjenigen mit zwei jüdischen Elternteilen bei 82 Prozent liegt.

Seitdem die Zahlen veröffentlicht wurden, diskutiert das jüdische Amerika über die Bedeutung dieser Studie. Auf der einen Seite sind es die Anhänger der Öffnung hin zu interreligiösen Ehen, auf der anderen Seite Menschen wie Jack Wertheimer, der am konservativen Jewish Theological Seminary amerikanisch-jüdische Geschichte lehrt und die Meinung vertritt, dass sich die Tendenz zur kompletten Akzeptanz sogenannter Mischehen auf die jüdische Kontinuität verheerend auswirkt.

trend Erneut versuchen die Anhänger größerer Offenheit, das Problem zu lösen, indem sie es umdefinieren. In vielen jüdischen Organisationen können auch Juden, die in interreligiösen Ehen leben, die herausragendsten Ämter bekleiden, in manchen sogar der nichtjüdische Ehepartner. Damit setzt sich ein Trend durch, der schon längst bekannt ist: Wenn es nicht gelingt, die Gemeinden nach vertrauten Maßstäben zu erhalten, dann werden einfach die Richtlinien verändert.

Inzwischen ist die Frage nicht mehr nur, warum man jüdisch heiraten, sondern warum man überhaupt noch jüdisch sein soll. Nach Ansicht von David Mallach von der UJA-Wohltätigkeitsorganisation ist eines der Resultate der gesamten Entwicklung, dass in einem »freien Amerika alle freiwillig jüdisch sind«. Also sind interreligiöse Ehen doch eher ein Symptom als die Ursache des Phänomens.

Wie zahlreiche Studien belegten, so Wertheimer, schwächten interreligiöse Ehen die jüdische Identität erheblich. Das muss mich als Rabbiner, aber auch die Gemeinden beunruhigen: Familien in jüdischer Ehe werden viermal wahrscheinlicher einer Synagogengemeinde angehören als die aus interreligiösen Partnerschaften, fünfmal wahrscheinlicher einen koscheren Haushalt führen, dreimal wahrscheinlicher zwei oder mehr nahe jüdische Freunde haben, vier- bis fünfmal wahrscheinlicher jüdischen Zwecken Zeit und Geld spenden.

statistik Interessanterweise folgt die Statistik der traditionellen Halacha. Denn das Geschlecht des jüdischen Elternteils ist für die jüdische Erziehung und Sozialisation der Kinder sehr bedeutend. So fand die Soziologin Sylvia Barack-Fishman heraus, dass in den meisten Bereichen der jüdischen Praxis und des jüdischen Lebens – von Beschneidung über Erziehung bis zur Mitgliedschaft in einer Gemeinde – Männer bedeutend weniger bereit oder fähig waren als Frauen, aktive Verantwortung zu übernehmen.

Neben dem Versuch, den jüdischen Status umzudefinieren, ist eine Schwächung der jüdischen Erziehung zu konstatieren. In den USA befürworten manche die sogenannten Charterschulen als Alternative zu den bedeutend teureren jüdischen Tagesschulen, wobei der Religionsunterricht in Charterschulen untersagt ist, denn diese gelten als öffentliche Lehranstalten. Außerdem ist die Schülerschaft in den Charterschulen nach gesetzlichen Vorschriften gemischt, sodass die Schüler nicht einmal durch kulturelle Osmose eine zumindest ethnisch-jüdische Identität entwickeln.

schulen Die meisten jüdischen Schulen Deutschlands schneiden kaum besser ab. Der Lehrplan beinhaltet wenig mehr Religionsunterricht als an öffentlichen Schulen. Der Hebräischunterricht ist trotz großer Bemühungen des Lehrpersonals ebenfalls unzureichend.

Damit ertönt ein Echo der Worte von Herman Wouk: »Viele Menschen, die ihre Kinder nicht im jüdischen Glauben erziehen, rechtfertigen sich damit, dass sie ihre Kinder nicht beeinflussen wollen. Aber diese Einstellung führt zwangsläufig zur schlimmsten Beeinflussung, der man ein Kind aussetzen kann. Sie erreichen damit nur, dass es als Erwachsener sein Leben lang seine Unwissenheit für vernünftig hält.«

Keiner der beschriebenen Ansätze wird die Zahl der Gemeindemitglieder in Zukunft erhöhen. Also, was tun? Statt uns in einen direkten Kampf gegen die interreligiöse Ehe zu begeben, sollten wir uns vielmehr dafür starkmachen, dass das Judentum für die nächste Generation eine zentrale Rolle spielt. Wir müssen unseren Kindern und Jugendlichen Gründe an die Hand geben, jüdisch sein zu wollen, damit sie selber wünschen, jüdisch zu heiraten, und nicht einmal bereit sein werden, interreligiös zu daten. Wir müssen uns auf die bedeutungsvollen Inhalte des Judentums konzentrieren. Wir müssen unsere Kinder inspirieren, dass sie noch bessere, versiertere und intensiver praktizierende Juden als ihre Eltern werden. Und dafür müssen wir umkehren und jüdische Erziehung wirklich ernst nehmen.

Antisemitismus

Konzert-Comeback: Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Xavier Naidoo kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorwürfe, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025

Aufarbeitung

Französische Entnazifizierungs-Dokumente erstmals online abrufbar

Neue Hinweise zu Leni Riefenstahl und Martin Heidegger in der NS-Zeit: Künftig können Forscher online auf französische Akten zugreifen. Experten erwarten neue Erkenntnisse

von Volker Hasenauer  10.12.2025

Deutschland

Wegen Antisemitismus und AfD: Schauspiellegende Armin Mueller-Stahl (95) denkt ans auswandern

Armin Mueller-Stahl spricht offen über seine Gelassenheit gegenüber dem Tod – und warum aktuelle Entwicklungen ihn dazu bringen, übers Auswandern nachzudenken

 10.12.2025

Justiz

Mutmaßlicher Entführer: Chef eines israelischen Sicherheitsunternehmens packt aus

Die Hintergründe

 10.12.2025

Fußball

Sorge vor Maccabi-Spiel in Stuttgart

Tausende Polizisten, Metalldetektoren beim Einlass, Sorge vor Gewalt: Warum der Besuch von Maccabi Tel Aviv in der Europa League beim VfB aufgrund der politischen Lage kein sportlicher Alltag ist.

 10.12.2025

Brüssel

Keine Nato-Rüstungsaufträge mehr an israelische Firma?

Einem Bericht verschiedener Medien zufolge ist Israels führendes Wehrtechnikunternehmen Elbit Systems wegen Korruptionsverdachts vorläufig von weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden

 10.12.2025

Polen

Neun polnische KZ-Opfer werden im Juni seliggesprochen

Die Nationalsozialisten brachten in Dachau und Auschwitz auch Hunderte polnische Priester um. Die katholische Kirche verehrt mehrere von ihnen als Märtyrer. Bald werden neun weitere Geistliche in Krakau seliggesprochen

 10.12.2025