Interview

»Es wäre zu schwer, um es weiterhin an meiner Jacke zu tragen«

Albrecht Weinberg und seine Pflegerin Gerda Dänekas in ihrer Wohnung in Ostfriesland Foto: picture alliance/dpa

Herr Weinberg, Sie haben vor Kurzem angekündigt, Ihr Bundesverdienstkreuz zurückzugeben, aus Protest gegen den Antrag der Unionsfraktion für eine verschärfte Asylpolitik, den der Bundestag vergangene Woche mit AfD-Stimmen angenommen hat. Als Bundespräsident Steinmeier von der Rückgabe hörte, meldete sich sein Büro bei Ihnen. Wie war Ihr Gespräch?
Letzte Woche hat eine Mitarbeiterin aus dem Büro des Bundespräsidenten angerufen. Sie sagte, Herr Steinmeier würde gern ein persönliches Gespräch mit mir führen. Sie würde sich wieder melden, wegen eines Termins. Zufällig haben sie heute am, am Dienstag, wieder angerufen. Es sei sehr schwierig, einen Termin zu finden, weil ich ja nicht nach Berlin reisen möchte. Ich werde im März 100 Jahre alt. Ich habe vorgeschlagen, dass doch der Bundespräsident nach Leer kommen könnte, das ist auch ein schönes Städtchen. Wir sind so verblieben, dass wir Anfang nächster Woche vielleicht einen Termin für ein Telefonat ausmachen.

Was möchten Sie Herrn Steinmeier sagen?
Das weiß ich noch nicht. Das kommt bei mir ganz spontan raus. Ich habe mit Politik nie etwas zu tun gehabt.

Das hat sich jetzt geändert?
Ja, als ich gehört habe, dass sich die CDU mit der Nazipartei zusammengetan hat, da musste ich reagieren. Ich bin in Deutschland geboren, bin Jude. Ich war ein deutscher Bürger, und was die Nazis mit uns gemacht haben, das geht auf keine Kuhhaut. Als ich von dem Fall der Brandmauer gehört habe, habe ich gesagt, ich gebe mein Bundesverdienstkreuz zurück. Es wäre zu schwer, um es weiterhin an meiner Jacke zu tragen.

Lesen Sie auch

Wird die Gesellschaft dadurch wachgerüttelt?
Ich glaube ja. Ich erhalte Einladungen aus meiner Umgebung und werde aufgefordert, zu Veranstaltungen zu kommen. Viele Anrufe erreichen mich. Hier geht es gerade rund. Etliche Wahlplakate sind mittlerweile angebracht worden. Auf einem von der CDU hat jemand »Armer Albrecht« drübergeschrieben.

Warum?
In einem Ort in der Nähe von Leer wurden sämtliche CDU-Plakate beschmiert, was ja nicht in Ordnung ist. Auf einem Plakat des Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann steht nun »Armer Albrecht«. Sie stammt aus der Gegend. Mit ihr bin ich sehr gut befreundet. Sie kommt mich öfters besuchen, wir trinken zusammen Tee. Sie hat in dieser Sache beide Male eindeutig mit Ja gestimmt. Darüber bin ich sehr, sehr traurig. Jetzt hat sie sich für Donnerstag zum Tee angekündigt. Sie möchte sich erklären. Mal sehen, was sie sagt. Ich habe nur angekündigt, mein Bundesverdienstkreuz zurückschicken, und dann machen die hier ein großes Fass auf.

Haben Sie das Bundesverdienstkreuz schon abgeschickt?
Nein, noch nicht. Ich warte noch auf das Gespräch mit dem Bundespräsidenten, aber ich bleibe bei meiner Meinung.

Werden sich Ihre Zeitzeugengespräche mit Schülern nun ändern?
Ich erzähle Jugendlichen, was mir und meiner Familie in Deutschland passiert ist. Sie sollen wachsam sein, ihren Mund aufmachen und sich nicht einschüchtern lassen von den Rechtsradikalen. Wenn die den Fuß in der Tür haben, nehmen sie den ganzen Körper. Ich habe genau das getan, was ich den Jugendlichen predige.

Albrecht Weinberg wurde 1925 in Ostfriesland geboren und überlebte mehrere Konzentrationslager. Nach dem Krieg wanderte er mit seiner Schwester in die USA aus. Seit 2012 lebt er wieder in seiner Heimat. Mit dem Schoa-Überlebenden sprach Christine Schmitt.

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 20.12.2025

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel unterzeichnet weiteren Vertrag mit Deutschland über Raketenabwehr

Es handelt sich um das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des jüdischen Staates

 19.12.2025

Sydney/Canberra

Nach Terroranschlag von Bondi Beach: Australien plant nationalen Trauertag

Die Regierung kündigt zudem umfassende Maßnahmen an. Dazu gehört eine landesweite Rückkaufaktion für Schusswaffen

 19.12.2025

New York

Antisemitische Äußerungen: Mitglied von Mamdanis Team tritt zurück

Die Tiraden von Catherine Almonte Da Costa sorgen für Entsetzen

 19.12.2025