Analyse

Drei magere Jahre?

Im März besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) den israelischen Premier Benjamin Netanjahu in Jerusalem. Foto: picture alliance/dpa

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien steht ein Satz, den eine CDU-Kanzlerin geprägt hat. »Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson«, bekundeten die Spitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in dem Papier, das im Dezember 2021 zur Grundlage der neuen Bundesregierung wurde. Erstmals ausgesprochen hatte die Formel Angela Merkel, als sie 2008 vor dem israelischen Parlament eine Rede hielt. Fortan musste sich deutsche Politik daran messen lassen, wenn es um den jüdischen Staat ging – auch Merkels Nachfolger Olaf Scholz und sein Kabinett.

Nun ist die »Ampel« vorzeitig gescheitert. Die Staatsräson und das deutsch-israelische Verhältnis wurden in der Zeit der rot-grün-gelben Regierung so sehr auf die Probe gestellt wie wohl selten zuvor. Ein Rückblick auf die vergangenen drei Jahre.

Eine verpasste Chance

Als der neue Bundeskanzler im März 2022 seinen Antrittsbesuch in Israel machte, hieß der dortige Ministerpräsident ausnahmsweise einmal nicht Benjamin Netanjahu. Naftali Bennett hatte im Jahr zuvor ein breites Bündnis selbst unter Einbeziehung einer arabischen Partei geschmiedet, und es bestand Hoffnung auf einen Aufbruch in den deutsch-israelischen Beziehungen.

Eine Chance, die verpasst wurde, glaubt der Nahostexperte Peter Lintl. »Als die Ampel-Regierung antrat, war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das Potenzial für vertiefte Gespräche zu nutzen«, sagt der Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Im November 2023 bildete Netanjahu die wohl rechteste Regierung in der Geschichte Israels.

Und das Möglichkeitsfenster schloss sich schnell wieder: Im November desselben Jahres gewann Netanjahus Likud-Partei erneut die Wahlen und bildete die wohl rechteste Regierung in der Geschichte des Landes. »Für die deutsche Politik war der Umgang mit Israel in dieser Zeit Neuland«, sagt Lintl. In Deutschland habe man nun vor der Frage gestanden, wer eigentlich die Wertepartner in Israel seien.

Als Netanjahu im März 2023 zu Besuch in Berlin war, drückte Scholz – für einen Bundeskanzler ungewöhnlich deutlich – seine Sorge über dessen umstrittene Pläne einer Justizreform aus. Bis heute wurde dem Wunsch Netanjahus nach einer gemeinsamen Regierungskonsultation von deutscher Seite nicht entsprochen.

Israelische Technik für Deutschlands Sicherheit

In dieselbe Zeit fällt jedoch auch eine bedeutende Militärkooperation zwischen Berlin und Jerusalem. Im September 2023 kam ein Vertrag zustande, der das israelische Raketenabwehrsystem »Arrow 3« der Bundeswehr zugänglich machen sollte.

Für Mirjam Rosenstein ein Projekt, »das die gemeinsame Wertebasis beider Länder noch einmal verdeutlicht«. Die Geschäftsführerin der NGO »Nahost Friedensforum« (NAFFO) sagt: »Die Zusammenarbeit bei Arrow 3 zeigt, dass Israel für Deutschlands Sicherheit entscheidend und wichtig ist.«

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Nur wenige Tage später stellten der Angriff der Hamas auf Israel und der darauffolgende Krieg in Gaza nicht nur alle Gewissheiten der Geopolitik des Nahen Ostens, sondern auch des deutsch-israelischen Verhältnisses infrage.

Die Waffenlieferungen an Israel bleiben aus

Die Bundesregierung machte sofort deutlich: Israel müsse jetzt mit allen Mitteln unterstützt werden. Es folgten Solidaritätsbesuche von Regierungsvertretern sowie umfangreiche Waffenlieferungen. Nie zuvor wurde die Formel von der Staatsräson so häufig wiederholt wie in dieser Zeit.

Doch während der Krieg gegen die Hamas Monat für Monat andauerte, nahm nicht nur in der deutschen Bevölkerung die Zustimmung zu Israels militärischem Vorgehen ab. Auch die Politik der Bundesregierung änderte sich. Vor dem Internationalen Gerichtshof hatte sie noch zugunsten des jüdischen Staates interveniert, gegen den Südafrika eine Völkermord-Klage eingereicht hatte. Nun war die Sorge jedoch offenbar groß, wegen der Waffenlieferungen an Israel selbst vor Gerichten belangt zu werden.

Außenministerin Baerbock übte zunehmend Kritik an der israelischen Kriegsführung.

Spätestens ab Januar 2024 wurden Anträge auf Ausfuhren von Kriegswaffen an Israel von der Bundesregierung nicht mehr genehmigt.
Zwar kündigte Scholz im Oktober weitere Waffenlieferungen an, für Expertin Rosenstein steht aber fest: »Das Embargo für Waffenexporte wird die deutsch-israelischen Beziehungen nachhaltig belasten, da es einen Vertrauensverlust darstellt.«

Als ambivalent bewertet die NAFFO-Geschäftsführerin zudem die Rolle von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Sie habe einerseits früh ihre Empathie mit Israel bekundet und die Region häufig besucht. Andererseits habe Baerbock wenig zu einer Nachkriegslösung für ein Gaza ohne die Hamas sowie zur Befreiung der Geiseln beigetragen.

Ihre zunehmende Kritik an der israelischen Kriegsführung dürfte in Jerusalem zudem nicht nur mit Wohlwollen aufgenommen worden sein.

Ein misslungener Spagat

Für den Nahostexperten Lintl steht das Agieren der Außenministerin exemplarisch für das Dilemma, das der Gaza-Krieg für die Bundesregierung bedeutet. »Der deutsche Blick auf Israel ruht auf zwei Säulen: einer universalistischen, menschenrechtlichen Perspektive und einer partikularen, die die besondere historische Verantwortung gegenüber Israel im Zentrum hat.«

Der Spagat zwischen beidem sei letztlich nicht gelungen, glaubt der Wissenschaftler. »Das führte zu einer Überforderung der deutschen Politik und des deutschen Diskurses.« Die Ampel-Regierung, so der Experte, habe es nie geschafft, ihre Position zu Israel verständlich zu erklären.

Im Februar wird in Deutschland ein neues Parlament gewählt. Wer auch immer eine Mehrheit erringen und die künftige Regierung bilden wird, steht vor einer großen Herausforderung in den deutsch-israelischen Beziehungen: Es gilt, nicht weniger als eine neue Klarheit in das besondere Verhältnis beider Länder zu bringen.

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