Omid Nouripour

»Die Geschäftsführung der documenta hat versagt«

Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, bei einer Pressekonferenz Foto: picture alliance/dpa

Herr Nouripour, bei der documenta ist mehr Antisemitismus zu sehen, als sich selbst Pessimisten vorgestellt haben. Wie ist Ihre Einschätzung?
Das, was dort zu sehen ist, fällt nicht mehr in die Kategorie Kunstfreiheit. Es ist abscheulich und nicht zu ertragen, dass antisemitische Bilder und Motive unter der Überschrift eines schützenswerten Gutes ausgestellt werden. Man muss einfach feststellen, dass die Geschäftsführung der documenta versagt hat.

Nur die Geschäftsführung – oder auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth? Ihre Parteifreundin hat sich – im Gegensatz zur Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung – in Vorab-Interviews eher abwiegelnd geäußert …
Claudia Roth hat die besagten Werke als antisemitisch verurteilt und auch klar gemacht, dass die Kunstfreiheit hier ihre Grenzen findet. Natürlich muss der Staat sehr aufpassen, nicht in die Interpretation von Kunst einzugreifen. Aber Claudia Roth hat der documenta-Geschäftsführung und auch in der Öffentlichkeit immer deutlich gemacht, dass bei Antisemitismus und Israel-Hass die Grenze erreicht ist. Genau deswegen ist sie nun auch eingeschritten. Zur Aufsichtspflicht der Geschäftsführung wiederum gehört die Sorgfalt, darauf zu achten, dass nicht alles, was in anderen Ländern leider toleriert oder sogar politisch geschürt wird, in unserem Land hinnehmbar ist. Auch und gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte.

Es scheint ja nichts genützt zu haben. Was sollte jetzt passieren?
Jetzt ist das Dringlichste, dass diese abscheulichen Ausdrücke von Menschenverachtung und Antisemitismus nicht mehr ausgestellt werden.

Zum Beispiel die Zeichnung mit dem Schweinskopf und den SS-Runen …
… das ist unsäglich und mit der Menschenwürde und unserem Grundgesetz nicht vereinbar. Und natürlich wird man aufarbeiten müssen, was da schief gelaufen ist.

Ist es damit getan, Bilder mit antisemitischen Stereotypen zu »verhüllen« – oder sollten sie vollständig aus der Ausstellung genommen werden?
Das Werk muss entfernt werden und es muss dringend geprüft werden, ob nicht noch weitere antisemitische Werke ausgestellt sind.

Bundespräsident Steinmeier hat sich gegen »Outsourcing« von Verantwortung gewandt. Würden Sie sich dem anschließen?
Ja, und deswegen hat die Kulturstaatsministerin darauf hingewiesen, dass die Geschäftsführung eine besondere Verantwortung trägt. Denn natürlich ist genau darauf zu achten, dass etwa in Indonesien anders über Israel gesprochen wird als in Deutschland.

Haben Sie dieser Tage mit Claudia Roth gesprochen?
Ja, und wir haben die gleiche klare Haltung in dieser Sache: Antisemitismus darf nicht Teil einer Kunstausstellung sein, hier werden die Grenzen der Kunstfreiheit drastisch überschritten.

Aber sie gehört zu denjenigen Mitgliedern Ihrer Partei, die den Bundestagsbeschluss von 2019, BDS als antisemitisch einzustufen, nicht mitgetragen haben.
Claudia Roth und ich waren und sind uns einig in der ablehnenden Haltung zum BDS. Als derjenige, der den BDS-Antrag damals verhandelt, mit eingebracht und auch die Rede im Bundestag dazu gehalten hat, kann ich versichern: Das gilt trotz aller Diskussionen für die gesamte grüne Partei.

Die documenta hat eine Ausstrahlung auf die Kunstwelt in Deutschland und weltweit. Wenn die documenta antisemitische Karikaturen für koscher hält, wird sich das weiterverbreiten. Wie ist das jetzt noch zu verhindern?
Indem man jetzt sehr klar die rote Linie zieht: Das ist nicht unser Verständnis von Kunst, das ist schlicht Hetze.

Wie wird der documenta-Skandal bei den Grünen intern diskutiert?
Politik muss sehr vorsichtig bei Eingriffen in die Kunstfreiheit sein, weil damit die Grenzen  zur Zensur überschritten werden können. Aber es darf auch in der Kunst keinen Platz geben für Hetze und Antisemitismus. Das ist Konsens bei den Grünen. Und sollte es bei allen Demokraten sein.

Wie wird es jetzt weitergehen – zum Beispiel mit den geplanten Diskussionsrunden über Antisemitismus bei der documenta?
Diskussionen, die kritisch reflektieren, wie es zur Ausstellung antisemitischer Werke kommen konnte, sind angebracht, Beschwichtigungsversuche nicht. Es ist bekannt, dass Antisemitismus und Israel-Hass in weiten Teilen der Welt leider mehr als hoffähig sind. Aber dem gerade in Deutschland eine Plattform zu geben – das ist inakzeptabel.

Mit dem Co-Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen sprach Ayala Goldmann.

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

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