Thüringen

»Der AfD ist alles zuzutrauen«

Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Foto: Karina Hessland-Wissel

Herr Schramm, was ist in Thüringen schiefgelaufen?
Der AfD in Thüringen ist es gelungen, den Ministerpräsidenten zu kreieren – das ist schon eine sehr beängstigende Situation für uns. Die Wähler haben trotz Höcke – oder, was schlimmer ist, sogar wegen Höcke – die AfD gewählt, und zwar mit so viel Prozent, dass wir jetzt diese verfahrene Situation haben. Mitschuld daran ist die CDU: In der prinzipiellen Haltung der CDU, die Linke mit der AfD gleichzusetzen, liegt die Gefahr, dass die AfD auch künftig an Stimmen gewinnen wird.

Ist die CDU in Thüringen offener als anderswo für Zusammenarbeit mit der AfD?
Das ist nicht thüringenspezifisch. Vielmehr wurde in Thüringen deutlich, dass wir eine Spaltung innerhalb der CDU haben. Es gibt auch in der CDU Leute, die der Meinung sind, man könne mit der Linken sprechen. Doch als Mike Mohring zunächst das Gespräch mit Ramelow suchen wollte, wurde er sofort von der Bundes-CDU zurückgepfiffen. In Thüringen wird ein Stellvertreterkrieg geführt zwischen jenen in der CDU, die so weit gehen, mit der AfD zusammenzuarbeiten – auch wenn deren Skrupellosigkeit offensichtlich ist –, und denen, die absolut dagegen sind, weil sie aus der Geschichte gelernt haben. In diesem CDU-Richtungsstreit wird Thüringen möglicherweise das Opfer. Denn es kann sich um Monate verzögern, bis eine arbeitsfähige Regierung zustande kommt. Der AfD muss man dabei alles zutrauen!

Worum ging es bei der FDP-CDU-Taktik?
Darum, eine relativ erfolgreiche Regierung auszuschalten. CDU und FDP haben die Chance genutzt, genau das zu machen. Doch sie haben sich geirrt. Die Reaktionen der Bevölkerung waren enorm. CDU und FDP merken: Damit kommen sie nicht durch. Ramelow hatte 70 Prozent Zustimmung über alle Parteigrenzen hinweg! Das zu ignorieren, ist schon sehr unanständig.

Worin liegt jetzt die Chance der demokratischen Parteien?
Sich auf die Gemeinsamkeit von Demokraten zu einigen, die wäre: Neo-Nationalsozialismus bekämpfen. Manchmal muss erst etwas passieren, bis man aufwacht. Andererseits: Wie viele Weckrufe brauchen wir noch? Der Anschlag von Halle, der Mord an Lübcke waren doch Anlass genug, um Rechtsextremismus sehr ernst zu nehmen.

Was muss jetzt in Thüringen passieren?
Wolfgang Schäuble sagte am Montag: Man muss sich an Minderheitsregierungen gewöhnen. Wenn das so ist, unterstützt man die, die aufgrund des Wahlergebnisses und ihrer Regierungserfahrung überhaupt die Möglichkeit haben, eine stabile Regierung zu bilden. Das setzt jedoch voraus, dass man das Gleichheitszeichen, das bislang praktiziert wird – »Ramelow ist gleich Höcke« – entfernt. Da gibt es kein Gleichheitszeichen! Ich finde das unverschämt und unmoralisch.

Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

Diplomatie

Bosnien: Diplomatischer Eklat um Nazi-Helm an deutschen UN-Vertreter

Vor 30 Jahren endete der Krieg in Bosnien und Herzegowina. Jetzt flammt die Debatte um die politischen Nachwehen von Neuem auf. Im Fokus eines skandalösen Angriffs steht ein deutscher UN-Politiker

 20.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  20.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Messerangriff am Holocaust-Mahnmal: Prozess beginnt

Ein 19-jährigen Syrer soll dort im Februar einem spanischen Touristen lebensgefährlich verletzt haben. Aufgrund einer sofortigen Notoperation überlebte das Opfer

 20.11.2025

Washington D.C.

Trump unterschreibt Gesetz zur Freigabe von Epstein-Akten

Der Druck auf den US-Präsidenten wurde zu groß - nun hat er die Veröffentlichung von Akten zu einem Fall genehmigt, den er nicht loswurde. Was das bedeutet

von Anna Ringle, Franziska Spiecker, Khang Mischke, Luzia Geier  20.11.2025

Russischer Eroberungskrieg

Neuer US-Friedensplan: Ukraine unter Druck

Die USA haben Sanktionen gegen Russland verhängt, doch hinter den Kulissen scheint weiter verhandelt worden zu sein. Kiew trifft dies zu einem doppelt ungünstigen Zeitpunkt

 20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025