Zensur

Das Gegenteil erreicht

Polens Staatspräsident Andrzej Duda Foto: Getty Images

Die noch gar nicht so alte Lobeshymne, dass Polen der »beste Freund Israels und der USA in Europa« sei, ist mittlerweile massiver Kritik aus Washington und Jerusalem gewichen. Schuld daran ist das »Gesetz zum Schutz des guten Rufs Polens«, auch »polnisches Holocaust-Gesetz« genannt.

Das polnische Abgeordnetenhaus, der Sejm, stimmte am 26. Januar über das umstrittene Gesetz ab, sodass es nur einen Tag später zu einem politischen Eklat kam – ausgerechnet am Internationalen Holocaust-Gedenktag im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Polen solle das Gesetz überarbeiten, forderte Israels Botschafterin Anna Azari im Auftrag von Premier Benjamin Netanjahu.

überlebende Schon 2016, als die Gesetzesinitiative zum ersten Mal diskutiert wurde, hatten es renommierte israelische Historiker in die Nähe der Holocaust-Leugnung gerückt. All jene, die sich mit polnischen Pogromen oder Nazi-Kollaborateuren im deutsch-besetzten Polen 1939 bis 1945 auseinandersetzten, sollten künftig vor polnischen Gerichten angeklagt werden können, wenn sie »Polen als Staat oder Volk« eine Mitverantwortung an den Nazi-Verbrechen zuwiesen.

In Israel und den USA befürchten viele, dass Schoa-Überlebende demnächst nicht mehr frei von ihren Erlebnissen erzählen können, denn im Gesetz werden nur Künstler und Wissenschaftler von einer Strafverfolgung ausgenommen.

gesetz Eine rasch gegründete polnisch-israelische Kommission, die angeblich Änderungsvorschläge ausarbeiten sollte, bevor Präsident Andrzej Duda das Gesetz unterzeichnete, erwies sich als Schimäre. Denn die polnischen Unterhändler wollten den Israelis nur das Gesetz erklären, nicht aber sich »von Ausländern« reinreden lassen.

Präsident Duda unterzeichnete das Gesetz, kaum dass es ihm vorlag. Dabei hätte er Zeit für weitere Konsultationen gewinnen können, indem er es vorab an das Verfassungsgericht weitergeleitet hätte. Dies jedoch tat er erst nach Unterzeichnung, sodass das Gesetz rechtskräftig wurde.

Das war auch Zweck der Übung: Das neue Strafrecht zum »Schutz des guten Rufs Polens« sollte vor dem 50. Jahrestag der antisemitischen Hetzkampagne gegen die polnischen Juden im März 1968 in Kraft treten, vor dem 75. Gedenktag an den Warschauer Ghettoaufstand im April 1943 und vor der Publikation des wissenschaftlichen Werkes Die Nacht ist noch nicht vorbei über die tatkräftige Mithilfe und Nazi-Kollaboration Tausender christlicher Polen beim NS-Völkermord an den Juden.

Die beiden Gedenktage passen nicht ins Schema der neuen Geschichtspolitik, die den längst widerlegten Mythos von den stets edlen Polen, der »Helden und Opfer der Geschichte«, wiederbeleben will. Vor allem Ausländern droht das neue Zensurgesetz nun Geldbußen und Haftstrafen an, sollten sie von Polen als Kollaborateuren oder Tätern sprechen. Was »richtige Fakten« sind, sollen künftig polnische Gerichte festlegen.

nachfragen Als ein israelischer Journalist Polens Premier Mateusz Morawiecki auf der Münchener Sicherheitskonferenz fragte, ob seine Mutter demnächst noch erzählen dürfe, dass ein Teil der Verwandten durch den Verrat polnischer Nachbarn an die Nazis ums Leben gekommen sei, antwortete der Premier, dass dies weiterhin erlaubt sei, fügte aber hinzu, dass sich am Judenmord nicht nur deutsche, sondern auch »jüdische Täter« beteiligt hätten, ebenso wie polnische und ukrainische.

Während dies in Israel erneut zu einem empörten Aufschrei führte, behaupteten einige deutsche und polnische Journalisten, dass die schlimmste Form der Zwangsarbeit, die SS-Männer den Juden in den Vernichtungslagern abverlangten – das Herausholen der Leichen aus den Gaskammern und ihr Verbrennen in den Krematorien –, durchaus als »jüdische Kollaboration beim Judenmord« gelten könne.

Wenig später behauptete Kornel Morawiecki, Vater des Premiers und ebenfalls aktiver Politiker, dass »die Juden von ganz allein ins Ghetto gegangen« seien, als man ihnen sagte, dass sie dort keine Berührung »mit den widerlichen Polen« befürchten müssten. Die Deutschen hätten weder Juden zum Umschlagplatz treiben noch jüdische Kinder suchen müssen, die sich auf Dachböden versteckt hatten, als das Warschauer Ghetto liquidiert wurde; dies habe die jüdische Polizei für sie erledigt, so Kornel Morawiecki. »Wir Polen hingegen haben keine organisierte Zusammenarbeit mit den Deutschen aufgenommen, obwohl wir militärisch besiegt und einem brutalen Terrorregime unterworfen waren.« Dies zeichne Polen auch vor westeuropäischen Staaten aus, die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs fast alle institutionell mit dem Deutschen Reich kollaboriert hätten.

Kein Wort davon, dass Hitler keinerlei Interesse daran hatte, in Polen ein Quisling-Regime zu installieren. Vielmehr lehnte er alle Kollaborationsangebote polnischer Politiker ab.

»polocaust« Statt mit dem »Gesetz zum Schutz des guten Rufs Polens« den doppeldeutigen Begriff »polnisches Konzentrationslager« auszumerzen, der bislang jedes Jahr ein paar Dutzend Mal weltweit in Artikeln über den Zweiten Weltkrieg auftauchte, passierte genau das Gegenteil. Seit der Verabschiedung des Gesetzes Ende Januar dieses Jahres tauchte der Begriff rund drei Millionen Mal auf, haben polnische Medien gezählt. Zudem ist der nun wieder hochschwappende Antisemitismus, gegen den jüdische Gemeinden und Kulturvereine in Polen sowie auch ein immer größer werdender Teil der polnischen Zivilgesellschaft protestieren, zum Thema der Weltöffentlichkeit geworden.

Dass Juden in Polen von einem Journalisten als »Grindige« oder »Aussätzige« bezeichnet werden können, ohne dass dies Konsequenzen für ihn hat, wird im Ausland genauso registriert wie das Verbrennen einer »Judenpuppe« in Wroclaw (Breslau) oder der Unabhängigkeitsmarsch im No­vember 2017, als bis zu 100.000 Menschen rassistischen Parolen wie »Reines Blut« oder »Europa wird weiß sein – oder entvölkert« folgten. Unlängst schlug ein einflussreicher Historiker sogar vor, so schnell wie möglich ein »Polocaust«-Museum zu errichten, da christliche Polen doch ganz genauso verfolgt und ermordet worden seien wie die Juden Europas.

Erinnerung

Gedenken an erste Deportationen aus Berlin am »Gleis 17«

Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, warnte mit Blick auf das Erstarken der AfD und wachsenden Antisemitismus vor einer brüchigen Erinnerungskultur

 16.10.2025

Jakarta

Zwischen Schalom und Boykott

Staatschef Subianto hatte zuletzt Friedensbotschaften an Israel ausgesendet. Bei den Turnweltmeisterschaften in Jakarta sind israelische Sportler hingegen nicht willkommen

von Michael Thaidigsmann  16.10.2025

Hamburg

Zeuge vermittelte Kontakt vor Entführung der Block-Kinder

Wie kamen die mutmaßlichen Entführer in Kontakt mit der Familie Block? Diese Frage beschäftigt das Landgericht Hamburg derzeit im Prozess. Eine israelische Sicherheitsfirma spielt weiterhin eine Rolle

von Stephanie Lettgen  16.10.2025

Meinung

Amichai Chikli: Ein Minister gegen die Diaspora

Statt die Beziehungen zu den Juden außerhalb Israels zu pflegen, gefährdet der Diasporaminister diese. Jüngstes Beispiel: Auf Einladung des Likud-Politikers besucht derzeit der britische Rechtsextremist Tommy Robinson den jüdischen Staat

von Ruben Gerczikow  16.10.2025

Nachruf

Freund der Freiheit, Freund Israels

Richard Herzinger war ein lebenslanger Streiter gegen Autoritarismus und Antisemitismus. Nun ist der Publizist und Ausnahme-Intellektuelle im Alter von 69 Jahren gestorben

von Marko Martin  16.10.2025

Nahost

Trump zeigt Verständnis für mutmaßliche Hamas-Hinrichtungen

Videos sollen zeigen, wie Hamas-Mitglieder brutal mit Rivalen abrechnen. In Ramallah spricht man von »abscheulichen Verbrechen«. Israel sieht aus anderen Gründen einen Verstoß gegen die Waffenruhe

 16.10.2025

Hochschulen

Jüdische Studenten fordern mehr Schutz vor Antisemitismus

Seit dem 7. Oktober hat der Antisemitismus an Hochschulen deutlich zugenommen. Was können Universitäten tun? Die JSUD hat einen Katalog veröffentlicht

von Nikolas Ender  16.10.2025

Berlin

Israel erwartet Aufhebung der Rüstungsexport-Beschränkungen

Die stellvertretende israelische Außenministerin Sharren Haskel verlangt auch die Aufhebung einer Reisewarnung durch das Auswärtige Amt

 16.10.2025

Magdeburg

Rechtsextremistische AfD in Sachsen-Anhalt bei 40 Prozent

In einem Jahr wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Die selbsternannte »Alternative« liegt in den Umfragen vorn und baut ihren Vorsprung noch aus. Wie sieht es im direkten Vergleich der Spitzenkandidaten aus?

 16.10.2025