Debatte

Darf man Israel kritisieren?

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Der Antisemitismus geht mit der Zeit. Zu den altbackenen Judenfeinden wie Hamas, Neonazis, Hisbollah, die unverschämt ihrem Hass frönen und ihn verkünden, kommen sich modern gerierende Verschwörungstheoretiker, Kapitalismus-Entlarver, »Antikolonialisten«, Identitäre, Antizionisten und andere »Israelkritiker« hinzu. Ein Beweis ihrer Anpassungsfähigkeit ist, dass selbst Wohlmeinende, auch Juden, mit der Zeit der Gehirnwäsche durch Propaganda erliegen.

Denn die zeitgemäßen Antisemiten beginnen mit einer Lüge: »Gegen Juden haben wir nichts.« Sobald man dieser Parole Glauben schenkt, öffnet man sich der heimlichen Agenda der vorgeblichen Idealisten. Um nicht in diese Falle zu tappen, sollte man sich die Erfahrung älterer Juden, speziell in den Vereinigten Staaten, zu eigen machen. Sobald sie den Satz: »Einige meiner besten Freunde sind Juden, aber …« hören, wissen sie Bescheid. Das Aber war und bleibt entlarvend.

Auch die zeitgemäßen Antisemiten haben nichts gegen Juden, aber!

Auch die zeitgemäßen Antisemiten haben nichts gegen Juden, aber! Sie wollen lediglich deutlich kundtun, dass Kolonialismus ein schweres Verbrechen ist. Daher lügen sie Israel zur Kolonialmacht um. Doch keine andere Nation hat den Kolonialismus derart lange und grausam praktiziert wie zahlreiche europäische Staaten, allen voran Spanien.

Die Konquistadoren haben sich durch Mittel- und Südamerika gemordet, die indigene Bevölkerung ausgerottet, bis ins 20. Jahrhundert die Menschen ihrer Kolonien Kuba und Philippinen unterjocht, ehe sie von der U. S. Army vertrieben wurden. Nun aber gibt sich die Regierung in Madrid als Samariter der unterjochten Palästinenser und schließt sich konsequent der Klage Südafrikas gegen Israel wegen Völkermordes an.

Unterdessen verkünden Spaniens Minister die Parole: »From the River to the Sea, Palestine must be free!« Die Konsequenz wäre die Vernichtung Israels und – bestenfalls – die Vertreibung der Juden. Keine Regierung der EU, auch nicht Deutschland, dessen Kanzlerin Merkel vor der Knesset erklärte, Israels Sicherheit sei deutsches Interesse, was ihr Nachfolger Scholz bestätigte, brachte den Mut auf, Sanchez und sein Kabinett zur Ordnung zu rufen: »Genug, Pedro! Mit solchen Verdrehungen verlierst du deine Glaubwürdigkeit und degradierst uns zu tatenlosen Zuschauern!«

Auch in Deutschland haben politisch Korrekte nichts gegen Juden. Im Gegenteil, sie beklagen routiniert die von den Nazis ermordeten Hebräer, für Israel aber fordern sie einzigartige moralische Maßstäbe ein. Falls diese Kriterien nicht erfüllt werden, greift die »Israelkritik«. Sie hat rechtschaffen und ehrlich zu sein. Denn unser Grundgesetz garantiert die Meinungsfreiheit – auch gegenüber anderen Staaten, sogar im Falle Israels –, obgleich man noch unter der Bürde der Verantwortung für einstige Untaten leidet.

Die »Israelkritiker« lügen den jüdischen Staat zur Kolonialmacht um.

Bemerkenswert ist, dass, von Zion abgesehen, kein anderer Staat grundsätzlich kritisiert wird. Es gibt keine Syrien-, keine Iran-, Myanmar-, Kambodscha-, China- oder Nordkorea-Kritik. Dies, obgleich an den Händen von deren Diktatoren Blut klebt. Sie sind es, die angeprangert werden, nicht ihre Länder.

Aus gutem Grund, denn eine Jemen- oder Iran-Kritik würde die Existenz dieser Staaten infrage stellen. Das will man mit dem Recht als dem Frieden verpflichtete Demokratie unbedingt vermeiden. Warum aber gilt dieses Tabu ausgerechnet nicht für den jüdischen Staat? Man mag den israelischen Premier Netanjahu und seine Minister Ben-Gvir, Smotrich nach Herzenslust kritisieren. Das geschieht auch in Israel vehement, sogar am allermeisten.

Wer den Zionismus ablehnt und an Israel Fundamentalkritik übt, der verweigert dem Judenstaat die Legitimität

Doch sollte man verstehen: Wer den Zionismus ablehnt und an Israel Fundamentalkritik übt, der verweigert dem Judenstaat die Legitimität. Dieses Vorgehen begann lange vor dem Gaza-Krieg, dessen Ursache der schlimmste Massenmord an Juden seit der Schoa war.

Das sind keine wehleidigen theoretischen Klagen. Ein persönliches Beispiel soll illustrieren, dass es sich hier nicht um ein Gedankenspiel handelt, sondern um gelebte Realität mit argen Konsequenzen. Am 24. April 2017 reiste ich mit einer deutschen Delegation nach Israel. Dem Team gehörten unter anderem die Präsidentin der Deutschen Archäologischen Gesellschaft, die Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes sowie der Präsident der Helmholtz-Gesellschaft an.

In Jerusalem wurden wir von Wolf Iro, dem Leiter des Goethe-Instituts in Israel, mit einem kurzen Referat begrüßt. Dabei betonte Iro, »Israelkritik« sei legitim. Mir platzte der Kragen: »Kritisieren Sie die israelische Politik und Regierung, so viel Sie wollen. Aber ›Israelkritik‹ ist etwas anderes, es stellt das Existenzrecht dieses Staates zur Disposition«, betonte ich. Eine jüdische Teilnehmerin meinte dagegen: »Er hat es so nicht gemeint.«

Mir ist es mittlerweile einerlei, was jemand »gemeint« hat. Entscheidend ist das Ergebnis. Das Resultat ist, dass »Israelkritik«, einerlei mit welcher Intention sie ausgesprochen wird, dauerhaft das Fundament der Rechtsstaatlichkeit Israels zerstört. Als einzigem Land weltweit. Arg ist, dass tatsächlich viele es nicht so meinen oder gar beabsichtigen. Doch im Endeffekt ist es einerlei, ob man das Haus aus Bosheit anzündet, aus Leichtsinn oder aus Geltungssucht. Am Ende brennt es. Das sollten sich die »Israelkritiker«, speziell in den Medien, überlegen. Gerade jene, die es nicht so meinen.

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

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