Erinnerung

Auftrag und Aufschrei

Tschüss: Erika Steinbach zieht sich nach umstrittenen Äußerungen aus dem CDU-Vorstand zurück. Foto: dpa

Erinnerung

Auftrag und Aufschrei

Um die Vertriebenenstiftung gibt es wieder Streit

von Katrin Richter, Martin Krauss  13.09.2010 16:55 Uhr

Es war ein Paukenschlag: Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat angekündigt, sich aus der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« zurückzuziehen. Der Verband ist vor allem über eine Personalentscheidung empört. Dass der Bund der Vertriebenen (BdV) die Funktionäre Arnold Tölg und Hartmut Saenger in den Stiftungsrat entsende, sei mit dem »Versöhnungsauftrag« des Gremiums nicht vereinbar. Mit ihren relativierenden Bemerkungen über die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg würden beide »revanchistische Positionen« vertreten.

Zwar hat Zentralratsvize Salomon Korn im NDR angedeutet, dass die Entscheidung rückgängig gemacht werden könne. Doch dafür müsse der BdV seinen Beschluss korrigieren und die beiden CDU-Mitglieder aus dem Stiftungsrat zurückziehen. BdV-Präsidentin Erika Steinbach stärkte Tölg und Saenger vor wenigen Tagen demonstrativ mit der Bemerkung, Polen habe »bereits« im März 1939 mobilgemacht. Das löste in der Bundestagsfraktion der CDU empörte Proteste aus. Steinbach erklärte daraufhin, sie werde im November nicht noch einmal für den Vorstand kandidieren.

Taten und Täter Aber die Vertriebenenstiftung sieht sich auch von anderer Seite mit Kritik konfrontiert. Eine Initiative von Historikern bemängelt, dass die vom Bundestag beschlossene Stiftung bis heute kein Konzept für ihre seit 2005 angekündigte Ausstellung »Sichtbares Zeichen« vorgelegt habe. Die Gruppe um den Münchner Geschichtswissenschaftler Martin Schulze Wessel will eine grundlegende inhaltliche Debatte anstoßen. Unterstützt wird sie dabei von der Deutsch-Tschechischen und der Deutsch-Slowakischen Historikerkommission sowie von der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission. Bislang habe sich die Vertriebenenstiftung unter ihrem Leiter Manfred Kittel konzeptionell auf die »Darstellung eines breiten Panoramas europäischer Vertreibungsphänomene« konzentriert. Dieser Ansatz sei zu allgemein, »konkrete Täter und historische Hin- tergründe« fielen dabei unter den Tisch.

Europa Die Historikergruppe hat ein anderes Konzept entwickelt, in dem nach eigenen Angaben die »Bedeutung der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik für die Gewaltphänomene des 20. Jahrhunderts« stärker betont wird. Konkret soll anhand von Städten wie dem polnischen Wroclaw, dem litauischen Vilnius oder dem tschechischen Ústí gezeigt werden, wie eng »Zusammenleben und Zwangsmigration« miteinander verbunden gewesen seien. Wroclaw zum Beispiel habe nach dem Krieg als »zentraler Anlaufpunkt« für Schoa-Überlebende gedient, die von der polnischen Gesellschaft ausgegrenzt wurden.

Mit ihrem bewusst europäisch ausgerichteten Konzept wollen die Historiker, zu denen auch Stefanie Schüler-Springorum, Claudia Kraft und Volker Zimmermann gehören, nicht nur Menschen ansprechen, die selbst vertrieben wurden, sondern auch Jugendliche mit Migrationshintergrund. Unterstützt wird dieser Ansatz unter anderem von dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski und dem ehemaligen Leiter der Topographie des Terrors, Reinhard Rürup. Krzeminski, findet klare Worte: »Letztendlich geht es darum, ob die geplante Dauerausstellung eine Walhalla des deutschen Leidens werden soll oder zu einem europäischen Ort, an dem sich nicht nur ›aus dem Paradies vertriebene‹ Deutsche beweinen.« Der Redakteur des Wochenblatts »Polityka« befürchtet jedoch, dass die Kritik nichts bewirken wird. »Es gibt einen Auftrag des Bundestages«, sagt er, »und deshalb wird weitergewurschtelt werden.«

»Wir werden das Papier sehr eingehend prüfen«, versichert Stiftungsleiter Kittel. Er könne »eine ganze Reihe von breiten prinzipiellen Übereinstimmungen« erkennen. Die Stiftung sei allerdings an den Regierungsauftrag von 2008 gebunden, »Flucht und Vertreibung der Deutschen vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungskrieges darzustellen«.

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025

Internet

Expertin: Islamisten ködern Jugendliche über Lifestyle

Durch weibliche Stimmen werden auch Mädchen von Islamistinnen verstärkt angesprochen. Worauf Eltern achten sollten

 19.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025